| Interview

Yemisi Ogunleye: "Der Glaube kann Berge versetzen"

© Torben Flatemersch
Als Olympiasiegerin schrieb Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye 2024 Geschichte – nun ist sie „Leichtathletin des Jahres“. Im Interview spricht sie über Veränderungen durch den Erfolg.
Alexander Dierke

Yemisi Ogunleye, Sie sind die „Leichtathletin des Jahres“ 2024 – die Krönung erfolgt nach einem, das kann man wohl sagen, Wahnsinns-Jahr 2024. In der Vergangenheit haben große Namen wie Astrid Kumbernuss, Franka Dietzsch und Malaika Mihambo diese Auszeichnung entgegengenommen. Was bedeutet Ihnen die Wahl?

Yemisi Ogunleye: 
Es ist eine riesige Wertschätzung, dass so viele Menschen meine Leistung gesehen und dafür abgestimmt haben. Ich fühle mich sehr geehrt, vor allem, weil ich noch relativ neu auf diesem Top-Niveau bin. Allgemein bin ich von den vielen Auszeichnungen, die ich seit meiner Goldmedaille erhalten habe, sehr überwältigt, gerade weil ich weiß, wer diese Ehrungen vor mir erhalten hat.

Innerhalb der letzten zwölf Monate hat eine große Weiterentwicklung bei Ihnen stattgefunden. Wenn wir uns mal in den Zeitraum vor Ihrem Saisonauftakt in Nordhausen vor einem Jahr zurückversetzen: Wie denken Sie heute über den Weg, den Sie im Anschluss 2024 gegangen sind?

Yemisi Ogunleye: 
Vor einem Jahr war ich schon voll im Training und habe alles gegeben, vielleicht 20 Prozent mehr, als ich dachte, dass ich könnte. Ich wusste, es ist ein entscheidendes Jahr. So bin ich auch die Vorbereitung angegangen. In Nordhausen [damalige neue PB von 19,57 m; Anm. d. Red.] ist mir dann schon ein Ausrufezeichen gelungen, das gezeigt hat, dass ich gegen internationale Konkurrenz bestehen kann. Ich habe gemerkt, ich bin topfit, und darauf wollte ich über das Jahr hinweg aufbauen, viele Wettkämpfe machen und mich der internationalen Konkurrenz stellen. Ich glaube, ich war bis hin zu den Olympischen Spielen perfekt auf jeden Tag vorbereitet.

Nach Nordhausen kamen die Hallen-WM und Ihr erster 20-Meter-Stoß. Wie haben sich Ihre Gefühle in der Folge verändert?

Yemisi Ogunleye: 
Es ist eigentlich wie eine Bestätigung gewesen zu dem, was ich auch in meinem Herzen gefühlt habe. Ich wusste, ich habe mir diese Weiten zugetraut. Ich habe auch immer gesagt, oder meine Trainerin [Iris Manke-Reimers; Anm. d. Red.] hat auch immer gesagt, es kommt dann, wenn es kommt – alles zu seiner Zeit. Ich bin in der Folge eigentlich einfach glücklich geblieben. Training und Wettkämpfe sind immer zwei verschiedene Paar Schuhe, da ist es die große Kunst, die Lockerheit aus dem Training in den Wettkampf zu bekommen. Das habe ich mir als Ziel gesetzt während der Hallensaison. Mit dem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, das ich im Winter erlangt habe, bin ich dann auch in die nächsten Höhepunkte reingegangen. Ich war dann durch die EM und die Diamond-League-Wettkämpfe auf einem sehr hohen Niveau unterwegs.

Sie haben während des vergangenen Jahres immer wieder die Bedeutung Gottes betont und wie sehr Ihnen der Glaube hilft. Für Paris hatten Sie vorab offenbar genau 20 Meter als Weite im Kopf?

Yemisi Ogunleye: 
Mein Glaube ist mein Fundament. Er gibt mir Halt, unabhängig von meinen Leistungen. Ich habe oft visualisiert, wie ich in Paris die 20 Meter stoße, und habe diese Zahl sogar in mein Tagebuch geschrieben: genau 20,00 Meter. Ich wollte an diesem Tag in der Lage sein, alles zu geben. Der Moment, als ich es geschafft habe, war unglaublich – ein Zeichen, dass Gott meine Gebete erhört hat. Ich bin in dem Augenblick in Tränen ausgebrochen, weil sich für mich gezeigt hat, dass Gott auf meiner Seite ist und es nicht nur eine Einbildung war. Gott hat meine Gebete gehört und mir diese 20 Meter auf den Punkt geschenkt. Viele Leute haben in dem Moment auch mit mir mitgefiebert und gebetet, all das hat mir Kraft gegeben. Es wurden nicht 20,01 Meter, nicht 19,99 Meter, sondern genau 20 Meter. Das war für mich einfach Perfektion und der perfekte Abschluss dieser besonderen Saison. 

Vor einigen Jahren hätten Sie Ihre Karriere nach zwei Kreuzbandrissen fast vorzeitig beendet – eine große Stütze war schon damals Ihre Trainerin Iris Manke-Reimers. Schließlich haben Sie sich (glücklicherweise) entschieden, weiterzumachen. Was würden Sie der damaligen Yemisi aus heutiger Sicht sagen?

Yemisi Ogunleye:
Bleib geduldig, arbeite weiter hart an deinen Träumen, gib nicht auf. Das sind auf jeden Fall so die drei Sachen, die ich mir immer wieder noch mal sagen würde. Und glaub daran, dass dein Glaube Berge versetzen kann.

Wie verändert ein Olympiasieg, hat sich in der Wahrnehmung Ihrer Person in Ihrem nahen und entfernteren Umfeld etwas gewandelt?

Yemisi Ogunleye:
Die Wahrnehmung von außen hat sich definitiv verändert. Menschen sprechen mich an, wollen Fotos machen – das ist neu. Aber in meinem privaten Umfeld ist zum Glück alles geblieben, wie es war. Das erdet mich. Natürlich öffnen sich durch den Sieg auch viele Türen, sei es für TV-Auftritte oder Interviews. Das ist eine große Veränderung, die ich als Chance sehe.

Wie nehmen Sie dieses gestiegene Interesse wahr, auch hinsichtlich der Tatsache, dass die Leichtathletik (hierzulande) weiterhin häufig unter dem Radar fliegt?

Yemisi Ogunleye:
Sehr positiv, wir brauchen einfach Vorbilder in der Leichtathletik, die zeigen, man schafft es auch mit Freude und Leichtigkeit, mit Freude am Team und Freude am Sport, solche Leistungen abzurufen. Man muss also nicht an dem einem entgegengebrachten Druck und den Erwartungen kaputtgehen. Das war schon immer wichtig für mich, dass ich einfach ich selbst bleibe. Die Aufmerksamkeit für meine Person zeigt mir, dass man diese Emotionen zeigen darf, dass wir stolz sein dürfen, diesen Sport zu machen und zu vertreten.

Jetzt steht die neue Saison bevor, Ihren Auftakt feiern Sie in Dortmund. Wie blicken Sie dem Start entgegen?

Yemisi Ogunleye:
Ich gehe mit einem sehr lockeren Gefühl in die Saison, mit sehr viel Freude. Ich darf alle Wettkämpfe in Deutschland mitmachen. Davor hatten viele internationale Wettkämpfe in Deutschland das nicht im Wettkampfprogramm. Ich freue mich einfach, die Disziplin dadurch mehr in den Vordergrund zu rücken. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit auf die Disziplin zu bringen und vor allem auch vor heimischem Publikum zu stoßen; ich werde oft als Olympiasiegerin vorgestellt – das ist schon etwas sehr Besonderes.

In der Hallensaison stehen mit EM und WM bereits zwei internationale Meisterschaften an. Im Sommer folgt dann die Freiluft-WM. Mit welchen Zielen startet eine Olympiasiegerin in das Jahr?

Yemisi Ogunleye:
Mein Fokus liegt darauf, körperlich gesund zu bleiben und mich im Wettkampf wohlzufühlen. Ich möchte an der internationalen Spitze bleiben und mit der gleichen Lockerheit und Freude antreten wie bisher. Die Weiten kommen dann von selbst, das habe ich letztes Jahr gelernt. Es geht darum, sich den neuen Herausforderungen zu stellen und dadurch weiter zu wachsen. 

Mehr: 
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