Shanice Craft rüttelt am deutschen Diskus-Thron. Beim Diamond League-Meeting in Eugene (USA) landete die 21-Jährige mit 65,38 Metern erstmals vor Nadine Müller und der weiteren nationalen Konkurrenz. Den Coup wiederholte sie am Montag in Rehlingen (65,17 m). Veränderungen im Krafttraining, starke Nerven und eine größere Erfahrung im Ring lassen Craft vom EM-Ticket träumen. Am Wochenende steigt sie abe zunächst bei der U23-DM in Wesel in den Ring.
Den ersten Punktsieg hat Diskuswerferin Shanice Craft schon vor den Deutschen U23-Meisterschaften erzielt. Konkurrentin Anna Rüh (SC Neubrandenburg), mit der sie sich in den vergangenen Jahren stets heiße Duelle geliefert hatte, verzichtet am Wochenende auf einen Start bei den diesjährigen Titelkämpfen in Wesel, um sich auf andere, noch wichtigere Wettkämpfe vorzubereiten.
Nach den zuletzt starken Auftritten der Konkurrentin bangt Anna Rüh offenbar um ihr Ticket für die Europameisterschaften vom 12. bis 17. August in Zürich (Schweiz). „Mit der EM-Teilnahme ist es bis jetzt nämlich sehr knapp“, sagt sie.
Starke Auftritte in Serie
Die jüngsten Ergebnisse von Shanice Craft haben Eindruck hinterlassen. Bislang galt es als ausgemacht, dass sich die WM-Vierte Nadine Müller (Hallesche Leichtathletik-Freunde) und Julia Fischer (SCC Berlin) souverän für die EM qualifizieren, Craft und Anna Rüh dahinter um das letzte verbliebene Ticket kämpfen würden. Inzwischen sieht die Sache etwas anders aus.
In der aktuellen Verfassung hat die 21-Jährige von der MTG Mannheim das Zeug, an der nationalen Vormachtstellung von Nadine Müller zu rütteln. Beim Diamond League-Meeting in Eugene landete Craft erstmals vor der deutschen Nummer eins. Mit einer Weite von 65,38 Metern, einer neuen persönlichen Bestleistung, musste sie sich dort lediglich Weltmeisterin Sandra Perkovic aus Kroatien (69,32 m) geschlagen geben.
Schon bei den Halleschen Werfertagen war Crafts Diskus auf 64,85 Meter gesegelt, zuvor hatte sie auch beim Winterwurf-Europacup im März mit 64,16 Metern und Platz eins im U23-Wettbewerb geglänzt. Am Montag in Rehlingen setzte sie sich zudem mit 65,17 Metern gegen Müller und Fischer durch.
Diamond League-Stammgast
Mittlerweile ist die junge Werferin Stammgast bei internationalen Meetings – als nächstes wird sie bei den Diamond League-Wettkämpfen in Paris (5. Juli) und Glasgow (11. Juli) ihre Visitenkarte abgeben. Dem Spruch auf ihrer Facebook-Seite macht Shanice Craft damit zurzeit alle Ehre: „It always seems impossible until it’s done“, steht dort. Übersetzt heißt das: Es scheint immer so lange unmöglich, bis es einem gelingt.
Nach der anstrengenden 20-stündigen Anreise hatte Craft für das Meeting in Eugene eigentlich eher mit einer Weite zwischen 63 und 64 Metern gerechnet. Zusätzlich erschwert wurde die Sache dadurch, dass von den acht Startern nur die besten sechs anstatt wie üblich alle acht in den Endkampf einziehen und damit weitere drei Versuche bekommen sollten.
Shanice Craft war mit der schwächsten Bestleistung aller Teilnehmerinnen gemeldet und stand somit besonders unter Druck. Doch anstatt zu verkrampfen, wandelte sie die Anspannung in positive Energie um. „Das war ein zusätzlicher Ansporn für mich“, sagt sie.
Olympia nur um Haaresbreite verpasst
Schon einmal hat Shanice Craft eine eigentlich negative Erfahrung genutzt, um daraus zusätzliche Motivation zu tanken. 2012 hatte die Mannheimerin die Norm für die Olympischen Spiele zwar übertroffen, musste als viertbeste Deutsche allerdings trotzdem zu Hause bleiben. Erst im letzten Durchgang der Deutschen Meisterschaften war sie von Anna Rüh noch aus dem Flieger nach London geschubst worden. „Danach habe ich mir geschworen, dass mir so etwas nicht noch einmal passieren soll“, sagt Shanice Craft.
In den zwei Jahren ist seitdem viel passiert. Trotz ihrer immer noch erst 21 Jahre hat die angehende Bundespolizistin mittlerweile eine größere Routine im Ring entwickelt. „Mein Körpergefühl ist deutlich besser geworden, ich merke meine Fehler jetzt selbst“, berichtet sie. Früher war sie dafür auf ihre Trainer Sven Schwarz und Iris Manke-Reiners angewiesen.
Vor Kurzem hat Shanice Craft zudem auf Rat der Experten am Heidelberger Olympiastützpunkt ihr Krafttraining umgestellt, so wie übrigens auch Sprinterin Verena Sailer (MTG Mannheim). „Ich mache jetzt viel mehr allgemeine Kraftübungen“, erzählt sie. Das beuge Verletzungen vor und sorge überhaupt für ein besseres Wohlbefinden beim Werfen. Auch technisch macht sich die Umstellung bezahlt: „Ich kann jetzt Positionen halten, die vorher nicht möglich waren, weil mir bislang die Kraftvoraussetzungen fehlten“, sagt sie.
Geringere Umfänge als die Konkurrenz
Im Gegensatz zur nationalen Konkurrenz fährt Shanice Craft im Training weitaus geringere Umfänge. „Ich mache lieber wenige Würfe, aber dafür technisch sauber. Ich weiß gar nicht, ob mein Körper höhere Umfänge überhaupt vertragen würde“, sagt die Werferin der MTG Mannheim.
Ihre Schwachstelle sind die Adduktoren. Wegen Problemen im Oberschenkel konnte sie 2013 nur wenige Diskuswettkämpfe absolvieren. Die Schmerzen sind immer noch da, aber immerhin weiß Craft inzwischen, woher sie rühren: Vor wenigen Wochen diagnostizierten die Ärzte bei ihr einen Beckenschiefstand. Mit Übungen für die untere Bauchmuskulatur will die Sportlerin dem nun entgegenwirken.
Auch stark mit der Kugel
Als im vergangenen Jahr die Adduktoren das Diskuswerfen oft unmöglich machten, wandte sich Shanice Craft wieder mehr dem Kugelstoßen zu. Seit Jahren schon betreibt sie beide Disziplinen parallel, wenngleich der Diskus Priorität genießt.
Dass sie jedoch auch mit der Kugel umgehen kann, hat Craft in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen. Bei der U20-WM 2012 holte sie Gold, im letzten Jahr dann – wie auch mit der Kugel – Silber bei der U23-EM. Zuletzt näherte sie sich Anfang Mai beim Diamond League-Meeting in Doha mit neuer Bestleistung von 17,47 Metern bis auf 53 Zentimeter der EM-Norm für Zürich. Auch bei der U23-DM in Wesel wagt sie den Doppelstart.
In Zürich nur im Diskusring
Den schließt die 21-Jährige für die EM jedoch aus. Der Zeitplan erlaubt es nicht – beide Qualifikationen finden am selben Tag und nur um wenige Minuten versetzt statt, sodass sich Craft auf den Diskuswurf konzentrieren wird, sofern sie dort das EM-Ticket löst.
Das Kugelstoßen würde allerdings auch im Letzigrund eine Rolle spielen: in Form einer kleinen kugelstoßenden Schlumpf-Figur. Diesen Glücksbringer hat Craft von der dreimaligen Weltmeisterin Franka Dietzsch geschenkt bekommen. Einen Schlumpf mit Diskus gibt es nämlich nicht.
Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift