| Historische Serie

Deutsche EM-Gesichter II: Rosi Ackermann sorgt für sporthistorischen Moment

Die Leichtathletik-EM 2018 vom 7. bis zum 12. August im Berliner Olympiastadion wird 2018 das größte Sportereignis auf deutschem Boden. Die Europameisterschaften haben seit ihrer Premiere 1934 in Turin eine große Tradition. In unserer zweiten historischen Serie präsentieren wir deutsche EM-Gesichter vergangener Titelkämpfe. Heute: Rosemarie („Rosi“) Ackermann, die erste Frau über zwei Meter im Hochsprung und Europameisterin 1974 in Rom.
Ewald Walker

Sie war Olympiasiegerin und Europameisterin, ihr Name steht jedoch vor allem für einen sporthistorischen Moment: Am 26. August 1977 überwand Rosemarie Ackermann als erste Frau der Welt die magische Zwei-Meter-Marke im Hochsprung. Es war einer der sieben Weltrekorde und sie eine der letzten bedeutenden Interpretinnen der Straddle-Technik. „Ich konnte es kaum glauben, was mir da gelungen ist, ich war natürlich stolz und überglücklich“, sagt die heute 65-jährige ehemalige Athletin des SC Cottbus über diesen großen Moment.

30.000 Zuschauer hielten im Berliner Olympiastadion den Atem an, als die Olympiasiegerin von 1976 in Montreal von der Seite geradlinig auf die Latte zuläuft und die Weltrekord-Höhe bäuchlings im Straddle überquert – 26 Zentimeter über ihrer Körpergröße. Das Olympiastadion wird zum Tollhaus.

"Dalli Dalli"-Moderator Hans Rosenthal vollführt seine berühmten Sprünge und kämpft im Innenraum um ein Interview mit der Weltrekordlerin. "Rosi" Ackermann versucht, der Reportermeute zu entkommen. "Ich wollte nicht, dass man meine Tränen im Gesicht sieht", erinnert sie sich noch genau an diesen bedeutenden Augenblick.

Rote Rosen als Motivation

Mit zwei roten Rosen und der Startnummer 20 hatte Meeting-Chef Rudi Thiel die DDR-Athletin vor dem Wettkampf für den historischen Sprung zu motivieren versucht. „Nach den drei Goldmedaillen von Jesse Owens bei den Olympischen Spielen 1936 war dies die Sternstunde der Leichtathletik in Berlin überhaupt", beschreibt Rudi Thiel, der mehr als zwei Jahrzehnte lang Organisator des Berliner Stadionfestes (ISTAF) war, noch immer diesen Pathos über Ackermanns Zwei-Meter-Sprung.

Mit zehn Mark Tagegeld in der Tasche wurde Ackermann wenige Stunden vor dem Wettkampf nach Westberlin gefahren und direkt ins Stadion gebracht. "Es war mein erster Besuch in Westberlin", erinnert sich die Cottbuserin an diesen Abstecher. Der Fahrer, der sie wieder in den Osten zurückbrachte, drehte eine Ehrenrunde auf dem Kurfüstendamm.

Es wurde ein Sprung, der das Leben der Rosemarie Ackermann veränderte. "Ich bin damit als Persönlichkeit gereift", sagt die inzwischen 65-Jährige. Der finanzielle Nutzen erscheint aus heutiger Sicht geradezu lächerlich. Während Usain Bolt für seine 9,58 Sekunden 100.000 Dollar kassierte, erhielt Ackermann für ihren Weltrekord einen Walkman und eine Brosche. Wie alle Sportler, die sich um den Sozialismus verdient gemacht hatten, erhielt sie später 1.500 DDR-Mark, die sie dann in den langersehnten Wartburg (Auto) investierte.

Weltrekord für ein Schnäppchen

Die Frage, ob sie zur falschen Zeit die weltbeste Hochspringerin war, stellt sich für die Mutter zweier erwachsener Söhne nicht. "Man kann das Rad nicht zurückdrehen", sagt sie. Es war ein Weltrekord für ein Schnäppchen. Klar ist auch, dass Rosemarie Ackermann in der von Brigitte Berendonk veröffentlichten DDR-Dopingliste ganz vorne steht. „Es ist bekannt, dass wir alle durch dieses System gegangen sind.“

Bereits 1974 bei der EM in Rom (Italien) hatte sie eine besondere Leistung vollbracht: Sie besiegte die Italienerin Sara Simeoni in ihrem Heim-Stadion mit ihrem ersten Weltrekord von 1,95 Meter. Der Olympiasieg in Montreal (Kanada) gelang der Favoritin Ackermann nach einem fünfeinhalbstündigen Wettkampf – dem längsten ihrer Karriere. Pikant: Das geforderte Maß für förderungswürdige Hochspringerinnen in der DDR betrug 1,75 Meter. Weil Ackermann unter 1,74 Meter war, wurde hier ganz offiziell geschummelt. Sie übersprang ihre Körpergröße um 26 Zentimeter.

Für Marie-Laurence Jungfleisch im Olympiastadion die Daumen drücken

„Der Sport hat viel zu meiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen“, schätzt Ackermann noch heute den Wert des Leistungssports. "Viele Eigenschaften, die für mich im Sport nützlich waren, habe ich auch im Leben umgesetzt." Rosemarie Ackermann war 1979 "Sportlerin des Jahres" in der ehemaligen DDR. Noch wertvoller ist ihr die Würdigung auf dem „Weg des Ruhms“ vor dem Cottbuser Rathaus. Da ist in einem Pflasterstein der Name „Rosemarie Ackermann, Olympiasiegerin“ eingelassen. Es sei schon ein gutes Gefühl, daran immer wieder vorbeizugehen.

Nach ihrer Karriere ist Rosemarie Ackermann als Zuschauerin der Leichtathletik erhalten geblieben. Am 10. August 2018 wird sie sich beim Finale im Frauen-Hochsprung in die Kurve des Olympiastadions setzen und für Marie-Laurence Jungfleisch (VfB Stuttgart) die Daumen drücken. 41 Jahre nach ihrer Sternstunde am gleichen Ort. „Da schlägt mein Herz höher“, sagt sie.

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