| Karriere-Ende

Kai Kazmirek macht Schluss – als aktiver Athlet, aber nicht mit dem Sport

© Gladys Chai von der Laage
Als Zehnkämpfer gehörte Kai Kazmirek über zwei Generationen zur ersten Riege deutscher Mehrkämpfer und feierte sowohl in der Halle als auch im Freien zahlreiche Erfolge. Mit 6.238 Punkten im Siebenkampf, Platz fünf in der ewigen deutschen Hallen-Bestenliste, sowie 8.580 Punkten im Zehnkampf, Platz zwölf der ewigen deutschen Bestenliste, verabschiedet er sich nun von der Bühne des Sports. Beruflich wie privat beginnt für ihn ein neues Kapitel.
Jane Sichting

Ehrgeiz, Leidenschaft und Vielseitigkeit – mit diesen Worten beschrieb Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) einmal die Eigenschaften, die typisch für ihn sind. Diese Eigenschaften hat er in 15 Jahren Leistungssport immer wieder aufs Neue unter Beweis gestellt. Am Mittwoch gab er nun sein Karriereende bekannt. Voller Dankbarkeit – auch für all seine Wegbegleiter – spricht er davon, dass er als Zehnkämpfer seinen Traum leben durfte, in Zukunft jetzt aber andere Aufgaben auf ihn warten. Die persönlich wohl schönste dürfte sein, dass er Ende Mai zum ersten Mal Vater wird. Und er träumt bereits davon, dass sein Sohn einmal in seine Fußstapfen tritt.

Bereits im Grundschulalter beim Fußballverein aktiv, fand Kai Kazmirek früh seine Liebe für den Sport. Im Alter von zehn Jahren kam die Leichtathletik hinzu. Begeistert von der motivierenden Gruppendynamik im Training sowie angetrieben vom Spaß an der Bewegung entwickelte er sich über die Jahre zu einem der besten deutschen Zehnkämpfer. „Was mich am Zehnkampf so fasziniert hat, ist, dass man so ein Allrounder ist. Man kann in alles ein bisschen reinschnuppern und hatte von allem eine gewisse Ahnung. Das ist auch etwas, woran ich sehr viel Spaß habe und was sich auf das Leben übertragen lässt. Denn ich bin ein sehr neugieriger Mensch und froh, wenn ich viel lernen darf“, sagt Kai Kazmirek, dessen Stärken vor allem in den Sprint- und Sprungdisziplinen lagen.

WM-Bronze 2017 als Karriere-Highlight

Erste internationale Erfolge feierte Kai Kazmirek bereits als U20-Athlet mit Bronze bei den U20-Europameisterschaften 2009. Drei Jahre später gewann er seinen ersten deutschen Meistertitel im Zehnkampf bei den Männern, im Rahmen des Thorpe Cups hatte er damals kurz zuvor als Mitglied der siegreichen deutschen Mannschaft  mit 8.130 Punkten erstmals die 8.000-Punkte-Marke überboten. Ganz nach oben auf das Treppchen schaffte es Kai Kazmirek es dann bei den U23-Europameisterschaften 2013 in Tampere (Finnland)

Seither gibt es kaum ein internationales Großevent, das der heute 34-Jährige verpasst hat. Bei den traditionsreichen Mehrkampf-Meetings in Götzis und Ratingen zählte er über ein Jahrzehnt zum Kreis der Stammgäste, 2015 in Götzis sowie 2016 und 2019 in Ratingen holte er sich gar die Siege der Mehrkampf-Klassiker. In diese Zeitspanne fallen auch seine besten Ergebnisse auf den größten Sportbühnen der Welt – etwa 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien), bei denen er mit 8.580 Punkten seine bis zuletzt geltende persönliche Bestleistung erzielte und den vierten Platz belegte.

Zwar ärgerte er sich nicht über die verpasste Medaille, doch angetrieben vom Ehrgeiz kämpfte sich Kai Kazmirek bei der WM 2017 in London (Großbritannien) einen Platz weiter nach vorne auf den Bronzerang. „Diese WM ist bis heute eines meiner Highlights. Ausschlaggebend dafür ist gar nicht die Medaille. Vielmehr war es die ganze Atmosphäre und Organisation vor Ort. Das Stadion war schon früh um 10 Uhr mit einem fachkundigen Publikum gefüllt und auch die Abläufe funktionierten alle reibungslos. Ähnlich war es auch bei der Hallen-WM in Birmingham 2018, bei der ich Vierter geworden bin. Ich bin einfach ein Fan davon, Wettkämpfe in Großbritannien zu machen“, stellt er fest.

Im Sport fürs Leben gelernt

WM-Bronze 2017 gewann der 1,90 Meter große Mehrkämpfer sogar, obwohl er sich nur sechs Wochen zuvor zwei Bänder im Fuß gerissen hatte. Zwei Jahre später zeigte er ebenfalls seine Größe. Bei den Weltmeisterschaften in Doha (Katar) blieb Kazmirek an Tag zwei direkt bei der ersten Disziplin in den Hürden hängen. Angetrieben von Spaß, Leidenschaft und Ehrgeiz zog er dennoch bis zum Schluss durch und erreichte noch Platz 17. Genau diese innere Kraft und das Überwinden von Rückschlägen sei es, was ihn der Sport gelehrt habe und wovon er sein Leben lang profitieren werde, erklärt er.

„Der Sport lehrt einen, auch mit Niederlagen umzugehen und sich durchzubeißen, selbst wenn nicht alles rund läuft. Gerade am Ende seiner Karriere fragt man sich dann doch, ob es das alles wert war – was ich mit einem klaren Ja beantworten kann“, blickt er zurück und sagt: „Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden.“

Obwohl es mit Platz 14 bei seinen zweiten Olympischen Spielen 2021 in Tokio (Japan), den Rängen acht und zwölf bei der EM und WM 2022 sowie im Verlaufe der zurückliegenden zwei Jahre nicht mehr ganz so erfolgreich lief, hadert Kazmirek nicht: „Ich hatte eine tolle Zeit und bin sehr happy, diesen Weg gegangen zu sein. Sich nach der Jugend für den Sport zu entscheiden ist immer auch mit viel Risiko verbunden, das ich gern eingegangen bin. Ich durfte meine Grenzen austesten und mich mit den Besten der Welt messen“, sagt er.

Generationswechsel und neue Dimensionen

Besonders gern denkt er an die Zeit mit seinen Mitstreitern zurück. „Es war immer super, mit den Jungs zusammen auf dem Platz zu stehen. Wir waren wie eine riesige Familie – obwohl wir auch Konkurrenten waren. Ich durfte zwei Generationen im Zehnkampf miterleben: die alte mit Arthur Abele, Rico Freimuth und Michael Schrader und die neue mit Leo Neugebauer und Niklas Kaul. Das war sehr konträr, was die Trainingsart und die Mentalität angeht. Aber es hat beides sehr viel Spaß gemacht und ich habe es genossen.“

Dass er es selbst nie in die Region von 9.000 Punkten geschafft hat, welcher sich die neue Generation gerade nähert, betrachtet Kai Kazmirek gelassen: „Das hätte ich nicht geschafft.“ Denn obwohl er in den Einzeldisziplinen das Potenzial dazu gehabt hätte, konnte er dieses innerhalb eines Zehnkampfes nie zusammenzubringen. „Wenn ich sehr gut drauf war, hat der Kopf verrückt gespielt und ich habe eine Disziplin in den Sand gesetzt.“ Dies ist auch einer der Gründe, warum es für ihn nie „den Zehnkampf meines Lebens“ gab: „Das ist der einzige Wehmutstropfen, der bleibt.“

Als Vorbild in der Jugendarbeit engagiert

Was ebenfalls bleibt, sind körperliche Spuren, die 15 Jahre Leistungssport mit durchschnittlich zehn Trainingseinheiten die Woche hinterlassen. Anfangs rief es bei ihm noch Selbstzweifel hervor, dass der Körper eines 34-Jährigen nicht mehr gleichermaßen leistungsfähig ist wie der eines Athleten Anfang 20. Dann lernte er, das zu akzeptieren. Nun zog er folgerichtig den Entschluss, die aktive Leistungssportkarriere zu beenden. Ein Abschied vom Sport ist dies indes nicht.

„Sport ist mein Leben“, sagt Kai Kazmirek. Entsprechend wird er künftig nicht nur selbst aktiv sein, sondern sich auch weiterhin in seinem Verein engagieren: „Ich hatte hier schon immer ein starkes Heimatgefühl und fühle mich in der Region zuhause. Im Verein haben wir bereits einiges geschaffen – etwa einen Kraftraum oder eine Trainingshalle, auch wenn diese nur ein 60-Meter-Schlauch ist. Gemeinsam mit dem LSB haben wir hier viel aufgebaut, und es gibt noch viel Entwicklungspotenzial“, schwärmt er über Neuwied und die dort ansässige LG Rhein-Wied. Dreimal in der Woche ist er als Trainer in der Jugendarbeit engagiert und kommt somit nicht nur seiner Vorbildfunktion für den Nachwuchs nach, sondern will auch etwas zurückgeben.

Vielseitigkeit für Körper und Geist

Auch abseits des Sports dürfte es Kai Kazmirek nicht langweilig werden, dafür hat er schon während seiner Zeit im Spitzensport gesorgt. Nach einer Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter studierte er als Teil der Sportfördergruppe bei der Polizei Rheinland-Pfalz und kletterte die Karrierestufen bis hin zum Polizeihauptkommissar empor. Zudem studierte er im Bachelor Sportwissenschaften, aktuell schreibt er seine Masterarbeit im Bereich Gesundheitsmanagement.

„Gern würde ich beruflich eine Schnittstelle zwischen dem Bereich Bewegung, Gesundheit und Sport bei der Polizei und dem Innenministerium schaffen. Nachdem ich drei Monate im Gesundheitsmanagement der Polizei hospitiert habe, bin ich nun für drei Monate im Innenministerium. Beides zu kombinieren wäre für mich ein spannendes Berufsfeld“, erzählt er. Schon als Kind von seinen Eltern liebevoll Zappelphilipp genannt, hat er nicht nur einen großen Bewegungsdrang, sondern liebt es als durchweg neugierige Person auch, stetig neue Dinge zu lernen. Was für andere eine Doppelbelastung darstellt, bildet für Kai Kazmirek den Einklang von Körper und Geist.

Familie hat oberste Priorität

Für die Privatperson Kai Kazmirek rückt künftig zunächst seine Rolle als Familienvater in der Wahlheimat Neuwied bei Koblenz in den Mittelpunkt. Nach einem jahrelangen Leben aus dem Koffer, das ihn für Trainingslager und Wettkämpfe um die halbe Welt führte und was er als großes Privileg empfindet, sowie einer Fernbeziehung mit seiner Verlobten, die zuletzt in Boston (USA) an der Havard Medical School ihren Postdoc abgeschlossen hat, ist es nun Zeit anzukommen.

Nicht nur an einem Ort, der sich Zuhause nennt, sondern auch in einem Leben als sportverbundener Familienmensch ohne die Verpflichtungen als Spitzenathlet. Denn Familie war schon immer sein Anker – ob im wörtlichen Sinne oder gefühlt im Kreise der Zehnkämpfer. Wie sehr er Teil davon war, zeigen die vielen Kommentare seiner langjährigen Wegbegleiter unter seinem Abschiedsposting auf Instagram mit den besten Wünschen für seine Zukunft. Diesen schließen wir uns gern an und sagen: „Danke Kai, für unzählige Zehnkampf-Highlights, und Respekt für diese Karriere!“

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets