Die meisten der 90 für die Tokio-Spiele nominierten Leichtathleten wollen in einem japanischen Trainingslager in Miyasaki noch mal Kraft und mentale Stärke für die Medaillenkämpfe tanken. Zudem können sie sich auf das eingeschränkte Leben im Olympischen Dorf einstellen.
Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul (USC Mainz) hätte nichts dagegen, im vorolympischen Trainingslager im japanischen Miyasaki mit dem deutschen Rekordler Johannes Vetter (LG Offenburg) ein paar Speere zu werfen. „Die Motivation, 80 Meter zu werfen, ist aber auch so da“, meinte der 23-jährige Mainzer. „Man kann vielleicht eine gemeinsame Wurfeinheit machen, aber viel umstellen kann man nicht mehr.“
Für die meisten der 90 deutschen Leichtathleten ist das Trainingscamp eine Zwischenstation auf dem Weg zu den Tokio-Spielen, wo am 30. Juli die Medaillenkämpfe für sie beginnen, um sich an das Klima mit Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit zu gewöhnen sowie sich der Zeitumstellung anzupassen. Zudem können sich Kaul und Co. dort an die Corona-Vorschriften mit täglichem Testen und einen auf das Hotel- und Trainingsgelände beschränkten Bewegungsspielraum gewöhnen.
„Es ist sinnvoll, eine Woche Japan zu haben, um sich an das Klima zu gewöhnen und den Jetlag abzubauen sowie die Freiheit zu haben, noch mal ordentlich zu trainieren“, sagte Kaul. Dies werde im Olympischen Dorf nicht mehr uneingeschränkt gehen. „Schwerpunkt ist, noch an ein paar Stellschrauben zu drehen und den Feinschliff zu machen“, sagte Max Heß (LAC Erdgas Chemnitz), Dreisprung-Europameister von 2016. „Wir wollen dort intensiv trainieren, um in Tokio nicht mehr hart arbeiten müssen.“ Erklärtes Olympia-Ziel für den 17-Meter-Springer aus Chemnitz: Das Finale erreichen. In Rio de Janeiro 2016 schied er in der Qualifikation aus.
Ideale Bedingungen in Miyazaki
Eine Goldmedaille hat sich schon vor der Eröffnung der Tokio-Spiele Siegfried Schonert verdient. Der Teammanager der Nationalmannschaft hat 2017 die Vorbereitungen mit der Suche nach einem geeigneten Ort begonnen und musste in den Wochen vor der Abreise noch Berge von Papierkram bewältigen, die die Japaner wegen Corona-Angst anhäufen. Abgesehen davon hält er die Wahl des modernen Trainingsareals in der Küstenstadt Miyazaki für perfekt: „Wir haben ideale Bedingungen.“
Auf dem Gelände stehen drei Stadien mit allen Anlagen für die technischen Disziplinen. Auch an der Möglichkeit, noch mal richtig Kraft zu tanken, fehlt es in den fast riesigen Gyms nicht. „Das sind Krafthäuser, was die Dimension angeht, die es dort gibt“, berichtete Schonert. Die Läufer finden hingegen in einem dem Hotelgelände angeschlossenen großen Waldgebiet markierte Laufstrecken im Schatten.
Ruhe für den Wettkampf finden
„Wegen Corona darf sich kein anderer auf dem Riesengelände aufhalten“, sagte Schonert. Umgekehrt dürfen die nach und nach anreisenden Athleten das Hotel, im dem sie die oberen drei Stockwerke exklusiv bewohnen werden, nur zum Training und das ganze Areal gar nicht verlassen. „Das macht es ein bisschen brisanter“, meinte er, „aber das wird uns im Olympischen Dorf auch erwarten.“
Die totale Abschottung von der Außenwelt müsste auch für Annett Stein, Cheftrainerin der deutschen Leichtathleten, nicht sein. Der Zwischenstopp ist für sie dennoch eine wichtige Etappe, um „fernab von den Abläufen zu Hause die Ruhe für den eigenen Wettkampf zu finden“. Außerdem könne man sich schon auf das eingeschränkte Leben einstellen, das die Sportler im Olympischen Dorf erwartet.
Eigene Wege beschreiten zwei prominente Läuferinnen. Hindernis-Europameisterin Gesa Krause (Silvesterlauf Trier) reist aus einem Höhentrainingslager nach Tokio an. Direkt aus den USA fliegt die WM-Dritte über 5.000 Meter, Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen), nach Japan, wo sie über 10.000 Meter vorne mitrennen will. Außerdem beziehen die Marathonläufer und Geher im klimatisch moderateren Sapporo, wo auch ihre Medaillen vergeben werden, ein separates Trainingslager in Shibetsu auf der japanischen Insel Hokkaido.