Schnell wie nie: Tim Stegemann vom LAC Erfurt Top-Team hat sich am Pfingstmontag in Rehlingen über 3.000 Meter Hindernis in 8:31,95 Minuten an die Spitze der deutschen Bestenliste gesetzt. Am kommenden Wochenende winkt bei der Team-EM in Lille die Premiere in der A-Nationalmannschaft. Doch der Blick geht auch schon voraus: Der Lokalmatador könnte bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt am 8./9. Juli für einen Heimsieg sorgen.
Tim Stegemann ist ein "Wahl-Erfurter". Vor vier Jahren zog der Berliner nach Thüringen, mittlerweile fühlt er sich in Erfurt wohl – und sogar heimisch: "Die Stadt hat einen gewissen Charme. Ich mag besonders den altertümlichen Stadtkern. Zudem ist hier alles fußläufig zu erreichen. Mit dem Fahrrad bin ich in noch nicht einmal zehn Minuten an der Trainingshalle." Erst kürzlich bezog er mit einem Freund eine WG – und fühle sich dadurch noch mehr zuhause. Doch aller paar Wochen, wenn es zeitlich passt, treibt es ihn in die Großstadt Berlin, zu seiner Familie.
Erfurt und Berlin: Zwei Städte, die Stegemann auch sportlich sehr viel bedeuten. Den Grundstein für die Leichtathletik-Karriere legte Trainer Markus Liesicke in Spandau. "Bei ihm habe ich eine gute athletische Ausbildung genossen. Als Schüler bin ich im Blockmehrkampf gestartet", erinnert er sich an seine Anfänge. Im ersten Jahr als A-Schüler lief es nicht wirklich gut im Hürdensprint. "Meine Technik war grottenschlecht." Also wurde daran gefeilt, die Technik im zweiten Jahr wesentlich runder, flüssiger und schneller. Noch heute profitiert Stegemann von dieser intensiven Arbeit. "Meine große Schwäche hat sich gewandelt zu meiner größten Stärke."
Aufhorchen ließ er als U18-Athlet über 2.000 Meter Hindernis. Bei seiner Premiere stand mit 6:12 Minuten eine deutsche Jahresbestleistung in den Ergebnislisten. Es folgten erfolgreiche Jahre im Jugendbereich mit internationalen Auftritten in Brixen (Italien; U18-WM 2009) und in Tallinn (Estland; U20-EM 2011). Seine erste DM-Medaille (Bronze) in der Aktivenklasse erlief er sich 2012 in Bochum-Wattenscheid.
Bewussteres Training nach Verletzungsjahren
Beruflich schloss Tim Stegemann in der nachfolgenden Saison seine Ausbildung zum Außenhandelskaufmann ab und wechselte anschließend zur Sportfördergruppe der Polizei nach Erfurt. Sportlich folgten Seuchenjahre mit Achillessehnenentzündung, Grippe, Knochenmarködem im Oberschenkel und Borreliose.
Im vergangenen Jahr fasste der Hindernisläufer daher einen Entschluss: Es muss sich etwas ändern. "Ich trainiere zwar noch intensiv, aber gezielter. Ich achte mehr auf die Signale meines Körpers und die Belastungen sind besser angepasst", erklärt er seinen neuen Schritt, der sich nun langsam auszuzahlen scheint.
Obwohl die Vorbereitung auf die neue Freiluftsaison "etwas holprig verlief". Noch im Dezember verordnete der Fuß eine Laufpause. Einige Monate später im ersten Trainingslager in Monte Gordo (Portugal) sorgte eine Magen-Darm-Grippe für eine dreitägige Zwangspause. Doch: "Bis auf die Auszeit verlief das Training recht gut." Wie auch wenige Tage später im Trainingslager in Potchefstroom (Südafrika), wo er sich stetig zu steigern wusste.
WM-Norm in Reichweite gerückt
Das erste Saisonrennen in Pliezhausen ließ sich für den Schützling von Enrico Aßmus mit Bestzeit von 5:38,36 Minuten über 2.000 Meter Hindernis schon recht gut an. Der Einstieg über 3.000 Meter folgte beim Sparkassen-Meeting in Jena. In Führung liegend kam er am vorletzten Hindernis zum Sturz. Tim Stegemann rappelte sich wieder auf und brachte das Rennen in einer starken Zeit von 8:39,95 Minuten als Zweitplatzierter hinter Martin Grau (LSC Höchstadt/Aisch) zu Ende.
Nur eine Woche später kam Rehlingen. "Wir haben schon mit einer Zeit um 8:30 Minuten geliebäugelt. Mein Trainer meinte, die Zeit schlummert in mir." Erwacht ist sie mithilfe kenianischer Starter, die mit einem Tempomacher versuchten, in den Bereich von 8:15 Minuten zu laufen. Das funktionierte nicht ganz, weil sich die afrikanische Konkurrenz vorn nicht einig war. Stegemann blieb dran und belohnte sich mit einer neuen Bestzeit. "Ich habe mich richtig doll gefreut. Mit ist ein Stein vom Herzen gefallen." Selbst die Norm (8:27,00 min) für die Weltmeisterschaften in London (Großbritannien; 4. bis 13. August) ist plötzlich in Reichweite.
Lille und Erfurt bringen Extra-Portion Motivation
Doch der Erfurter betrachtet alles, was jetzt noch kommt, als Zugabe. "Ich will mich nicht unter Druck setzen. Wenn die Norm kommt, dann freue ich mich, wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Ich will mit der nötigen Lockerheit in die nächsten Wettkämpfe gehen und Spaß haben" Seine Saisonziele hat er im Großen bereits erreicht. So wollte er primär seine Bestzeit steigern. Der seit vier Jahren zur Sportfördergruppe der Polizei angehörende Athlet unterbot zudem den geforderten Richtwert (8:33,00 min) zur weiteren Förderung.
Dass ihm die Motivation nicht ausgeht, dafür sorgen seine kommenden Starts bei der Team-EM in Lille (Frankreich; 24./25. Juni) und sein Heimspiel in Erfurt. Bei den Deutschen Meisterschaften will der schnellste deutsche Hindernisläufer des Jahres ein ebenso engagiertes Rennen wie in Rehlingen abliefern.
Die nationale Konkurrenz wie der EM-Finalist von 2014 Martin Grau, Fabian Clarkson (SCC Berlin) und Lennart Mesecke (LG Nord Berlin) wird ihn gehörig fordern. "Vor heimischer Kulisse und in gewohnter Umgebung zu laufen, das ist einfach was besonderes. Es bedeutet mir sehr viel. Man ist einfach noch motivierter", beschreibt Stegemann das Gefühl. Vielleicht kann er das familiäre Umfeld für eine weitere Bestzeit und seine zweite DM-Medaille nutzen.
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