Bei der Hallen-DM haben fünf Athleten erstmals in ihrer Karriere einen nationalen Titel bei den Aktiven gewonnen. Für einen war es gleichzeitig das erste Rennen im Trikot eines deutschen Vereins überhaupt, die anderen haben dieses Ziel dagegen nach Umwegen erreicht. Wir erzählen die Geschichten der neuen Meister, heute die von Langstreckler Sam Parsons (LG Eintracht Frankfurt).
Sam Parsons
LG Eintracht Frankfurt
Bestleistungen:
1.500 Meter: 3:38,18 sec (2018)
3.000 Meter: 7:49,16 min (2019; Halle)
5.000 Meter: 13:29,53 min (2018)
10.000 Meter: 28:43,74 (2017)
Erfolge:
Zwölfter Hallen-EM 2019 (3.000 Meter)
Deutscher Hallenmeister 2019 (3.000 Meter)
Was Sam Parsons bei der Hallen-DM geschafft hat, ist einzigartig in der deutschen Leichtathletik. Gleich in seinem ersten Rennen im Trikot eines DLV-Vereins hat er in 7:53,71 Minuten in Leipzig den deutschen Hallen-Meistertitel über 3.000 Meter geholt. Sein Schwung und seine Offenheit haben ihn bei seiner Premiere im DLV-Dress bei der anschließenden Hallen-EM in Glasgow (Großbritannien) schnell zu einem Teil der Nationalmannschaft werden lassen. Mit dem Finaleinzug gelang dabei auch sportlich ein Erfolg, wenn der Endlauf mit Rang zwölf (8:05,83 min) auch nicht verlief, wie erhofft.
Für viele Fans kam dieser „neue Meister“ aus dem Nichts, anderseits passt dieser Einstieg direkt an die nationale Spitze zu keinem anderen Athleten so gut wie zu dem 24-Jährigen aus dem US-Bundesstaat Delaware. Sein Werdegang bis hin zum ersten internationalen Einsatz für die „alte, neue Heimat“ bietet filmreifen Stoff für ein Drehbuch zu einem Drama rund um den „amerikanischen Traum“. Eine geradezu magische Rolle spielt dabei der Wohnort seiner Familie in Deutschland, an dem er gleich zweimal zu folgenschweren Entscheidungen inspiriert wurde. Wir fangen mal vorne an.
Nationalsport des Landes seiner Mutter nicht das Richtige
Der Sohn einer deutschen Mutter spielte in seiner Jugend an der US-Ostküste hauptsächlich Fußball und tat nebenbei mit Schwimmtraining etwas für seine Ausdauer. Sein Fußball-Trainer schickte den damaligen Schüler dann als zusätzlichen Training-Reiz zu seinem ersten Crosslauf.
"Ich mochte das sehr viel mehr als Fußballspielen", erinnerte sich Sam Parsons im vergangenen Jahr in einem ausführlichen Podcast des Netzwerks Final Surge an die Entdeckung seiner Laufleidenschaft. „Meine Mutter war nicht besonders glücklich darüber, dass ich der Nationalsportart ihres Heimatlandes den Rücken kehre.“ Bis heute vom Fußball mitgenommen hat er die Leidenschaft fürs Team.
State-Rekord in der High School und Captain des College-Teams
Das systematische Lauftraining begann an der Tatnall School in Greenville, weiterhin im Bundesstaat Delaware. Im letzten Jahr im Trikot seiner High School stellte der damals 17-Jährige im Jahr 2012 über 3.200 Meter in 9:00,61 Minuten einen Bundesstaat-Rekord für seine Altersklasse auf. Sein Talent brachte ihn dann ins College-Team der North Carolina State University, das Sam Parsons drei Jahre lang als Captain anführte.
Ein Brief, den er damals vor einem Wettkampf an seine Team-Kollegen schrieb, steht für die Einstellung gegenüber dem Sport, die bis heute geblieben ist. „Der Sport ist da, um euch Freude zu bringen“, schrieb er. „Tut ihr eurem Körper das harte Training für eine bestimmte Zeit auf der Uhr an? Um mal bei einem bestimmten Wettkampf dabei zu sein? No way.“
In seinem letzten Rennen als Student im Juni 2017 gelang dem damals 22-Jährigen mit Rang 15 über 10.000 Meter (29:27,58 min) in Eugene seine beste Platzierung bei US-Collegemeisterschaften. Es war allerdings alles andere als ein euphorisches Rennen, denn ihm wurde gleichzeitig klar, dass mit dem Zieleinlauf ein Kapitel in seinem Leben abgeschlossen sein wird.
Selbstfindungsphase endet dort wo sie begann
So beachtlich seine Leistungen im College auch waren, für einen Ausrüstervertrag reichte es erst einmal nicht. Da Sam Parsons auch kein Team mehr repräsentierte, für das er sich immer so leidenschaftlich ins Zeug legte, war die Laufkarriere plötzlich gefühlt vorbei. Nur drei Tage nach dem Rennen in Eugene setzte sich der Absolvent mit einem One-Way-Ticket ins Flugzeug Richtung Europa, um herauszufinden, was er mit seinem Leben anfangen will.
Ohne Plan und teilweise ohne ein festes Dach über dem Kopf im Zelt reiste Sam Parsons durch ganz Europa, erlaubte sich Dinge, die er sich wegen des Sports vorher verkniffen hatte. Dabei machte er auch Station bei dem deutschen Teil seiner Familie in Diez in Rheinland-Pfalz und schnürte dort erstmals wieder die Laufschuhe. In seiner Runde „wurde ich immer schneller und schneller, einfach aus Spaß, und dabei wurde mein Grinsen immer breiter und breiter“, berichtete er im vergangenen Juni dem Delaware News Journal.
Als er nach diesem Lauf entkräftet auf der Erde lag, immer noch grinsend, wusste Sam Parsons, dass ihm keine Party, kein Mädchen und kein Berggipfel das geben kann, was das Laufen zu bieten hat. Seine Auszeit vom Laufen brachte ihn also genau dorthin zurück.
Neues zu Hause im Tinman Elite Team
Bestärkt wurde dieses Gefühl auch durch einen Trip nach Heusden (Belgien) zum jährlichen internationalen Meeting dort. Der damalige „Backpacker“ traf nicht nur einige alte Bekannte aus seiner College-Zeit, die schon eine professionelle Karriere gestartet hatten, sondern lernte auch Drew Hunter kennen. Der gilt aktuell als eines der größten Lauftalente der USA und gehörte zum 2017 gegründeten Tinman Elite Team von Trainer Tom Schwartz. Die beiden blieben in Kontakt und sind heute „best friends“.
Als er zurück in die USA kam, konnte Sam Parsons mit Hilfe seiner neu entfachten Leidenschaft Adidas überzeugen, ihn unter Vertrag zu nehmen. Er schloss sich dem Tinman Elite Team an, und die Gruppe in Boulder im US-Bundesstaat Colorado stellte sich als wie geschaffen für ihn heraus.
Dort fand er den vom Fußball und aus der High School- und College-Zeit geliebten Team-Spirit wieder. Und auch eine Portion Pathos versprüht die aufwendige und ausführliche Website des Teams. Die erklärte gemeinsame Mission ist nicht nur die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio (Japan), sondern auch, andere Läufer zu inspirieren. Seinen Trainer Tom Schwartz schätzt der Langstreckler enorm.
Kombination Diez und Heusden bringt nächste Wendung
In seiner neuen Rolle als Profiläufer gelang Sam Parsons innerhalb eines Jahres ein großer Leistungssprung. Die 1.500 Meter lief er 2018 erstmals unter 3:40 Minuten, die 3.000 Meter unter acht Minuten und über 5.000 Meter steigerte er sich auf 13:29,53 Minuten. Erstmals reiste auch er als Athlet nach Europa. Ausgerechnet in Heusden sollte die nächste Steigerung folgen. 13:15 Minuten waren angepeilt, doch nach einer Durchgangszeit bei drei Kilometern von glatten acht Minuten stieß Sam Parsons an seine Grenzen und kämpfte sich unter Schmerzen nach 13:47,96 Minuten ins Ziel.
Enttäuscht erklärte er seine Saison für beendet und suchte Erholung für Körper und Geist beim deutschen Teil seiner Familie in Diez. Wie schon ein Jahr zuvor ging aus diesem Besuch eine große Entscheidung hervor. Denn sein Onkel fragte ihn, warum er nicht für Deutschland startet. Kein anderer beantwortet diese Frage besser als Sam Parsons selbst in Text und Video auf der Seite seiner Tinman Elite.
Seitdem er sich für die deutschen Farben entschieden hat, vertritt er diese mit einem Enthusiasmus, wie es nur ein Amerikaner kann. Verschweigen wollen wir nicht, dass Sam Parsons mit seiner 5.000-Meter-Bestleistung zwar zur erweiterten internationalen Spitze zählt, sich in der US-Bestenliste 2018 aber dennoch „nur“ auf Rang 15 einordnete. In Deutschland war im vergangenen Jahr mit Richard Ringer (LC Rehlingen; 13:22,48 min) dagegen nur ein Konkurrent schneller.
Schon am Samstag der nächste Wettkampf
Nach seinem ersten sportlichen Aufenthalt als DLV-Athlet in Europa läuft das Training in Boulder wieder auf Hochtouren. Sein Race Schedule verrät, dass Sam Parsons schon am kommenden Wochenende im Rahmen des Boston-Marathons über die Meile wieder an der Startlinie stehen wird. Das erste 5.000-Meter-Rennen des Sommers ist für Anfang Mai angepeilt, die WM-Norm des DLV (13:22,60 min) ist das erklärte Ziel.
Auch die Deutschen Meisterschaften in Berlin (3./4. August) sind schon fest eingeplant. Noch nicht nachzulesen ist, wann genau Sam Parsons wieder in Diez, seiner deutschen Heimat, sein wird. Wie in den vergangenen beiden Jahren könnte der Aufenthalt in den Juli fallen. Mal sehen, welche Wendung sein persönliches Drehbuch dann für den neuen Deutschen Meister bereithält. Am Ende seiner Träume ist er noch nicht.
Video-Interview: Sam Parsons: "Deutsche Zuschauer sind die Besten"
Video: "US-Duo" läuft bei Sieg von Sam Parsons EM-Norm
Das sagt Bundestrainer Georg Schmidt: |
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Sam ist ein sehr kommunikativer und offenherziger Typ. Bei der Hallen-EM hat er sich super ins Nationalteam eingefügt und viel Kontakt zu allen im Team gesucht. Die sportliche Verbindung nach Deutschland ist durch Gesa Felicitas Krause entstanden. Sie hatte sich im vergangenen Jahr Boulder als Standort für ein Trainingslager angeschaut und wurde von Sam angesprochen. Sie hat dann den Kontakt zur LG Eintracht Frankfurt hergestellt und Sam auch meine Kontaktdaten gegeben.
Wir als DLV haben die Formalitäten geklärt, damit Sam international für Deutschland starten darf. Da er nie international für die USA angetreten ist und den deutschen sowie den amerikanischen Pass besitzt, war das kein Problem.
Sein Trainer Tom Schwartz und seine Gruppe sind absolut professionell und eine Marke in den USA. Sam ist in dieses System integriert und wird auch darin bleiben. Er ist in seinem bekannten Umfeld gut aufgehoben. Kommt er gesund durch, ist nach den Verbesserungen in der Hallensaison die WM-Norm über 5.000 Meter absolut machbar. Die Saison wird er in den USA beginnen und dann spätestens zu den Deutschen Meisterschaften nach Deutschland kommen.