In Kassel haben im vergangenen Sommer zehn Athletinnen und Athleten erstmals bei Deutschen Meisterschaften ganz oben gestanden. Dazu zählen viele junge, neue Gesichter in der DLV-Spitze. Wir stellen sie vor. Heute: 800-Meter-Läufer Luis Oberbeck (LG Göttingen).
Luis Oberbeck
LG Göttingen
Bestleistung:
800 Meter: 1:46,35 sec (2023)
Erfolge:
Siebter World University Games 2023
Deutscher Meister 2023
Im Alter von 23 Jahren hat Luis Oberbeck gerade sein erstes echtes Jahr auf den 800 Metern hinter sich. Der Quereinsteiger spielte lange Fußball, nebenbei blitzte aber schon sein Talent für die Leichtathletik auf. So richtig bewusst wurde ihm dieses Talent im Jahr 2020. Seitdem brauchte es etwas Zeit, die richtige Strecke und das passende Trainingsumfeld zu finden, sowie die körperlichen Voraussetzungen zu schaffen, um über das Talent hinaus Leistungsfähigkeit auszubauen.
Das gelang dem Studenten erstmals in diesem Sommer, und es katapultierte ihn direkt in die DLV-Spitze. Dem ersten Einsatz in der A-Nationalmannschaft bei der Team-EM folgten der Titel bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel sowie der Finaleinzug bei den World University Games in China.
Dass der Athlet der LG Göttingen mit seiner früh in der Saison in Karlsruhe aufgestellten Bestzeit von 1:46,35 Minuten unzufrieden ist, zeigt: Er ist nicht in den Leistungssport hineingeschlittert, sondern verfolgte schon dementsprechende Ziele. Auf seinen vielen neu gewonnenen Erfahrungen möchte der Senkrechtstarter aufbauen und sich in den kommenden Jahren auch an die internationale Spitze heranarbeiten.
Hauptsache Fußball, Leichtathletik eine Nebenrolle
In seiner Kindheit in Neuhof in der Gemeinde Lamspringe in Niedersachsen begann Luis Oberbeck früh im Verein Fußball zu spielen. „Da war ich vier oder fünf Jahre alt, und wie viele Jungs habe ich davon geträumt, einmal Profi und Weltmeister zu werden“, erinnert sich der heutige Mittelstreckler. Leichtathletik spielte aber auch eine Rolle in seiner Familie, die beim TSV Neuhof bis heute sportlich aktiv ist. „Mit meinen Eltern und meiner Schwester habe ich mehrmals das Sportabzeichen gemacht.“ Am Wochenende ging es auch ab und zu mal zu einem Volkslauf.
Auch seine Abitur-Prüfungen legte der damalige Schüler unter anderem in der Leichtathletik ab und besserte mit Höchstpunktzahlen seine Note auf. Der Fußball beim MTV Almstedt, in der Saison 2018/2019 auch in der Landesliga, blieb aber weiterhin Hobby Nummer eins. Von der Ambition, einmal Profi zu werden, hatte er sich aber schon verabschiedet.
Ohne Training 50er-Zeit über 400 Meter
An einem Abend im Juni 2019 hatte der damals 19-Jährige dann nichts Besseres zu tun, als im Nachbarort Alfeld an einem Wettkampf teilzunehmen. „An dem Tag war kein Fußball, ein Freund der Familie hat mich mitgenommen, und ich hatte noch die Spikes von meiner Abiprüfung“, erinnert sich der heutige Leistungssportler. Im Hochsprung meisterte er an diesem Abend 1,80 Meter, die 400 Meter legte er ohne Training in 51,36 Sekunden hin. „Ich war auch noch für die 1.500 Meter gemeldet. Die habe ich dann nicht mehr mitgemacht, weil ich los musste“, erzählt Luis Oberbeck schmunzelnd. „An dem Tag bin ich noch mit dem Fußball auf Mannschaftsfahrt abgefahren.“
Das Interesse an der Leichtathletik war dennoch geweckt und mit der Leistung über 400 Meter die Norm für die Norddeutschen Meisterschaften erfüllt. Dort steigerte sich der Quereinsteiger als Achter auf 50,23 Sekunden. Das war dann Grund genug, um mit dem Training anzufangen. Neben dem Fußball kamen ein- bis zweimal pro Woche Leichtathletik-Einheiten dazu, unter der Anleitung von Rolf Geese in Göttingen. Dort hatte der Niedersachse inzwischen ein Bachelorstudium in Betriebswirtschaftslehre aufgenommen.
Entwicklung wird durch Verletzungen ausgebremst
Der Trainingseinstieg führte in der folgenden Hallensaison zum ersten Landestitel (50,51 sec) und als Dritter der Norddeutschen Meisterschaften zur ersten 400-Meter-Zeit unter 50 Sekunden (49,80 sec). Trotz aufkommender Corona-Pandemie steigerte sich Luis Oberbeck im Sommer 2020 bis auf 47,96 Sekunden und wechselte zu 400-Meter-Bundestrainer Edgar Eisenkolb. „Mir wurde bewusst, dass ich in der Leichtathletik wirklich etwas erreichen kann und die bessere Perspektive habe als im Fußball.“ 2021 hörte er mit dem Vereinsfußball auf und wechselte in der Leichtathletik zur LG Göttingen.
Die Professionalisierung brachte allerdings nicht sofort den erhofften Leistungsschub. Verletzungen verhinderten einen kontinuierlichen Trainingsaufbau. „Ich war weiter in Göttingen, die Trainingsgruppe in Hannover. Ich bin ein- bis zweimal die Woche zum Training gependelt, sonst lief alles über Fernbetreuung. Ich war auch noch nicht so weit, um das Trainingspensum mitzugehen. Das war nicht ideal.“
Trotzdem blieben ein stabiles 47er-Niveau über 400 Meter, die Steigerung der Bestzeit bis auf 47,61 Sekunden und Rang fünf bei der U23-DM in Koblenz (47,82 sec). Dank dieser Leistungen wurde der damals 21-Jährige für die 4x400-Meter-Staffel des DLV für die U23-EM in Tallinn (Estland) nominiert. Er kam dort allerdings nicht zum Einsatz.
Nach Hüft-OP neuer Trainer und neue Strecke
Als ein Grund für die Verletzungsprobleme wurde schließlich ein Hüftimpingement diagnostiziert. Das bedeutet, dass Oberschenkelkopf und Gelenkpfanne nicht optimal ineinander passen. Diese Problematik wurde im März 2022 durch eine Operation behoben. Damit verbunden entschloss sich der Athlet für einen sportlichen Neuanfang beim Göttinger Trainer Thomas Schmalz.
„Er hatte bei mir schon einen guten Schritt für die 800 Meter erkannt. Außerdem waren meine Unterdistanzleistungen über 100 und 200 Meter für die weitere Entwicklung über 400 Meter nicht gerade vielversprechend“, berichtet Luis Oberbeck. „Außerdem hat auch meine Freundin in der Gruppe von Thomas Schmalz trainiert.“
Nach der OP war schnell wieder Lauftraining möglich, so dass der Athlet der LG Göttingen schon im Juli seinen ersten Wettkampf über 800 Meter bestreiten konnte. Und der verlief nur drei Monate nach dem Eingriff ähnlich gut wie der „Kaltstart“ über 400 Meter. Das Ergebnis: Sieg in 1:50,49 Minuten. In Pfungstadt blieb die Uhr einen Monat später sogar schon bei 1:48,65 Minuten stehen. Diese Zeiten deuteten an, dass mit einem vollständigen Trainingsaufbau der Verstoß in die DLV-Spitze drin sein dürfte.
DM-Titel, internationale Einsätze und weiteres Potential
Seit dem vergangenen Herbst war dann endlich ein relativ störungsfreier Trainingsaufbau möglich. Schon in der Hallensaison unterbot Luis Oberbeck in Erfurt (1:48,39 min) seine Freiluft-Bestzeit und lief in seinem ersten DM-Finale der Männerklasse in Dortmund auf Rang fünf (1:51,86 min). Zum Auftakt der Freiluftsaison legte er die 600 Meter in 1:15,34 Minuten zurück. Mit Edgar Itt (1:15,1 min) und Nico Motchebon (1:15,31 min) waren nur zwei DLV-Athleten in der Geschichte über diese „krumme Strecke“ schneller. Nur eine Woche später gelang als Dritter in Karlsruhe die Steigerung über 800 Meter auf 1:46,35 Minuten.
Diese Leistung bedeutete die Nominierung für die Team-EM in Chorzów (Polen), wo in einem taktischen Rennen Rang sieben herauskam (1:47,97 min). In Kassel dann der emotionale Höhepunkt der Saison: Nicht weit entfernt von der Heimat und vor Familie und Freunden auf der Tribüne spurtete der 23-Jährige mit einer beeindruckenden Zielgeraden zum Sieg (1:47,48 min). Danach folgte mit den World University Games in Chengdu (China) noch der erste Start bei einer internationalen Meisterschaft, die im Finale mit Platz sieben (1:49,80 min) endete.
Was seine Bestzeit angeht, wäre aus der Sicht des Deutschen Meisters sogar noch mehr drin gewesen. „Beim Saisonauftakt in Karlsruhe waren Bedingungen und Renngestaltung gut, danach habe ich kein perfektes Rennen mehr erwischt. Entweder wurde taktisch gelaufen, das Tempo in der ersten Runde war zu langsam oder es war zu windig.“
Anschluss an internationale Spitze herstellen
Die Motivation, seine Leistungsfähigkeit noch weiter auszureizen, ist groß. Die Weichen dafür sind gestellt. Der Bachelor ist abgeschlossen, der Management-Master gerade gestartet, steht aber hinter den sportlichen Ambitionen an. Ab dem Frühjahr ist beispielsweise ein Urlaubssemester eingeplant. Mit Carine Messerschmidt kümmert sich eine Athletenmanagerin darum, Startplätze bei internationalen Meetings zu bekommen. Mit dem DM-Dritten Emil Meggle (LG Stadtwerke München; 1:47,98 min) hat sich ein Athlet der DLV-Spitze seiner Trainingsgruppe angeschlossen. Und es sind mehr Trainingslager geplant.
Die Direkt-Normen für die internationalen Höhepunkte der kommenden Saison liegen für die EM in Rom (Italien; 7. bis 12. Juni) bei 1:45,20 Minuten und für die Olympischen Spiele in Paris (Frankreich; 1. bis 11. August) bei 1:44,70 Minuten. In diesen Leistungsbereich möchte Luis Oberbeck vorstoßen und auch langfristig auf internationalem Niveau mitreden.
Video-Interview: Luis Oberbeck: "Heute ist der Tag"
Das sagt Bundestrainer Georg Schmidt: |
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In Luis hat schon immer ein 800-Meter-Läufer gesteckt, auch als er noch Fußball gespielt hat oder als er zu Beginn seiner Leichtathletik-Laufbahn auf der 400-Meter-Strecke unterwegs war. Bemerkenswert ist, mit wie wenig Trainingsaufwand er in seiner Anfangsphase schon starke Zeiten gelaufen ist. Hochgefahrene Trainingsbelastungen mit hohen Geschwindigkeiten, aber fehlender technischer Ausbildung haben dann zur Verletzungsanfälligkeit geführt. Da besteht immer noch etwas Nachholbedarf.
Thomas Schmalz hat ihn zu den 800 Metern gebracht, wo er im vergangenen Jahr mit nur wenig Trainingswochen dafür eine überragende Zeit von 1:48 gelaufen ist. Da konnte man erahnen, was er drauf hat. In der vergangenen Hallensaison hat fehlende Erfahrung noch bessere Ergebnisse verhindert, auch weil über die vier Hallenrunden die Taktik eine noch größere Rolle spielt. Auch im Sommer hat er sich in einigen Rennen noch unter Wert verkauft. In Kassel hat er einen eindrucksvollen Schlussspurt hingelegt und hochverdient gewonnen.
Luis hat klare Vorstellungen, wo er im Leistungssport hin möchte. Ende des Jahres und im kommenden März fährt er mit uns ins Trainingslager nach Südafrika. Er bringt alles mit, um die Qualifikation für die Europameisterschaften und auch die Olympischen Spiele zu schaffen. Dafür ist es nötig, gesund zu bleiben und das Training voll durchziehen zu können.