Neue Doping-Enthüllungen der ARD haben die Leichtathletik-Welt getroffen. Was ist dran an den Verdächtigungen? Die Zeitschrift "Leichtathletik" hat beim Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Dr. Clemens Prokop, nachgefragt.
Dr. Clemens Prokop, die Leichtathletik-WM steht unmittelbar vor der Tür. Glauben Sie, dass nach den neuesten Doping-Enthüllungen noch faire, saubere Wettkämpfe in Peking möglich sind?
Clemens Prokop:
Grundsätzlich liegt der Schatten des Dopings über dem Sport generell – auch über der Leichtathletik. Man muss natürlich realistisch sehen, dass in Peking möglicherweise auch gedopte Sportler an den Start gehen werden. Wenn man sich die Zahlen der ARD zugrunde legt, zeigen diese jedoch auch, dass der überwiegende Anteil der Athleten nicht dopingverdächtig ist. Es gilt, die sauberen Athleten zu schützen.
Die ausgewerteten Blutwerte in der ARD-Dokumentation stammen überwiegend von Ausdauerathleten. Die Ausmaße scheinen größer als zu den Spitzenzeiten des Dopings im Radsport. Ist eine Grenze in der Leichtathletik überschritten worden?
Clemens Prokop:
Zunächst einmal muss man sagen: wir reden von Verdachtsmomenten. Auch der Beitrag der ARD stellt ausdrücklich klar, dass keiner der Werte Doping als solches nachweist. Ich glaube, hier unterscheiden wir uns immer noch ganz erheblich vom Radsport, da wir vom Verdacht und im Radsport vom nachgewiesenen Doping ausgehen mussten. Der Unterschied ist meiner Meinung nach auch, dass im Radsport Doping nach einem flächendeckenden System verbreitet gewesen zu sein scheint.
Glauben Sie an die Echtheit der Enthüllungen?
Clemens Prokop:
Die IAAF hat meines Wissens bestätigt, dass die Daten zutreffend sind. Aber ich muss noch einmal darauf verweisen, dass es sich in juristischer Hinsicht grundsätzlich um Verdachtsmomente handelt. Und wir wissen auch aus anderen Fällen, dass Blutwerte in ihrer Auswertung nicht wird bei der IAAF davon ausgegangen, dass solche Werte durch weitere Zielkontrollen aufzuklären sind. Im Übrigen sind auch zahlreiche Athleten als Folge der Blutwerte gesperrt worden.
Im Zusammenhang mit den neuesten Enthüllungen haben Sie die WADA kritisiert. Angekündigte Untersuchungsberichte aus dem letzten Jahr würden noch fehlen. Glauben Sie an eine bewusste Verzögerungstaktik?
Clemens Prokop:
Ich habe keine Anhaltspunkte dafür, dass hier bewusst verzögert wird. Es bleibt nur ein unbefriedigendes Gefühl zurück, wenn Untersuchungsergebnisse nach der ersten ARDDokumentation angekündigt werden und bis heute dieser Bericht nicht vorliegt. Gerade im Sport müssen solche Dinge schnell aufgeklärt werden.
Sebastian Coe und die IAAF haben sich kritisch gegenüber den Enthüllungen geäußert, dort glaubt man an eine Schmutzkampagne. Das klingt nicht unbedingt nach Aufklärungswillen. Wie bewerten Sie die Aussagen des IAAF?
Clemens Prokop:
Nicht jede Aussage empfinde ich als durchweg gelungen. Ich glaube, was zum Ausdruck kommt, ist eine Verletztheit, weil gerade die IAAF sich im internationalen Anti-Dopingkampf schon engagiert hat. Die IAAF
hat zu recht darauf hingewiesen, dass sie bislang mehr Sportler gesperrt hat als alle anderen Sportorganisationen zusammen. Es ist wohl so ein bisschen das Gefühl, die IAAF würde die Dopingbekämpfung bremsen und vertuschen. Der Vorwurf erscheint aus Sicht der IAAF angesichts des auch gezeigten Engagements unberechtigt.
Haben Sie Kenntnis davon, welche Bereiche der Leichtathletik neben den Laufdisziplinen betroffen sind?
Clemens Prokop:
Ich habe darüber keine Kenntnis,gehe aber auch davon aus, dass in den anderen Bereichen eher weniger Blutkontrollen durchgeführt werden.
Sollte man die Art und Weise, wie kontrolliert wird, ändern?
Clemens Prokop:
Das ist generell ein dynamischer Prozess. Man muss das System der Kontrollen deshalb permanent dynamisch weiterentwickeln, weil ja auch die Form des Dopings andauernd weiterentwickelt wird. Es gibt z.B. eine Studie aus Frankreich, bei der belegt werden soll, dass bei Benutzung von Dopingmitteln unterhalb der Nachweisgrenze von Blutkontrollen große Wirkungen erzielt werden können. Wenn dem so ist, muss man sich im Dopingkontrollverhalten anpassen. Es bleibt eine ständige Herausforderung für alle Wissenschaftler, die an der Bekämpfung beteiligt sind.
Sind auch deutsche Athleten betroffen?
Clemens Prokop:
Darüber liegen uns keine Erkenntnisse vor. Auf Nachfrage bei der Redaktion der ARD hat man uns mitgeteilt, dass man diesen Vorwurf, der im Raum steht, in dieser Form nicht bestätigen könne. Wir haben daraufhin bei Professor Sörgel nachgefragt. Dieser wollte und konnte uns ebenfalls keine Informationen geben.
Wo sehen Sie die primären Ursachen für Doping in der Leichtathletik, und handelt es sich um ein globales Problem?
Clemens Prokop:
Ob es sich tatsächlich um ein flächendeckendes Dopingproblem handelt, kann ich auf der Basis der uns vorliegenden Informationen nicht beurteilen. Dass es jedoch unvermindert Verdachtsmomente gibt, kann man so nicht wegdiskutieren. Die Ursachenforschung ist schwierig. An dem im ARD-Beitrag genannten Beispiel aus Kenia kann man jedoch feststellen, dass existenzielle wirtschaftliche Abhängigkeit vom sportlichen Erfolg in manchen Ländern ein Motiv zu sein scheint, den sportlichen Erfolg um jeden Preis zu suchen. Das könnte eines der Grundprobleme der Ursachen des Dopings sein.
Wenn wir auf die Situation in Deutschland schauen: Was unternimmt der DLV im Kampf gegen Doping?
Clemens Prokop:
Ich glaube, dass wir in Deutschland mit unserem System der dualen Laufbahn dem entgegenwirken. Vielleicht ist das ein Modell der Zukunft, auch international gesehen. Damit wäre die Abhängigkeit vom Sport nicht mehr existentiell gegeben. Sportler bekommen so eine berufliche Perspektive neben dem Sport geboten. Zudem ist es wichtig, dass wir die Dopingbekämpfung außerhalb des Sportverbandes angesiedelt haben. Das gewährleistet ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Neutralität in der Dopingbekämpfung. Zudem müssen die ethischen Werte des Sports immer wieder allen Athleten vermittelt werden.
Sie sind Befürworter des Anti-Doping-Gesetzes. Welche Chancen sehen Sie in einer staatlichen Gerichtsbarkeit gegenüber einem Sportgericht? Werden das Sportgericht und seine Entscheidungen ausgehebelt?
Clemens Prokop:
Das Sportgericht kann sich nur auf die Instrumentarien stützen, die dem Sport zur Verfügung stehen: Das sind Blut- und Urinkontrollen. Außerdem kann das Sportgericht faktisch nur gegen Sportler vorgehen. Diese Möglichkeiten reichen oftmals noch nicht einmal aus, um den Verdacht aufzuklären und das komplexe System dahinter zu zerschlagen. Was wir brauchen, ist eine darüber hinausgehende Verfolgungsmöglichkeit, und da ist der Staat als Partner des Sports gefordert. Deshalb befürworten wir das Gesetz mit seinen beabsichtigten Inhalten.
Ist das Gesetz ein probates Mittel im Kampf gegen Doping?
Clemens Prokop:
Das Gesetz ermöglicht zunächst einmal viel mehr Aufklärungsmöglichkeiten. So sind auch Hausdurchsuchungen möglich. Und natürlich wirken mögliche staatliche Strafen abschreckender, die Folgen sind weitreichender als bislang in der Sportgerichtsbarkeit möglich.
Können Sie die Sorgen der Sportler verstehen, die Angst vor einer falschen Verurteilung haben, da Ihnen z. B. Dopingmittel zugesteckt worden sind?
Clemens Prokop:
Die Ängste wären in der Sportgerichtsbarkeit viel begründeter als bei
einer staatlichen Verfolgung. Der Grund: In der Sportgerichtsbarkeit dreht sich die Beweislast um, der Sportler müsste nachweisen, dass ihm etwas zugesteckt wurde. Die Beweisanforderung in der staatlichen Gerichtsbarkeit ist ein viel höhere, hier gilt der Grundsatz: In dubio pro reo. Der Staat müsste entsprechende Einlassungen der Sportler zweifelsfrei widerlegen.
Was sollten Ihrer Meinung nach die Konsequenzen aus dem neuen Doping-
Skandal sein?
Clemens Prokop:
Ich bin da im Moment erst einmal zurückhaltend, schon jetzt von einem
Skandal zu sprechen. Es gilt zu hinterfragen, wie auf der Ebene der IAAF mit den Verdachtsmomenten konkret umgegangen wurde. Das heißt aber nicht, dass der Beitrag der ARD folgenlos ist. Das bestehende System muss permanent auf seine Effizienz hin überprüft werden, insbesondere, ob wir weltweit einheitliche Kontrollstandards haben. Den daraus resultierenden Handlungsbedarf sehe ich dann bei der WADA und der IAAF.
<link>Quelle: Fachzeitschrift Leichtathletik