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Clemens Prüfer – Langfristiger Karriereaufbau mit Geduld und Lockerheit

Olympia-Verschiebung, EM-Absage, viel Unsicherheit, dann aber doch Deutsche Meisterschaften in Braunschweig. Im Jahr 2020 war coronabedingt vieles anders. Hervorgebracht hat der Sommer dennoch wieder neun DLV-Athleten, die ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen haben. Wir stellen sie vor, heute Diskuswerfer Clemens Prüfer (SC Potsdam).
Jan-Henner Reitze

Clemens Prüfer
SC Potsdam

Bestleistung:

Diskuswurf: 63,76 Meter (2019)

Erfolge:

Silber U23-EM 2019
Bronze U23-EM 2017
Sechster U20-WM 2016
Silber Olympische Jugendspiele 2014
Deutscher Meister 2020

250 Gramm sind im Diskuswurf der Männer eine Welt. Das bekommt jeder Nachwuchsathlet in Bezug auf das Gewicht seines Wurfgeräts zu hören. Und auch die Statistik bestätigt das. Seit dem Jahr 2010 haben in Deutschland 15 Athleten der Altersklasse U20 den 1,75 Kilo Diskus über die 60-Meter-Marke geschleudert. Bisher ist es nur einem von ihnen gelungen, seine Bestleistung aus dieser Zeit mit der zwei Kilo schweren Männerscheibe zu übertreffen: Sebastian Scheffel (SV Halle) schickte den U20-Diskus im Jahr 2012 auf 61,44 Meter, den Männerdiskus im Jahr 2017 auf 62,61 Meter.

„Leichtere Disken verzeihen noch Unsauberkeiten. Der Zweier verzeiht nichts“, weiß auch Clemens Prüfer. Der Athlet vom SC Potsdam gehört zu den Diskuswerfern, die in der Männerklasse noch auf der Jagd nach ihrer Bestleistung mit dem 1,75-Kilo-Gerät sind (66,27 m). Ihm war aber immer klar, dass es ein hartes Stück Arbeit sein wird, bei den Männern an diese Weite heranzukommen, wo er bisher bei 63,76 Metern angelangt ist. Der 23-Jährige hat dafür Zeit und Geduld eingeplant.

Gemeinsam mit seinem Trainer Jörg Schulte, seinem anderthalb Jahre älteren Bruder Henning, der die gleichen Ziele verfolgt, und seinem Umfeld in Potsdam ist der langfristige Plan seit Jahren auf Olympia 2024 ausgerichtet. Bis dahin soll auch die Jugendbestweite fällig sein. Fällt die Marke von 66 Metern schon im nächsten Jahr, rückt sogar „vorgezogene Olympia-Luft“ in Reichweite. Denn bei 66 Metern liegt die Norm für die Spiele in Tokio (Japan). Ein Ausrutscher in diese Richtung hat im zurückliegenden Sommer auf sich warten lassen. Auf der Habenseite steht neben stabilen Ergebnissen um 63 Meter dafür der erste deutsche Meistertitel bei den Männern.

Vom Mehrkämpfer zum Werfer

Leichtathletik gehörte schon in der Kindheit zum Alltag von Clemens Prüfer, dessen Eltern leistungssportlich gerudert haben. „Mein Bruder und ich waren sehr aktive Kinder. Wir haben früh mit Leichtathletik und Fußball angefangen. Mit der Zeit wurde es immer mehr Leichtathletik und weniger Fußball“, erinnert sich der heutige Diskuswerfer an seine Anfänge beim LAC Mühl-Rosin Güstrow in seiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern.

Begeisterung und Talent führten nach der Grundschule auf die Sportschule in Neubrandenburg, zuerst in die Mehrkampfgruppe. „Wachstumsbedingt hatte ich dann aber Probleme mit Knien und Achillessehnen, so dass ich nicht sprinten oder springen konnte“, erzählt der Sportsoldat. „Deshalb habe ich mehr geworfen, was gut lief und mir Spaß gemacht hat.“

In der Gruppe des heutigen Bundestrainers Torsten Lönnfors ließ der Erfolg nicht lange auf sich warten. Schon als 14-Jähriger übertraf er mit dem Ein-Kilo-Diskus die 60-Meter-Marke (61,88 m) und führte damit im Jahr 2012 die DLV-Bestenliste der Altersklasse U16 an. Im ersten U18-Jahr folgten mit Silber mit der Fünf-Kilo-Kugel (18,91 m) und Bronze mit dem 1,5-Kilo-Diskus (56,69 m) in Rostock die ersten Medaillen bei Deutschen Jugendmeisterschaften.

Wechsel nach Potsdam mit langfristigem Plan

Zu seinem zweiten U18-Jahr wechselte Clemens Prüfer aufs Sportinternat nach Potsdam. „In Neubrandenburg war Torsten Lönnfors nur für die Athleten bis zur 10. Klasse zuständig“, erzählt der DLV-Athlet, der seine sportliche Ausbildung aber weiter mit der Tendenz in Richtung Diskuswurf fortsetzen wollte.

Ebenso wie sein Bruder Henning. Der hatte sich schon ein Jahr zuvor für die Gruppe von Nachwuchs-Bundestrainer Jörg Schulte in Potsdam entschieden und von guten Erfahrungen berichtet. So lag es für den jüngeren Bruder auf der Hand zu folgen. Im Internat teilten sich die Beiden bis zum Abitur von Henning ein Zimmer, mittlerweile leben sie jeweils in ihrer eigenen Wohnung in der neuen Heimat Potsdam.

Die sportliche Entwicklung setzte sich trotz des Umzugs nahtlos fort. Im Alter von 17 Jahren vertrat der Potsdamer erstmals die deutschen Farben bei internationalen Wettkämpfen und krönte seinen Start bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing (China) mit der Silbermedaille (63,52 m). Außerdem sammelte der junge Athlet im Jahr 2014 gleich drei deutsche Jugendmeister-Titel in der U18 ein, zwei mit dem Diskus und einen mit der Kugel.

Internationale Medaillen in der U23

Mit Rang zwölf bei der U20-EM 2015 in Eskilstuna (Schweden) und Rang sechs bei der U20-WM 2016 in Bydgoszcz (Polen) ging es auf internationaler Bühne weiter, auch wenn sich dabei mit dem 1,75-Kilo-Diskus nicht alle Träume erfüllten. Der Männerdiskus flog dann auch bei Großereignissen wieder wie erhofft: Silber 2019 in Gävle (Schweden) und Bronze 2017 erneut in Bydgoszcz jeweils bei der U23-EM und dazu in diesen beiden Jahren auch der nationale Junioren-Titel sind die Bilanz der U23-Jahre.

Dank kontinuierlicher Trainingsarbeit in der Gruppe von Jörg Schulte, zu der auch die Deutsche Meisterin Kristin Pudenz (SC Potsdam) zählt, sowie Ruhe und Geduld rückt die Spitze bei den Männern näher. „Das Wurfalter fängt so richtig mit 26, 27 an“, erzählt der 1,98-Meter-Mann, der auch mit seinem medizinischen Umfeld über die Jahre zu einem eingespielten Team geworden ist. Mit Rückenproblemen und einem Muskelbündelriss im Beuger mussten schon kleinere Rückschläge überwunden werden.  

Leichtere Geräte wieder häufiger im Einsatz

Trotz aller Gelassenheit und Geduld brachte die Corona-Pandemie das Jahr 2020 dann aber auch für Clemens Prüfer durcheinander, die Olympiaabsage war allerdings weniger schockierend als für andere Athleten, da die Erwartung noch nicht so groß war, schon diesmal bei den Sommerspielen dabei zu sein. Allerdings brachte Corona eine erneute Erinnerung daran, dass der schwierige Umstieg aus der Jugend auf den schwereren Männerdiskus vor allem eine Frage der technischen Feinheiten ist. 

„Als klar war, dass der Sommer 2020 nicht so ablaufen wird, wie ursprünglich gedacht, haben wir im Training ein bisschen was ausprobiert“, erzählt der Potsdamer, der neben dem Sport Wirtschaftsinformatik studiert. „Um mich schneller zu machen, habe ich im Training mehr mit leichteren Geräten geworfen. Das hat auch funktioniert.“

Die gewonnene Schnelligkeit bringt allerdings nichts, wenn dadurch Details in der Technik verloren gehen. „Bei den Wettkämpfen in diesem Sommer, bei denen die Bedingungen für große Weiten gegeben waren, habe ich keinen wirklich gelungenen Versuch hinbekommen. Das Timing hat einfach nicht ganz gepasst, wenn ich im Vergleich zum Training nochmal zwei, drei Prozent draufgelegt habe.“ So reichte es 2020 nicht ganz für eine neue Bestleistung, die mit 63,76 Meter aus dem Vorjahr stammt.

Dafür war in allen acht Saisonwettkämpfen immer mindestens eine hohe 61er-Weite dabei und bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig bewies der 23-Jährige wiederholt, dass er seine Leistung mittlerweile bei großen Wettkämpfen abrufen kann und seine Nerven im Griff hat. Auch eine wichtige Voraussetzung für noch größere Erfolge.

„Interessant wird, was in drei, vier Jahren passiert“

Dass auch auf nationaler Ebene in diesem Sommer einige starke DLV-Diskuswerfer gefehlt haben oder nicht topfit waren, ist Clemens Prüfer bewusst. Den ersten DM-Titel nimmt er als „tolle Erfahrung“ mit und als Ansporn, diesen Erfolg in den nächsten Jahren auch gegen noch stärkere Konkurrenz zu wiederholen. Nach einer erfolgreichen Operation am Handgelenk, um einer wiederkehrenden Entzündung an der Kapsel entgegenzuwirken, ist die akribische Vorbereitung auf das kommende Jahr angelaufen.

Einerseits soll in Sachen Kraft noch ein Stück draufgelegt werden, anderseits gibt es auch bei der Technik noch was zu tun. „Beim Abwurf geht zu viel Energie in die falsche Richtung und damit verloren.“ Um daran zu arbeiten, gehören auch während der Grundlagenphase immer wieder Wurfeinheiten mit dazu, damit das Technikbild steht, wenn ab Ende Februar das Werfen wieder in den Vordergrund rückt.

Greifen alle Puzzlestücke ineinander und gelingt bei guten Bedingungen der ersehnte Ausrutscher nach oben, hält der Deutsche Meister auch die Olympia-Norm von 66,00 Metern im kommenden Jahr für möglich. Damit würde auch seine Bestleistung mit dem 1,75-Kilo-Diskus (66,27 m) in Gefahr geraten. Andererseits besteht kein Druck, schon in Tokio unbedingt im Ring zu stehen. Die Geduld ist immer groß. „Ich bin ganz entspannt und lasse es auf mich zukommen. Interessant wird, was in drei, vier Jahren passiert. Da soll es richtig nach vorne gehen.“
 

Das sagt Bundestrainer Torsten Lönnfors:

Clemens hatte über die U23 eine solide Entwicklung. Da er ein ausgewogenes, starkes Leistungsprofil besitzt, ist eine weitere Entwicklung in die erweiterte Weltspitze anzunehmen. Im Jahr 2020 konnte er leider keinen entscheidenden Entwicklungssprung machen, was dann aber in 2021 zu erwarten wäre. Mit seinen sichtbaren Potenzialen könnte er, bei Ausschöpfung seiner Leistungsreserven, bis 2024 in den Kreis der nationalen Leistungsträger vorstoßen.

Clemens Stärke beim Diskuswerfen ist seine Geschwindigkeit. Er ist sehr explosiv im Ring und erreicht so hohe Abwurfgeschwindigkeiten. Das größte Potenzial liegt in der Effizienz der Kraftübertragen beim Abwurf auf den Diskus. Da geht noch zu viel Energie verloren, was am Ende mehrere Meter kosten kann. Ihn zeichnen Zielstrebigkeit, Verlässlichkeit, Ehrgeiz, Willensstärke und Lockerheit aus.

Auf Grund seiner Leistungspotenziale sollte Clemens in 2021 um die Olympianominierung mitkämpfen können, das wäre dann ein Leistungsbereich um 66 Meter. Ohne nennenswerte Ausfälle im langfristigen Trainingsprozess könnten dann in den Folgejahren Leistungen im Bereich 68 bis 70 Metern zustande kommen. Das ist allerdings auch bei seinen Voraussetzungen ein ganzes Stück Arbeit. Dieses Niveau könnte dann aber unter günstigen Bedingungen einige Jahre erhalten bleiben.

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