Bei der DM in Erfurt haben sieben Athleten erstmals national ganz oben gestanden. Einige von ihnen gehören zu den "neuen Gesichtern" der Szene, andere belohnten sich dafür, dass sie trotz Rückschlägen weiter an sich glauben. Einer der neuen Meister ist gleich bis an die Spitze der Welt durchmarschiert. Aus dieser bunten Mischung stellen wir heute die 400-Meter-Hürden-Läuferin Djamila Böhm (ART Düsseldorf) vor.
Djamila Böhm
ART Düsseldorf
*15. Juli 1994
Größe: 1,75 m
Gewicht: 58 Kilo
400 Meter Hürden
Bestleistung: 56,92 sec (2017)
Erfolge:
Deutsche Meisterin 2017
Die Wege in den Leistungssport sind individuell verschieden. Nicht nur den dominierenden Athleten der Nachwuchsklassen ist es vorbehalten, später im Erwachsenbereich vorne mitzumischen. Djamila Böhm ist eine Athletin, die einen Umweg gehen musste. Ihren Traum einer Karriere in der Leichtathletik hatte sie schon fast aufgebeben, als ihre Leidenschaft für den Sport und eine glückliche Fügung des Schicksals doch noch die Wende brachten.
Dass sie Talent fürs Laufen hat, bekam die damalige Schülern schon von ihren Lehrern oder im Sportgeschäft beim Ausprobieren der nächsten Turnschuhe gesagt. Sportliche Erfolge wie den westdeutschen Meistertitel feierte sie damals aber noch im Basketball. Nach dem vielen Zuspruch meldete sich Djamila Böhm im Alter von 14 Jahren dann aber doch bei ihrem ersten Leichtathletik-Verein an, dem TuS Köln rrh.
Trainer Georgi Kamenezki, heute Landestrainer in Niedersachsen, erkannte dort schnell ihr Talent für die Langhürden. Nur ein Jahr später gelang mit Platz acht bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Rhede 2009 der Sprung in den Endlauf, gegen zum Teil zwei Jahre ältere Konkurrenz. Mit diesem Erfolgserlebnis wurde die Leichtathletik endgültig Sportart Nummer eins für die Jugendliche und die Hoffnung auf eine Karriere im Leistungssport geweckt.
Wenn der Sport zur Qual wird
In den folgenden Jahren rückte zwar die 60-Sekunden-Marke näher, die Freude an Wettkämpfen und Training wurde aber gleichzeitig immer mehr getrübt. Der Körper spielte nicht mit. Djamila Böhm wurde bei zunehmender Belastung übel. Die Rennen und dann auch das Training wurden mehr und mehr zur Qual. Sie mache sich zu viel Druck, wurde der jungen Athletin immer wieder gesagt, eine medizinische Ursache für die Übelkeit nicht gefunden.
Im Alter von 19 wusste sich die damalige Abiturientin nicht anders zu helfen, als die Spikes in die Ecke zu legen. 2014 stand sie gar nicht auf der Bahn. Und auch an anderer Stelle im Leben gab es Veränderungen: Der Umzug von der Heimatstadt Köln nach Düsseldorf und der Start des integrativen Studiengangs, bestehend aus Politikwissenschaften, Soziologie und Medien- und Kommunikationswissenschaften.
Neustart bei Sven Timmermann bringt die Wende
Dass ihre sportliche Geschichte an dieser Stelle doch kein Ende nahm, liegt einerseits an dem großen Bewegungsdrang von Djamila Böhm und anderseits der Gewissheit, dass noch unausgeschöpftes Potenzial in ihr schlummert. Auf Empfehlung ihres alten Trainers klopfte die Langhürdlerin beim ART Düsseldorf und Sven Timmermann an. Dies stellte sich nach schwierigen Jahren als Volltreffer heraus. Denn Trainer und Athletin sind nicht nur bis heute auf einer Wellenlänge, der Heilpraktiker der Trainingsgruppe Stephan Giesen erkannte auch schnell, woher die Übelkeit kam, die ein geregeltes Training so lange unmöglich gemacht hatte: Eine Nahrungsunverträglichkeit gegen Milch und Gluten.
Plötzlich waren die Probleme der Vergangenheit wie ausradiert. Seit 2015 holt die Athletin die Entwicklung nach, die ihr in der Jugend verwehrt blieb. Das Training wurde langsam hochgefahren und die Bestzeiten purzelten. 58,99 Sekunden standen Ende 2015 über 400 Meter Hürden zu Buche, 2016 waren es schon 57,75 Sekunden. Dazu gab es 2016 den deutschen Meistertitel der U23.
2017 erster DM-Titel der Aktiven
In der zurückliegenden Saison folgte die nächste Steigerung auf 56,92 Sekunden. Mit dieser Zeit holte Djamila Böhm in Abwesenheit der Jahresschnellsten Deutschen Jackie Baumann (LAV Stadtwerke Tübingen) in Erfurt auch ihren ersten deutschen Meistertitel bei den Erwachsenen. „Da Jackie nicht da war, bin ich als Favoritin an den Start gegangen“, erzählt die Titelträgerin. „Das war eine ganz neue Erfahrung. Vorher hatte ich noch nie eine Medaille bei einer DM gewonnen. Im Ziel war die Erleichterung riesig.“
Was ihre Bestzeit angeht, fällt die Saisonbilanz trotz ihrer großen Fortschritte nicht hundertprozentig positiv aus. „Ich habe mich auf allen Zubringerstrecken enorm gesteigert. Meine Bestzeit von 53,86 Sekunden über die 400 Meter flach zeigt, dass auch über die Langhürden noch mehr drin war. Der Abstand ist mir zu groß“, sagt Djamila Böhm. „In meinen Rennen hat mir in der zurückliegenden Saison starke Konkurrenz gefehlt, die auf der Zielgeraden noch einmal zusätzliche Kraft freigesetzt hätte. Außerdem konnte ich meine Steigerungen der Zubringerwerte noch nicht ganz auf meiner Hauptstrecke zusammenbringen.“ Was bleibt, ist wieder ein Motivationsschub, nach dem ersten nationalen Titel den Anschluss an die europäische Spitze zu schaffen.
Mit Unterstützung der Crowd soll internationaler Durchbruch gelingen
Durch ihren Umweg in den Leistungssport ist die 23-Jährige bisher allerdings durch alle Förderraster gefallen. Aber auch hier hat die Studentin zuletzt ihren eigenen Weg gefunden, um die finanziellen Rahmenbedingungen für den angestrebten nächsten Schritt zu verbessern. In einem Crowdfunding-Projekt kamen mehr als 8.000 Euro zusammen, sogar 2.000 Euro mehr als angestrebt. „Ich bin überrascht und glücklich, wie viele Menschen mich finanziell unterstützen“, berichtet die Deutsche Meisterin. „Viele von ihnen kenne ich gar nicht. Es sind aber auch einige Leute dabei, mit denen ich zum Beispiel auf die gleiche Schule gegangenen bin, aber nie viel zu tun hatte.“
Insgesamt beteiligten sich 125 Unterstützer, die damit im Schnitt knapp 65 Euro in die Leichtathletin investierten. Durch die Aktion wurde auch ein Hersteller und Vertreiber von Bioprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln auf die Athletin aufmerksam, der sich zwar nicht am Crowdfounding beteiligte, aber Interesse als langfristiger Trikotsponsor angemeldet hat.
Im Training steiler bergauf, im Wettkampf zum EM-Ticket?
Mit dem Geld aus dem Crowdfunding möchte Djamila Böhm ein zusätzliches Trainingslager im Dezember in Portugal finanzieren und außerdem im kommenden Jahr zu mehr internationalen Rennen reisen, um dort gegen stärkere Konkurrenz antreten zu können. „Durch meine neue Bestzeit komme ich eher in schnellere Rennen, muss Anfahrt und Hotel dann aber selbst bezahlen.“ Das große Ziel ist – wie für soviele DLV-Athleten – die <link http: www.berlin2018.info _blank link zur webseite der em>Heim-EM in Berlin. Es wäre der erste Einsatz im Nationaltrikot. Längerfristig ist dann Olympia 2020 in Tokio (Japan) der große Traum.
Damit es 2018 wieder schneller wird, sind auch in Sachen Rhythmus noch Reserven. Mit nur 14 Schritten zu Beginn des Rennens zwischen den Hürden hat es in diesem Jahr noch nicht endgültig zufriedenstellend geklappt, sodass dann doch der 15er-Rhythmus auf den ersten sieben Hürden der bessere war. Das muss aber nicht so bleiben. Und auch im laufenden Aufbautraining hat Trainer Sven Timmermann schon wieder an einigen Schräubchen gedreht, um das Potenzial seiner Athletin weiter auszuschöpfen.
Eine Änderung steht sinnbildlich für ihre Entwicklung der vergangenen Jahre und ihre Ziele für die Zukunft. „Einmal pro Woche stehen Bergläufe auf dem Programm. Für diesen Winter haben wir uns einen neuen Berg gesucht. Dort sind die Läufe etwas länger und es geht steiler bergauf.“ Djamila Böhm weiß eben, wo sie hin möchte.
Video: <link video:17065>Djamila Böhm feiert ihren ersten Meistertitel
Video-Interview: <link video:17131>Djamila Böhm: "Ich will wissen, was da noch drin ist."
Das sagt Bundestrainer Marco Kleinsteuber: |
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Djamila hat ihre Bestzeit in den vergangenen Jahren jeweils um rund eine Sekunde gesteigert. Mittlerweile ist sie auch mit ihrem DM-Titel auf einem Level angekommen, das die internationale Klasse in Reichweite bringt. Im kommenden Jahr ist die Qualifikation für die EM möglich. Ihre bisherige Entwicklung ist toll. Djamila hat sich läuferisch verbessert. Auch die Hürdentechnik stimmt, rechts wie links. Für den nächsten Schritt in die europäische Spitze und Richtung 56,0 kann die Flachlaufleistung noch verbessert werden, dann könnte auch der Rhythmus noch einmal optimiert werden. Heimtrainer Sven Timmermann ist da Experte und kennt Djamila gut. Er weiß, was für sie optimal ist. Generell stabilisiert eine schnellere Flachlaufleistung den Rhythmus oder eröffnet die Möglichkeit, zu Beginn des Rennens weniger Schritte zwischen den Hürden zu machen. Da gilt es, die richtige Renneinteilung zu finden. Es geht um Feintuning. Djamila ist immer freundlich, gut drauf und offen. Für unsere Strecke ist sie eine Bereicherung.