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Olivia Gürth – Fast perfekter Aufstieg

© Theo Kiefner
Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig haben im zurückliegenden Sommer acht Athletinnen und Athleten ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen. Für einige kam das überraschend, andere blicken trotzdem nicht nur zufrieden auf die Saison zurück. Wir stellen sie alle vor, heute Hindernisläuferin Olivia Gürth (Silvesterlauf Trier).
Jan-Henner Reitze

Olivia Gürth
Silvesterlauf Trier

Bestleistung: 

3.000 Meter Hindernis: 9:15,17 min (2024)

Erfolge:

U23-Europameisterin 2023
U20-Europameisterin 2021
Deutsche Meisterin 2024

Schaut man auf das große Ganze, so könnte die Karriere von Olivia Gürth kaum besser laufen. Schon in ihrer Jugend in ihrer Heimat in Diez in Rheinland-Pfalz, wo eigentlich eher Breitensport betrieben wird, lief sie in die europäische Nachwuchsspitze und erarbeitete sich eine Grundlage für den Schritt in den Leistungssport. Für den entschied sich die 22-Jährige vor zwei Jahren und schloss sich der Trainingsgruppe von Wolfgang Heinig in Frankfurt an. Das führte zu einem Leistungsschub hinein in die erweiterte Weltspitze. Im vergangenen Jahr beeindruckte die Hindernisläuferin mit einer Steigerung um fast eine halbe Minute. WM-Finalistin, Olympia-Teilnehmerin, Deutsche U23-Rekordlerin – nur eine Auswahl der Erfolge der vergangenen beiden Jahre.

Dass die Aufsteigerin dennoch eine gemischte Bilanz der zurückliegenden Saison zieht, zeigt: Die Entwicklung soll noch nicht am Ende sein. „Mit der weiteren Steigerung meiner Bestzeit bin ich sehr zufrieden. Vor allem auch, weil ich nach dem Olympia-Vorlauf auch noch in Rom in den 9:15er-Bereich gelaufen bin“, lautet der positive Teil des Fazits, aber es gibt auch einen „aber“: „Was die Platzierungen bei Meisterschaften angeht, sowohl bei Olympia als auch bei der EM, wäre es bei einer perfekten Saison anders ausgegangen.“

Eine Meisterschaft des Sommers ist aber doch bestens gelaufen. Das war die DM in Braunschweig, die im Spurt entschieden wurde. In dem konnte sich Olivia Gürth (9:45,01 min) von ihrer Trainingspartnerin Gesa Felicitas Krause (Silvesterlauf Trier; 9:46,12 min) und Lea Meyer (TSV Bayer 04 Leverkusen; 9:48,53 min) absetzen und ihren ersten DM-Titel in der Frauenklasse gewinnen. „Das war ein sehr schöner Moment, als ich beschleunigen und mich lösen konnte. Ich habe aber auch sehr vom langsamen Rennverlauf profitiert.“

Laufbahn beginnt im familiären Rahmen

Mit der Leichtathletik begann Olivia Gürth als sie in ihrer Heimat in Diez in die fünfte Klasse ging. Ihr Sportlehrer Jörg Rammner war gleichzeitig Trainer beim Diezer TSK Oranien und motivierte seine Schülerin, mit dem Training zu beginnen. Die junge Athletin trat zuerst in allen Disziplinen an. „Kreismeisterschaften waren der Saisonhöhepunkt. Ich kann mich noch erinnern, wie aufregend es für mich war, als ich zum ersten Mal zu Rheinland-Pfalz-Meisterschaften gefahren bin.“ Stück für Stück wuchs ihre Leichtathletik-Welt. Besonders unterstützt wurde die heutige Leistungssportlerin schon damals von ihrer Mutter Sarah, die selbst hobbymäßig läuft.

Die Laufdisziplinen stellten sich auch als größte Stärke von Tochter Olivia heraus, die mit dem Wechsel zu Trainer Lutz Preußner in den Mittelpunkt rückten. In der Altersklasse W15 trat sie auf allen Strecken von 100 Metern bis zum Fünf-Kilometer-Straßenlauf an und nahm an ihren ersten Deutschen Meisterschaften teil. Die U16-DM in Bremen brachte eine Bestzeit (2:16,77 min) und Rang sechs über 800 Meter.

Behutsamer Aufstieg bis zum ersten U18-DM-Gold

Mit dem Aufstieg in die U18 entdeckte Olivia Gürth ihr Talent für die Hindernisse. Als sie dann noch mitbekam, dass es auch für ihre Altersklasse schon internationale Meisterschaften gab, wurde klar: Laufen kann mehr werden als ein Hobby. „Ich komme aus einem kleinen Verein, da haben internationale Wettkämpfe keine Rolle gespielt.“

Die nationale Konkurrenz war allerdings stark, so dass es zum Beispiel 2018 knapp nicht für die Qualifikation zur U18-EM in Györ (Ungarn) reichte. Ein Jahr später klappte es dann aber immerhin bei der Jugend-DM in Ulm über 1.500 Meter Hindernis (4:48,14 min) mit dem ersten Meisterschaftstitel auf nationaler Ebene im Nachwuchsbereich. „Wie dieses Jahr der erste Titel in der Frauenklasse, war das etwas ganz Besonderes.“

U20-EM-Titel und Entschluss für den Leistungssport

Auch in den Corona-Jahren ging die sportliche Entwicklung kontinuierlich weiter, ohne dass es dabei extreme Leistungssprünge gab. National war Olivia Gürth in ihren U20-Jahren die Nummer eins über die Hindernisse. Und als es endlich für den ersten Start im Nationaltrikot reicht, wurde der auch noch mit Gold gekrönt: Bei der U20-EM 2021 in Tallinn (Estland) lief die damals 19-Jährige zum Titel, dazu mit ihrer ersten Zeit über 3.000 Meter Hindernis unter zehn Minuten (9:59,15 min). „Dieser Erfolg hat mich bestärkt, weiter zu machen.“

Im selben Sommer machte sie auch Abitur und entschied erst einmal, weiter zu Hause zu bleiben. Im Herbst startete, wegen Corona hauptsächlich online, ein Biologie-Studium an der Uni Mainz. Das Training ging in bewährte Manier weiter und die Bestzeiten fielen auch 2022. 9:47,76 Minuten über die Hindernisse führten zur Heim-EM in München, bei der allerdings im Vorlauf (9:50,95 min) Endstation war.

„In dem Jahr kam der Wunsch auf, mich einer größeren Gruppe anzuschließen, auch um in mehr Trainingslager zu fahren und den Schritt in die internationale Klasse zu schaffen.“ Über Nachwuchsbundestrainer Georg Lehrer, bei dem Olivia Gürth damals schon einmal pro Woche in Frankfurt trainierte, bestand schon Kontakt zu Wolfgang Heinig und dessen Trainingsgruppe. Der schloss sich die Athletin von Silvesterlauf Trier an. „Es war toll, dass Wolfgang Heinig mich aufgenommen hat.“

Anschluss an internationale Spitze

Mit dem Wechsel begann ein Aufstieg, wie ihn wohl viele gern auf dem Papier planen. Olivia Gürth setzte ihn in die Tat um und legte vor allem in der Saison 2023 auf allen Distanzen große Leistungssprünge hin. Über 800 Meter steigerte sie sich von 2:07,37 Minuten auf 2:03,70 Minuten, über 1.500 Meter von 4:20,59 Minuten auf 4:14,86 Minuten und über 3.000 Meter Hindernis sogar von 9:47,76 Minuten auf 9:20,08 Minuten. Hinzu kamen der Titel bei der U23-EM, der Finaleinzug beim ersten WM-Start, die Olympia-Norm, die deutsche U23-Bestleistung und die Auszeichnung als „Deutschlands Leichtathletin des Jahres“.

Hinter dieser rasanten Entwicklung steckt die Aufnahme von kontinuierlichem Höhentraining. „Wolfgang Heinig hat darin große Erfahrung und ich habe sehr gut auf den neuen Reiz reagiert“, erklärt die Hindernis-Spezialistin, die auch von ihrer über Jahre erarbeiteten Trainingsbasis profierte. „Die Umfänge in meinen Jugendjahren waren noch gar nicht so groß.“

Dazu kommt das Privileg, mit erfahrenen Top-Athletinnen trainieren zu können, zuerst vor allem mit der slowenischen Rekordhalterin Marusa Mismas-Zrimsek und seit dem Wiedereinstieg nach ihrer Babypause auch mit der Deutschen Rekordhalterin Gesa Felicitas Krause. „Im Training kann ich versuchen, an den beiden dranzubleiben, und habe Zeiten geschafft, auf die ich richtig stolz sein konnte. Das war eine riesige zusätzlich Motivation“, erzählt die 22-Jährige, die sich seit ihrem Trainerwechsel voll auf den Sport konzentriert.

Bestzeit weiter steigern, bei Meisterschaften weiter nach vorne

In diesem Jahr gingen die Fortschritte in Sachen Bestzeiten weiter. Vom Diamond League-Meeting in Rom (Italien) steht die Steigerung über die Hindernisse auf 9:15,17 Minuten.  Dass es bei der EM mit Rang elf und dem nur um eine Hundertstel verpassten Olympia-Finale bei den großen Meisterschaften der Saison nicht optimal lief, ist eine Grund mehr, weiter an sich zu arbeiten. In den nächsten Jahren soll es auch beim Saisonhöhepunkt weiter nach vorne gehen.

Mit dem späten Termin der WM im kommenden Jahr, die vom 13. bis 21. September in Tokio (Japan) ausgetragen wird, steht wieder eine neue Herausforderung bevor – auch in Sachen Saisonaufbau. Dabei verlässt sich Olivia Gürth voll auf die Erfahrung ihres Trainers. „Eine neue Bestzeit ist wieder das Ziel, hoffentlich kommt die bei der WM.“ Aber vor dem neuen Saisonaufbau genießt die Deutsche Meisterin erst einmal ihre Saisonpause. In der zieht es die 22-Jährige nicht in die Ferne, stattdessen widmet sie sich zu Hause der Erziehung ihres Hundewelpen.

Video-Interview: Olivia Gürth: "Die letzten 200 Meter haben einfach gepasst"
Video: Olivia Gürth ringt auf der Zielgeraden Gesa Krause nieder

Das sagt der leitende Bundestrainer Lauf Werner Klein:

Mit der Karriere von Olivia ist es steil nach oben gegangen. Auch ihre Zeit von 6:00,50 Minuten über 2.000 Meter zum Saisonabschluss beim ISTAF steht dafür,  dass sie in den kommenden Jahren noch mehr vor sich hat. Sie hat eine sehr breit aufgestellte Leistungsfähigkeit. Olivia ist ein starker Wettkampftyp, auch wenn ihr im Olympiavorlauf ein Fehler unterlaufen ist. Das wird ihr nie wieder passieren. Sie ist eine voll fokussierte Athletin, die ihren Sport professionell betreibt und bereit ist, dafür auf andere Dinge zu verzichten. Das sind Charaktereigenschaften, die der Laufsport erfordert. In Zukunft wird Olivia in internationale Finals einziehen. Dafür bringt sie alles mit. Das hat sie bei der WM in Budapest auch schon gezeigt.

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