Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hat unverzüglich auf den Bericht ihrer Ermittler reagiert und dem Dopingkontroll-Labor in Moskau vorläufig die Akkreditierung entzogen. Die Suspendierung trete mit sofortiger Wirkung in Kraft, teilte die WADA am Dienstag auf ihrer Homepage mit.
Damit darf das Labor künftig weder Urin- noch Blutproben analysieren. Innerhalb der nächsten 21 Tage könne das Moskauer Anti-Doping-Zentrum beim Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne (Schweiz) Einspruch gegen den WADA-Beschluss einlegen.
Während der Suspendierung werden Dopingtests in alternativen von der WADA akkreditierten Labors durchgeführt, heißt es in dem Statement. "Die WADA hat damit rasch auf eine der Schlüssel-Empfehlungen reagiert, die ihre unabhängige Kommission in ihrem Bericht erhoben hatte", erklärte WADA-Chef Craig Reedie. Eine Disziplinarkommission, die in Kürze gegründet werde, solle über die Frage der Akkreditierung des Moskauer Labors entscheiden. Laborleiter Grigori Rodschenkov gab zu, die Beseitigung von 1.417 Dopingproben angewiesen zu haben.
1.417 vertuschte Dopingproben
Der Leichtathletik-Weltverband IAAF muss nach den schockierenden Ermittlungsergebnissen der WADA zum nun nachweislich korrupten Sportsystem in Russland über Konsequenzen diskutieren. Die unabhängige WADA-Kommission hatte den Ausschluss des russischen Leichathletik-Verbandes aus der IAAF sowie den lebenslangen Bann von fünf Sportlern, vier Trainern und einem Sportarzt empfohlen.
Auf dieser WADA-Liste stehen Jekaterina Poistogova (Olympia-Bronze über 800 Meter 2012), Anastassya Basdyreva (russische Meisterin über 400 und 800 Meter), Maria Sawinova-Farnossova (Olympiasiegerin über 800 Meter 2012) sowie die Mittelstreckenläuferinnen Kristina Ugarova und Tatyana Myasina. Lebenslang gesperrt werden soll auch der Cheftrainer Langstreckenlauf Alexey Melnikov sowie die drei weiteren Trainer Wladimir Kasarin (800 Meter), Wladimir Mochnyew (Mittelstrecke) und Viktor Tschegin (Cheftrainer Gehen).
DLV unterstützt Ausschluss Russlands
In einer ersten Stellungnahme auf den am Montag veröffentlichten 323 Seiten langen Bericht hatte die IAAF selbst mitgeteilt, einen "provisorischen und kompletten Ausschluss" Russlands und damit ein Startverbot russischer Athleten bei künftigen IAAF-Veranstaltungen zu erwägen. Russlands Leichtathleten droht damit auch der Ausschluss von den Olympischen Spielen im nächsten Jahr in Rio de Janeiro. IAAF-Präsident Sebastian Coe gab den Russen bis zum Wochenende Zeit, auf den Report zu antworten.
„Auf der Basis des Berichts der Welt-Anti-Doping-Agentur müssen wir davon ausgehen, dass in Russland über Jahre hinweg flächendeckend gedopt wurde. Der Deutsche Leichtathletik-Verband unterstützt den Antrag der WADA auf Ausschluss von Russland von internationalen Wettkämpfen auf einen befristeten Zeitraum", erklärte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Clemens Prokop am Dienstag.
"Zum Schutze von unseren Athleten und Athletinnen muss sichergestellt werden, dass nur Sportler an Wettkämpfen teilnehmen, die auch an einem funktionierenden Anti-Doping-System sowohl national als auch international teilnehmen. Der DLV erwartet, dass die IAAF alle erforderlichen Maßnahmen trifft, um für die Zukunft sicherzustellen, dass international faire Wettkampfbedingungen herrschen.“
Entscheidung voraussichtlich Ende November
Voraussichtlich wird das IAAF-Council auf seiner schon länger terminierten Sitzung am 26./27. November in Monte Carlo (Monaco) entsprechende Entscheidungen treffen. Auf der Tagesordnung wird auch der Korruptionsskandal um den früheren IAAF-Präsidenten Lamine Diack stehen, der von der französischen Justiz wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche angeklagt wurde. Er soll Doping-Fälle vertuscht haben.
"Entscheidend ist nun, wie die IAAF mit dem Vorschlag umgeht", meinte die Sportausschussvorsitzende des Bundestages Dagmar Freitag über den möglichen Ausschluss Russlands von Wettkämpfen. "Wer im Sport so skrupellos betrügt, muss damit rechnen, dass ihm eine deutliche Sprache entgegenschlägt - und drakonische Strafen gehören sicher dazu", sagte die DLV-Vizepräsidentin am Dienstag.
Dagmar Freitag: "Darf nicht sanktionslos bleiben"
Für die SPD-Politikerin sind die aktuellen Doping-Enthüllungen und Vorgänge im Leichtathletik-Weltverband IAAF erschreckend. "Wenn sich bestätigen sollte, was bisher an Ergebnissen auf dem Tisch liegt - und ich habe keinen Zweifel , dass es so gewesen ist -, dann muss man sich eigentlich mit Abscheu abwenden", sagte Freitag. "Wir reden nicht über Kavaliersdelikte. So etwas wie dieser Skandal darf im Sport nicht sanktionslos bleiben."
Der Europa-Verband EAA gab am Dienstag nach seiner Council-Sitzung mit europäischen Mitgliedern der IAAF als höchste Prioritäten die Beseitigung korrupter Strukturen des Weltverbandes und die Verstärkung des Anti-Doping-Kampfs auf nationaler Ebene vor.
Sportminister streitet Vorwürfe ab
Der russische Sportminister Witali Mutko streitet die schweren Vorwürfe gegen ihn im Doping-Skandal ab. Der WADA-Bericht enthalte keine neuen Fakten, erklärte er nach Angaben der Agentur Interfax. Die Vernichtung von mehr als 1.400 Doping-Proben, die ihm zur Last gelegt werde, gehe in Wahrheit auf ein Rundschreiben der WADA zurück. Die Proben seien nicht mehr gebraucht worden. "Ja, wir haben Probleme, aber wir haben sie auch nie verschwiegen", sagte Mutko zur Frage von Doping im russischen Sport.
Der Kreml hält die schweren Vorwürfe von Doping-Ermittlern gegen die russische Leichtathletik für unbewiesen. Der Bericht der unabhängigen Ermittlungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur sei nicht stichhaltig, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskov am Dienstag in Sotschi.
Die Frage eines Rücktritts von Sportminister Witali Mutko stelle sich nicht. "Mutko ist der amtierende Minister", sagte Peskov nach Angaben der Agentur Tass. "Solange nicht irgendwelche Beweise genannt werden, fällt es schwer, die Beschuldigungen anzunehmen. Sie haben weder Hand noch Fuß." Präsident Wladimir Putin habe in den kommenden Wochen mehrere Termine mit Mutko. Dabei gehe es um Olympia, aber nicht speziell um den Doping-Skandal, sagte Peskov.
Sportsystem auf dem Prüfstand
Unter Leitung von Präsident Thomas Bach wird das IOC-Exekutivkomitee Anfang Dezember in Lausanne (Schweiz) tagen. Es wird untersuchen, welche Auswirkungen die Enthüllungen über das russische Sportsystem und die Bestechungsaffäre um Diack für die vergangenen Sommer- und Winterspiele gehabt haben könnten. Man vertraue der neuen IAAF-Führung um seinen Präsidenten Coe, dass sie alle notwendigen Schlussfolgerungen trifft und erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung einleitet. Die IOC-Ethikkommission hat bereits die Suspendierung des IOC-Ehrenmitglieds Diack empfohlen.
Das IOC reagierte mit großer Betroffenheit auf den WADA-Bericht. "Das ist ein zutiefst schockierender Report und sehr traurig für den Weltsport", erklärte das IOC am Montagabend in einem Statement. "Der Schutz des sauberen Athleten hat für das IOC oberste Priorität." Auf die Verletzung von Anti-Doping-Regeln durch Athleten oder ihr Umfeld werde das IOC mit seiner bekannten "Null-Toleranz-Politik" reagieren.
Insgesamt sollen sich acht russische Athleten gegen hohe Summen von einer möglichen Sperre freigekauft haben und bei den London-Spielen 2012 am Start gewesen sein, berichtete zuletzt die "Sunday Times". Einer dieser Sportler soll Olympiasieger geworden sein, ein weiterer habe eine Silbermedaille gewonnen.
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)