| Rückblick

Stille EM-Helden – Bemerkenswertes abseits des Podiums

Mit Freude und auch etwas Wehmut blicken wir zurück auf die Europameisterschaften 2018, auf die wir so lange hingefiebert haben und die dann vorübergingen wie im Fluge. Wir haben die Sieger, Medaillengewinner und Platzierten gefeiert. Doch auch abseits des Rampenlichts spielten sich in Berlin viele bemerkenswerte Szenen ab, die Geschichten von einem ganz besonderen deutschen Leichtathletik-Team erzählen.
Silke Bernhart

Der allseits zitierte und zuvor hin und wieder auch bemüht heraufbeschworene Teamgeist – er lebte, in diesen besonderen Tagen von Berlin. Er war zu spüren, in der Reihe der Coaches, die in einer Einheit von Heim- und Bundestrainern für die Athleten die bestmögliche Betreuung schufen. Im Team der Mediziner, mit Ärzten und Physiotherapeuten. Unter den Psychologen. In Abstimmung mit Trainingswissenschaftlern und Biomechanikern, in Zusammenarbeit mit Chiropraktor und Neuroathletik-Trainer. Und mit Unterstützung eines eingeschworenen DLV-Team-Managements, das für die deutsche Mannschaft alles Erdenkliche und mehr möglich machte.

„Wir sind für euch da.“ Dieses Gefühl und dieses Bewusstsein sollte den deutschen Athleten für ihre wohl einmalige Heim-EM vermittelt werden. Und die Leichtathleten sogen dieses Gefühl in sich auf, formierten sich auch untereinander zu einer eingeschworenen Einheit, ließen sich dazu von der euphorischen Unterstützung des Heim-Publikums tragen und lieferten ab. In sportlicher Hinsicht. Aber auch in menschlicher.

Teamgeist und Kampfgeist

Es gibt so viele Geschichten abseits des Rampenlichts, die es wert sind erzählt zu werden und die von dem besonderen Charakter dieses EM-Teams 2018 zeugen. Denise Krebs (TSV Bayer 04 Leverkusen) packte über 5.000 Meter ihr großes Kämpferherz aus. Sie stürzte früh im Rennen über eine Konkurrentin, rappelte sich zwar wieder auf, konnte dann aber fast am Ende des Feldes nur noch hinterherlaufen. Wie sich später herausstellte mit Schnittwunden am Knöchel und einem gerissenen Außenband. „Erst habe ich gedacht: Was machst du jetzt?“ sagte sie anschließend, „aber ich wollte nicht aufgeben, ich wollte kämpfen."

Die drei Zehnkämpfer hatten davon geträumt, die abschließenden 1.500 Meter als Einheit zu bestreiten. Nach drei Ungültigen im Weitsprung schoss sich Mathias Brugger (SSV Ulm 1846) jedoch früh selbst aus dem Rennen um die Medaillen. Und was machte er? Weiter. Um Youngster Niklas Kaul (USC Mainz) und seinen Trainingspartner Arthur Abele zu unterstützen, der später Europameister wurde.

Mit Patellasehnen-Beschwerden musste Mathias Brugger an Tag zwei nach den Hürden schließlich doch die Segel streichen. „Es war eine riesen Enttäuschung gestern“, blickte er am <link https: www.daserste.de sport european-championships-2018 videosextern zehnkampf-abele-setzt-gleich-ein-ausrufezeichen-100.html _blank>ARD-Mikrofon zurück. Und fand dann nur lobende Worte für seine Mitstreiter: „Jetzt darf Arthur das hier genießen. Gemeinsam mit Niklas Kaul haben wir hier zwei richtig starke Leute, die vorne reinrauschen werden. Ich freue mich riesig für die Jungs, die machen ein geiles Ding.“

Zwei Schreckmomente

Die Szenen des Sturzes von Lucas Jakubczyk (SCC Berlin) und Julian Reus (LAC Erfurt TopTeam) im Vorlauf über 4x100 Meter werden vielen noch bildlich im Gedächtnis sein. Ebenso die Momente danach, als beide nach längerer Behandlung großzügig bandagiert wieder aufstanden. Und dann dem besorgten Publikum zuwinkten um zu signalisieren: „Macht euch keine Sorgen, es geht uns gut.“

Zu diesem Zeitpunkt waren die Startläufer Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar) und Patrick Domogala (MTG Mannheim) schon wieder in den Katakomben verschwunden. Sie hatten die Staffel auf eine aussichtsreiche Position gebracht, dennoch war ihr Finaltraum jäh zerplatzt. Worte des Vorwurfes gab es keine. "Sportlich ist das natürlich bitter. […] Das Wichtigste ist aber, dass beide wohlauf sind“, sagte Patrick Domogala. Und Kevin Kranz stimmte ein: „Ich hoffe nur, es geht beiden gut.“

Auch im Siebenkampf der Frauen gab es einen Moment, der das Sportliche in den Hintergrund rückte: Mareike Arndt (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Louisa Grauvogel (LG Saar 70) konnten nach einem Autounfall nicht mehr zu den 800 Metern antreten. Mit Pflaster und Beule an der Stirn (Grauvogel) und brummendem Kopf (Arndt) gesellten sie sich nach den Untersuchungen wieder zum Team dazu und wurden mit unzähligen Genesungswünschen sowie aufmunternden Worten empfangen. Ihre überzeugenden Auftritte in sechs Disziplinen trugen auch ohne Happy End zum sympathischen Gesamtbild der deutschen Mannschaft bei.

Große Leichtathletik-Familie

Insgesamt 128 Athleten umfasste diese Mannschaft zum Nominierungszeitpunkt. Es war das größte deutsche EM-Team der Geschichte – und dennoch fehlten so viele Athleten, die als deutsche Nummer vier oder aufgrund von Verletzungen zusehen mussten. In anderer Rolle trugen auch sie ihren Teil zum Gelingen der Meisterschaften bei.

Zum Beispiel Diskuswerferin Julia Harting (SCC Berlin), die ihren Mann Robert bei seinen letzten großen Titelkämpfen unterstützte, in der Mixed Zone Interviews führte und ihre Trainingspartnerin Shanice Craft (MTG Mannheim) für ihre Bronzemedaille feierte. Sprinterin Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar), die auf der Europäischen Meile den Nachwuchs für die Leichtathletik begeisterte und mit ihren Staffelkolleginnen sowie Mannheimer Trainingspartnerinnen mitfieberte. Oder Hürdenläufer Felix Franz (LG Neckar-Enz), der seinen Frust über nunmehr drei Jahre Dauerverletzung runterschluckte und Freund Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen) für eine Bestleistung und Platz fünf feierte.

Staffel-Ersatzläufer: Immer bereit, immer im Hintergrund

Ähnlich kameradschaftlich verhielten sich auch die Ersatzläufer der Staffeln, die sich Tag für Tag fit hielten und schließlich doch nicht zum Einsatz kamen. „Auch unter den gegebenen Umständen hatte ich eine sehr schöne Zeit in Berlin. Es war eine großartige Meisterschaft in dem wunderschönen Olympiastadion“, bilanzierte Sprinter Roy Schmidt (SC DHfK Leipzig) auf Instagram.

Alina Reh (SSV Ulm 1846) stellte sich wenige Tage nach ihrem vierten Platz über 10.000 Meter an die Marathon-Strecke und reichte den deutschen Läufern die Getränke. Daniel Jasinski (TV Wattenscheid 01) blickte trotz des eigenen Ausscheidens in der Qualifikation im ARD-Studio voraus auf das Diskuswurf-Finale mit Robert Harting (SCC Berlin) und wünschte seinem Kontrahenten einen würdigen Abschied. Und Franziska Hofmann (LAC Erdgas Chemnitz) zollte ihren Disziplinkolleginnen für die Plätze zwei, drei und fünf im Hürden-Finale höchsten Respekt, auch wenn sie selbst im Vorlauf ausschied.

Es ist der respektvolle Umgang miteinander und gegenüber der Konkurrenz, für den sich die deutschen Athleten selbst höchsten Respekt verdient haben. Zusätzlich zu ihren sportlichen Leistungen und in vielen Fällen sogar darüber hinaus. Es gibt eben Geschichten, die erzählt nur die Leichtathletik. Und die deutsche Leichtathletik ist die Heimat der #TrueAthletes. Berlin war das beste Beispiel dafür.

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