Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo (LG Kurpfalz) geht ihre Titelverteidigungen bei den Jahreshöhepunkten mit „Lockerheit“ an. Bei der WM von diesem Freitag an bis zum 24. Juli in Eugene (USA) will sie ebenso wie bei der Heim-EM in München vom 15. bis 21. August ihren Titel erfolgreich verteidigen. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht die 28-Jährige über sportliche und persönliche Ziele, politische Themen wie den Krieg in der Ukraine und ihren weiteren Karriereplan.
Malaika Mihambo, Sie sind Olympiasiegerin, Weltmeisterin, Europameisterin, mit WM und EM steht für Sie das Jahr der Titelverteidigungen an. Was machen die Gedanken daran mit einem?
Malaika Mihambo:
Ich habe in meinem Sportlerleben alles erreicht, was man sich wünschen kann. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich merke, dass ich in mir nicht mehr diesen Titelhunger habe oder das Gefühl, irgendjemandem anderen oder mir selbst etwas beweisen zu müssen. Deshalb kann ich jetzt ganz locker und entspannt an den Start gehen. Ich hoffe, dass ich diese Lockerheit dafür nutzen kann, noch besser und noch weiter zu springen.
Wann wäre das Jahr 2022 für Sie ein Erfolg?
Malaika Mihambo:
Für mich wäre das Jahr 2022 ein erfolgreiches Jahr, wenn ich am Jahresende sagen könnte, ich habe sehr gute Wettkämpfe gemacht, mein Bestes gegeben und das zeigen können, was in mir steckt. Auf der anderen Seite geht es mir immer auch darum, an meinem eigenen Glück zu arbeiten und mich als Mensch weiterzuentwickeln und zu wachsen. Das ist mir wichtiger als jeder sportliche Erfolg.
Sie sprechen es an: weiterentwickeln, wachsen, Sie lieben Fortschritte, wie sie schon oft betonten. Welche Fortschritte haben Sie seit Ihrem Olympiasieg gemacht?
Malaika Mihambo:
Ich habe einige Fortschritte gemacht. Zum einen technische Fortschritte, nachdem ich vor allem 2021 Probleme mit meinem Anlauf hatte. Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir das über den Winter sehr gut geschafft haben. Wir haben intensiv am Sprint und an der Sprinttechnik gearbeitet. Das zahlt sich aus. Die Geschwindigkeiten sind wieder sehr hoch – ähnlich wie 2019, als ich Weltmeisterin wurde. Und auch persönlich habe ich mich weiterentwickelt.
Wenn wir bei Fortschritten bleiben: Sie sind ein sehr politischer Mensch und sprechen gerne über Themen außerhalb des Sports. Welche Fortschritte würden Sie sich aktuell in der Gesellschaft wünschen?
Malaika Mihambo:
Ich würde mir sehr viele Fortschritte in der Gesellschaft wünschen. Unser System, wie wir gerade zusammenleben, zeigt uns, dass es an vielen Stellen nicht funktioniert. Bei einem Thema wie etwa der Nachhaltigkeit liegt es zwar am Konsumenten, weniger zu verbrauchen oder das Richtige zu kaufen. Aber letztendlich sollte die Politik den Rahmen schaffen, dass sich der Konsument nur zwischen nachhaltig und nachhaltig entscheiden kann. Ein anderes Thema ist das Miteinander. Die Spaltung ist durch Corona nochmal deutlicher geworden, neue Medien beschleunigen diese Prozesse. Der Umgangston wird rauer. Jetzt wäre es die Aufgabe, neue Alternativen zu suchen. Als Sportler kann man solch grundsätzliche Punkte nicht lösen, aber man kann darauf hinweisen. Lösen können das ohnehin nur viele Menschen zusammen, aber Sensibilisierung ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.
Wie blicken Sie als Umweltwissenschaftlerin auf die aktuelle Energieproblematik?
Malaika Mihambo:
Natürlich mache ich mir Gedanken und sehe dabei die Problematik, in der man in der aktuellen Situation steckt. Sie ist auch eine Folge von Entscheidungen, die wir vor ein paar Jahren getroffen haben. Sich immer wieder für den scheinbar richtigen, aber brüchigen Weg zu entscheiden, ist nicht tragfähig. Jetzt wäre es an der Zeit, neue Wege zu gehen, die auch zukunftsfähig sind.
Sie haben zum Start in das Wettkampfjahr davon gesprochen, wie sehr Sie der Krieg in der Ukraine belastet. Wie verhält sich das aktuell?
Malaika Mihambo:
Das hat mich sehr mitgenommen und belastet – und es nimmt mich auch heute noch mit. Krieg gehört leider zur Tagesordnung in unserer Welt, auch wenn das in Europa wegen der Entfernung oft anders wahrgenommen wurde. Das hat sich durch den Krieg in der Ukraine geändert. Die Situation dort macht mich sehr betroffen.
Wie ist der Kontakt zu ihrer ukrainischen Weitsprungkollegin Maryna Bech-Romantschuk?
Malaika Mihambo:
Sie ist die einzige ukrainische Leichtathletin, mit der ich näher zu tun habe. Wir absolvieren dieselben Wettkämpfe und kennen uns, seitdem wir schon bei internationalen Jugend-Wettkämpfen gegeneinander angetreten sind. Ich habe mich zu Beginn dieses Angriffskrieges durch Russland bei ihr erkundigt, wie es ihr und ihrer Familie geht, ob sie in Sicherheit ist, ob ich was für sie tun kann. Bei den Wettkämpfen haben wir auch über ihr Leben in Zeiten des Krieges gesprochen. Ich bin mit ihr über das Sportliche hinaus auch in dieser Zeit verbunden.
Wie wichtig und positiv ist es, dass Sportler aus der Ukraine bei den internationalen Wettkämpfen starten dürfen und können?
Malaika Mihambo:
Das ist sehr wichtig. Zum einen ist es Beruf der Sportler und es ist schön, wenn man diesen ausüben und sich wenigstens ein Stück Normalität erhalten kann. Sie können und wollen ihren Leidensdruck auch in gute Leistungen umsetzen. Zum anderen sind die Starts und Leistungen auch Zeichen für die Gesellschaft. Der Sport kann ein guter Weg sein, positive Nachrichten in dieses krisengezeichnete Land zu bringen.
Dagegen dürfen Sportler aus Russland bei der WM und EM ohne Ausnahmen nicht starten. Ist das eine richtige und konsequente Reaktion oder bedauern sie, dass diese Leichtathleten ausgeschlossen wurden?
Malaika Mihambo:
Auf persönlicher Ebene ist das sehr bedauerlich. Ein Sportlerleben ist kurz und jeder Sportler möchte die Zeit bestmöglich nutzen. Das ist tragisch für den Einzelnen. Zumal für die, die mit dem politischen System Russlands wenig Kontakt haben. Aber hier überwiegt das große Ganze. Natürlich ist der Sport auch eine Bühne, die innenpolitisch instrumentalisiert werden kann, und ich finde es richtig, diese Bühne für Russland deutlich zu minimieren. Dass der Sport daher russische Athleten ausschließt, finde ich legitim.
Kommen wir zurück zu Ihnen. Sie haben alles gewonnen in ihrer Sportart. Wie sieht Ihr weiterer sportlicher Weg aus?
Malaika Mihambo:
Das frage ich mich auch oft. Ich mache so lange weiter, wie der Körper mitmacht und die Lust und das Leistungsvermögen es zulassen. Mich treibt die Neugier an zu schauen, wo ich noch hinkommen kann. Wie weit kann ich noch springen? Daneben ist es auch eine innere Meisterschaft. Ich nehme den Sport immer als äußere Meisterschaft, um zu schauen, wie weit kann ich mich noch verbessern. Aber es ist für mich innerlich ein wichtiger Weg, mich mental noch besser auf Dinge einlassen zu können und zu wachsen. Und diesen Weg möchte ich gerne weitergehen.
Wie hat sich Ihre mentale Stärke seit dem Olympiasieg verändert?
Malaika Mihambo:
Gerade auf dem Weg zum Olympiasieg habe ich viel lernen dürfen. 2019, im Jahr meines WM-Titels, war es ganz leicht. Man hat einfach jeden Wettkampf mit mindestens 20 Zentimetern Vorsprung gewonnen. Es ist nicht schwer, an sich zu glauben, wenn alles gut läuft und einfach ist. Dann musste ich – oder besser durfte – 2021 lernen, wie schwer es ist, an sich zu glauben, wenn es nicht so läuft und man bei fast jedem Wettkampf denkt, man sei unter Wert aus dem Wettkampf gegangen. Wenn einem Außenstehende das Leistungsvermögen absprechen oder einen aufgeben, darf man selbst nicht anfangen, am eigenen Stuhl zu sägen, sondern muss weiter an sich glauben.
Ihre Bestweite beträgt 7,30 Meter, in diesem Jahr sind 7,09 der Topwert. Wie weit kann das in Ihrer Karriere noch gehen? Denken Sie hin und wieder auch an den deutschen Rekord von Heike Drechsler (7,48) oder gar an den Weltrekord von 7,52 Metern?
Malaika Mihambo:
7,30 Meter waren sehr gut, auch im Kontext der vergangenen zwei Jahrzehnte. Aber es ist noch eine Welt zu den Rekorden. 20 Zentimeter sind sehr viel im Weitsprung. Mein Ziel ist es, mich erstmal in den höheren 7-Meter-Weiten zu etablieren.
Das Projekt, sich einen neuen Input durch Training bei Leichtathletik-Legende Carl Lewis in den USA zu holen, steht erstmal hinten an?
Malaika Mihambo:
So ist es. Das wäre nur denkbar für einen längeren Saisonaufbau. Die Zeit von ein, zwei Monaten hat man nur im Herbst – und da war im vergangenen Jahr die Corona-Lage noch zu unsicher. Jetzt konzentriere ich mich auf die Saison, aber man kann schauen, ob es in diesem Herbst passt.
Den weiteren sportlichen Weg von Malaika Mihambo haben Sie skizziert – wo soll Ihr persönlicher Weg hinführen?
Malaika Mihambo:
Daran arbeite ich täglich. Ich will mich als Mensch weiterentwickeln, widme mich viel der Meditation und Selbstreflexion, will mich besser ergründen können und besser kennenlernen. Man kann noch sicherer im Leben stehen, wenn man weiß, wer man ist. Darüber hinaus möchte ich immer Neues lernen. Das mache ich etwa über das Studium oder gerade mache ich einen Spanischkurs. So gibt es immer neuen Input. Aber am Ende des Tages geht es darum, sich mit Menschen zu verbinden, mit Menschen in Kontakt zu sein – und gerade mit Freunden und Familie die Zeit zu nutzen, die man hat.
Denken Sie auch schon an die Zeit nach der Karriere oder ist das noch zu weit weg?
Malaika Mihambo:
Natürlich denke ich da auch schon dran. Aber der Weg, den ich jetzt gehe, führt mich zu meinem Ziel – auch über die sportliche Karriere hinaus. Umwelt- und soziale Themen liegen mir sehr am Herzen. Wenn ich da einen Platz finde, von dem aus ich einen positiven Beitrag leisten kann, würde mich das glücklich machen.
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)