"Die Finals 2019" in Berlin sind ein Großprojekt, für das zahlreiche Partner in intensiven Vorbereitungen an einem Strang ziehen. Initiiert haben das Wochenende der Deutschen Meisterschaften am 3./4. August federführend die ARD und das ZDF. Im Interview berichtet ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann, wie es dazu kam, wie die Vorbereitungen laufen und in welcher Hinsicht das "Zugpferd" Leichtathletik ein Vorbild für andere Sportarten sein kann.
Die Finals 2019, das werden nationale Multi-Meisterschaften im vorolympischen Jahr, bei denen am ersten August-Wochenende deutsche Athleten aus zehn Sportarten um 190 Titel kämpfen. ARD und ZDF übertragen in Gemeinschaftsproduktion mehr als 18 Stunden live im linearen Fernsehen und dazu im Live-Stream. Was bewegt Sie, wenn Sie auf den August vorausblicken?
Thomas Fuhrmann:
Große Vorfreude. Nach vielen Jahren der Diskussionen gibt es jetzt zum ersten Mal dieses Wochenende mit den zeitlich aufeinander abgestimmten Deutschen Meisterschaften. Das war viel Arbeit auf verschiedenen Ebenen von verschiedenen Stellen. Der einzige Wunsch ist derzeit, dass es am 3. und 4. August nicht so regnet wie gerade im Mai und dass wir schönes Wetter haben. Wir sind bereit.
Allein fünf Sportarten sind im Olympiapark und im Olympiastadion von Berlin zu sehen. Zudem sind die Max-Schmeling-Halle, das Velodrom, die Schwimm- und Sprunghalle im Europapark sowie das Strandbad Wannsee Wettkampf-Schauplätze. Für die Kanuwettbewerbe geht es auf die Spree im Stadtzentrum. Verschiedene Mitspieler, sagen Sie, wirkten für die Finals 2019 zusammen, wer ist das alles?
Thomas Fuhrmann:
Ich meine natürlich nicht nur die Fernsehsender, sondern vor allem auch die beteiligten Verbände, sie sind sehr engagiert. Die Stadt Berlin, also der Senat, ist in Vorleistung gegangen. Das ist eben nicht ein routiniertes Sportevent, da steckt schon Pioniergeist drin, Herzblut auf vielen Ebenen. Der Landessportbund erweitert die Finals um sein Familiensportfest.
Was ist wichtig für Sie als Chef der Sportredaktion und für ihren Sender? Neben dem Wetter.
Thomas Fuhrmann:
Auf das Wetter haben wir ja keinen Einfluss. Wir versuchen, unsere Hausaufgaben zu machen. Es müssen sich alle anstrengen, diese Deutschen Meisterschaften so zu koordinieren, dass wir sie im Fernsehen und im Netz gut anbieten können: Die Vielfalt des Sports an einem Wochenende mit zweimal zehn Stunden im linearen Programm, im Hauptprogramm von ARD und ZDF, sowie weitere viele Stunden im Netz als Live-Streams. Die Idee setzen wir seit Jahren im Wintersport erfolgreich um. Die Leichtathleten, als starker Verband mit regelmäßiger Fernsehpräsenz im Sommer, sind vorangegangen und haben sich von dem Gedanken begeistern lassen. Allem Neuen wohnt ja nicht nur ein Zauber inne, sondern es ist auch mit einem Risiko behaftet. Entscheidend ist, dass hier im Sinne des deutschen Sports verschiedene Partner gemeinsam in eine Richtung ziehen.
Ihr <link news:69299>ARD-Kollege Axel Balkausky hat darauf hingewiesen, dass man nicht einfach das Winter-Konzept den Sommersportarten überstülpen kann. Deshalb habe es so lange gedauert, solch ein Meisterschafts-Wochenende zu kreieren.
Thomas Fuhrmann:
Da hat er Recht. Die Besonderheit im Winter ist ja, dass die Verbände eine abgestimmte Weltcup-Saison über vier, fünf Monate haben. Die Sommersportarten haben mit der Trainings- und Wettkampfsteuerung und damit mit den Terminen andere Herausforderungen. Wir sind ja nicht die Ersten, die das jetzt im Sommer erfinden. Die Schweden zum Beispiel praktizieren das schon länger und sind sehr erfolgreich. Dort ist es mittlerweile ein Happening, ein Event, das sich über eine ganze Woche zieht. Ich denke, dass es auch bei uns funktioniert, und ich bin mir sicher, dass alle profitieren, die starken Verbände wie auch die Verbände, die Nischensport anbieten und alleine nicht in einem nationalen Vollprogramm wie dem ZDF auftauchen würden.
Was hat denn letzten Endes dazu beigetragen, dass es das Wochenende geben wird?
Thomas Fuhrmann:
Das war nicht eine einzige Entscheidung, aber ich würde sagen, die Hartnäckigkeit der beiden Fernsehanstalten ARD und ZDF hat das Projekt stark vorangetrieben. Dazu kommt ein Gastgeber mit dem Senat in Berlin, der die Hauptstadt als Sportstadt, als Sportmetropole präsentieren will und der dafür Geld in die Hand nimmt. Es muss ja investiert werden. Die Flexibilität der Verbände war notwendig, um unsere Wünsche zu erfüllen, die wir notwendigerweise haben, um unseren Job bei den Übertragungen gut zu machen. Ich erkenne, wie gesagt, viel Engagement auf allen Seiten, und es wäre nicht fair, jemanden herauszuheben. Ich kann für das ZDF sagen: Es ist für uns ein Kraftakt. Wir investieren da sehr stark, stellen viel Personal. Wir tun das gerne, weil wir an die Idee glauben und uns die Vielfalt des Sports wichtig ist.
Womit hat das Fernsehen die Sportverbände und die Stadt Berlin besonders überzeugt?
Thomas Fuhrmann:
Sie können ja mal bei kommerziellen Sendern anfragen, ob sie das Interesse hätten, so etwas zu übertragen. Die Kraft, die öffentlich-rechtliche Sender haben, ist hier notwendig. Dem stellen wir uns gerne. Ich habe dafür nicht mehr Etat-Mittel bekommen, sondern musste entsprechend umschichten beziehungsweise priorisieren. Wir wollen begeistern und mitreißen. Kinder und Jugendliche, die vor dem Fernseher sitzen oder, wenn sie die Möglichkeit haben, in Berlin direkt zu den Wettkampfstätten gehen, erkennen vielleicht Vorbilder, denen sie nacheifern wollen. Vielleicht sagen sie sich: So schnell würde ich auch gerne laufen oder so möchte ich auch mal Bogenschießen, Boxen oder Schwimmen beherrschen können. Wir setzen darauf, ein großes Publikum zu erreichen.
Haben die European Championships im letzten Jahr, die gemeinsamen Europameisterschaften von sieben auf den ersten Blick doch sehr ungleichen Sportarten an zwei weit voneinander entfernten Orten, Glasgow und Berlin, für die Finals Bedeutung gehabt? Dem Fernsehen hat das große Event 2018 ja eindrucksvolle Zuschauerzahlen beschert...
Thomas Fuhrmann:
Die Entscheidung, die Finals zu veranstalten, war schon vorher gefallen. Aber es war ein zusätzlicher Schub und auch so eine Art Vergewisserung, dass die Idee funktionieren kann. Sportarten entwickeln ein anderes Flair, wenn man sie nicht isoliert zeigt, sondern im Verbund. Das ist ja auch die Erfahrung von Olympischen Spielen. Und einen Hauch von Olympia spürt man, wenn man sich aktuell mit den Beteiligten trifft, etwa in der Steuerungsgruppe, in der die ganzen Verbände dabei sind, der Senat, die Fernsehsender. Da ist eine Aufbruchstimmung, etwas Positives zu spüren. Die Leichtathletik-Europameisterschaften sind immer ein tolles Event, da kommen die Leute. Im letzten Jahr haben wir aber festgestellt, dass der Spirit aus Glasgow, wo ja sechs Sportarten geboten wurden, dank der Fernseh-Übertragungen rübergeschwappt ist nach Berlin.
Letztes Jahr hat die Leichtathletik für die EM in Berlin ja fast eine kleine Revolution gewagt, mit einem neuen, kompakten Zeitplan und Entscheidungen im Minutentakt. Das wurde aber nicht als Störfaktor empfunden, eher im Gegenteil. Da hat eine Veränderung stattgefunden, die die Leichtathletik in ihrem Kern nicht negativ berührt hat. Welches Potenzial haben Sportarten, wenn sie sich, ohne ihren Markenkern aufzugeben, an Sehgewohnheiten und Konsumerwartungen des Publikums annähern? Und was kann man von der Leichtathletik vielleicht lernen?
Thomas Fuhrmann:
Die Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten sind fester Bestandteil bei uns im Programm. Sie haben eine besondere Rolle als Zugmaschine der Finals, darauf können wir uns verlassen. Die Leichtathleten haben auch den breitesten Raum in der Berichterstattung, weil wir auch von vornherein wissen, dass sie das höchste Interesse hervorrufen. Clemens Prokop hat in den vergangenen Jahren, als er noch aktiv war als Präsident und nicht Ehrenpräsident, natürlich eine entscheidende Rolle gespielt. Die European Championships haben viele Möglichkeiten aufgezeigt. Aus dem Olympiastadion rauszugehen, auf den Breitscheid-Platz an der Gedächtnis-Kirche, so dass man mehr Publikum erreicht und eine spektakuläre Kulisse hat, war gut. Da ist die deutsche Leichtathletik nach meiner Einschätzung auf dem richtigen Weg. Wir übertragen jetzt in ein paar Wochen „Berlin fliegt“ mit einer neuen Location am Tempelhofer Feld.
Die Ideen müssen, wie in der Leichtathletik zu erleben, aus dem Sport selber kommen, und wir können das dann unterstützen. Der Sport muss immer im Mittelpunkt stehen. Aber es ist, glaube ich, keine Verbiegung, man tut dem Sport nichts Böses an, wenn man gute Wettkampfbedingungen an neuen interessanten Orten anbietet, zu denen die Menschen gerne kommen. Man muss das Publikum begeistern mit den richtigen Ideen, ohne den Sport in seiner Substanz zu verändern. Mit den richtigen Abläufen gibt es auch im Stadion eine eigene Dynamik.
Ich habe letztes Jahr an einem Tag meine beiden Nichten mitgenommen, Teenager, sie waren vorher noch nie bei der Leichtathletik – und sie waren hellauf begeistert, sie wollten am nächsten Tag wieder hingehen. Hohe Spannung, viele Entscheidungen in kurzer Zeit – das hilft auch uns als Sendern, denn wir können uns den Wünschen der Zuschauer nicht verschließen. Da könnten sich andere Sportarten von der Leichtathletik durchaus eine Scheibe abschneiden.
Sind die Finals 2019 ein Luftballon, der einmal steigt und dann platzt? Wird das Projekt nachhaltig sein?
Thomas Fuhrmann:
Wir reden jetzt über das Fell des Bären, sollten aber den August in Ruhe abwarten. Lassen sie uns die Premiere über die Bühne bringen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das etwas sein wird, an dem wir in den kommenden Jahren viel Spaß haben werden, so wie auch an weiteren European Championships. Wir haben ein Vorbild für die Finals, aber man wird schauen müssen, in welchem Rhythmus man das in Deutschland machen kann, welche Sportarten sich engagieren, wo man die Sportstätten findet. Die Leichtathletik braucht ein großes Stadion mit Laufbahn, und das reduziert die Zahl möglicher Austragungsorte, wenn man alle Sportarten so wie im August in einer Stadt haben will.
Man kann auch über verschiedene Orte nachdenken, die man durch die Übertragungen zusammenbindet, aber es ist immer eine Frage von Einsatz und Ertrag. Die European Championships sind von der EBU, dem Zusammenschluss der öffentlich-rechtlichen Sender Europas, produziert worden. Die Finals stemmen ARD und ZDF alleine. Und grundsätzlich: Der Sport-Kalender ist schon proppenvoll, und wir sind nicht alleine auf der Welt, sondern müssen uns nach internationalen Terminen richten. Diesmal gibt es die Situation, weil die Leichtathletik-Weltmeisterschaften aufgrund des Klimas in Doha ausnahmsweise erst im Oktober stattfinden, dass die Deutschen Meisterschaften im August ausgetragen werden. Sonst sind sie immer früher, Juni, Juli. Ob wir die Finals zu solch einem Termin hätten planen können, wage ich zu bezweifeln. Aber noch einmal: Ich glaube nicht, dass die Finals eine einmalige Nummer sein werden.
Was bedeutet die geschilderte Komplexität der internationalen Sporttermin-Kalender für München und die Bewerbung um die European Championships 2022?
Thomas Fuhrmann:
50 Jahre nach den Olympischen Spielen 1972 in München hätte dieses Event großen Charme. Deshalb ist das Engagement der Stadt auch so stark, und auch die Bereitschaft des Landes und des Bundes ist groß. Solche Dinge sind ja nicht zum Nulltarif zu bekommen, sondern dafür sind immer hohe Investitionen erforderlich. Wir sind dabei nicht wie bei den Finals involviert, da die EBU die Rechte hält. Eine Frage wird auch für München bedeutend sein, nämlich wie die Verbände das Event einschätzen, wie sie die Trainingssteuerung auf solch einen Wettbewerb ausrichten, ob sie die besten Athletinnen und Athleten an den Start bringen wollen und können? Es gibt immer einen Zielkonflikt zwischen den Interessen von Veranstaltern, von übertragenden Fernsehstationen und von der reinen Trainingslehre, da muss man zu einem Kompromiss kommen. Es wird also wichtig sein, die Verbände und die Nationen zu gewinnen, damit sie mitmachen und nicht ausscheren.
Wie arbeiten ARD und ZDF bei den Finals zusammen?
Thomas Fuhrmann:
Gerade im technischen Bereich, wo die großen Kosten entstehen, arbeiten wir seit Jahren aufs Engste zusammen: Dort poolen wir die Kollegen. Das setzen wir jetzt bei den Finals natürlich fort. Für uns ist die Herausforderung, dass wir normalerweise einen Vertrag abschließen und dann eine Firma die Signale für alle Sender herstellt. So war das auch bei den European Championships. Diesmal produzieren wir alles selber. Wir haben für dieses Wochenende allein über 50 Kolleginnen und Kollegen des ZDF als Redakteure im Einsatz. Das ist außerhalb von Olympischen Spielen und Fußball-Großereignissen die größte Produktion. Das ist nicht irgendetwas Kleines. Wir wollen die Menschen vor den Fernsehern begeistern, aber wir wollen niemanden abhalten, in die Stadien zu gehen. Das Erlebnis Sport hautnah ist schon noch etwas anderes. Als Stadionbesucher ist man auch sein eigener Regisseur. Und das Berliner Olympiastadion ist einfach eine großartige Kathedrale des Sports, gerade mit der Leichtathletik.
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