Es läuft für Christina Hering. Gleich dreifach hatte die Deutsche Meisterin über 800 Meter in der vergangenen Woche Grund zur Freude. Beim Wettkampf in Pfungstadt steigerte die 24-Jährige nach vier Jahren ihre persönliche Bestleistung auf 1:59,41 Minuten, unterbot die WM-Norm und auch die Norm für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr. Wir sprachen mit der Münchnerin über die wohl stärkste weibliche Mittelstreckengruppe Deutschlands, Freundschaften unter Konkurrentinnen und die Vorteile einer langen Saison.
Christina Hering, wenn wie am vergangenen Mittwoch plötzlich drei Wünsche auf einmal in Erfüllung gehen, wie groß ist dann die Erleichterung?
Christina Hering:
Enorm. Es war ein ganz emotionaler Moment für mich, als ich im Ziel stand und über die Lautsprecher meine Zeit hörte. Dass es unter der WM-Norm war, das hatte ich im Gefühl. Aber die Olympia-Norm – das war dieser berühmte i-Punkt. Ich musste vier Jahre warten, bis ich wieder unter diesen zwei Minuten bleiben konnte. Diese Marke wurde zunehmend immer mehr zur magischen Marke für mich. Dass ich da jetzt wieder drunter geblieben bin, und zwar so klar, das erleichtert mich sehr. Und dass Kathi (Trost, Anm. d. Red.) die Norm für Doha auch geknackt hat, das hat diesen Abend tatsächlich perfekt gemacht. Bei den vergangenen Saisonhöhepunkten in London und Berlin war ich über 800 Meter als einzige DLV-Läuferin dabei. Jetzt freue ich mich, dass Kathi mitkommt – als Teamkollegin, aber eben auch als Freundin.
Olympia 2020 in Tokio ist gefühlt noch weit weg. Warum hatten Sie die Norm von 1:59,50 Minuten dennoch direkt präsent?
Christina Hering:
Stimmt, auch für mich ist Olympia im kommenden Jahr gedanklich noch weit entfernt. Aber ich wusste, dass die Norm in der Nähe meiner Bestzeit ist, hinter der ich nun ja auch schon vier Jahre hergejagt bin. Ich wusste daher, was ich für Tokio laufen muss. Es ist schon irgendwie ein komisches Gefühl, dass ich jetzt schon für zwölf Monate im Voraus planen kann.
Was glauben Sie: Wird diese ungewohnte Planungssicherheit, die Ihnen im kommenden Frühsommer auch die Hatz nach einer bestimmten Norm erspart, Ihnen das kommende Jahr erleichtern?
Christina Hering:
Ich bin mir nicht sicher, ob es das unbedingt für mich einfacher machen wird. Klar, ich kann mich nach Doha im Prinzip schon konkret gedanklich mit Olympia beschäftigen, mein Training darauf ausrichten. Das ist auf der einen Seite sicher komfortabel. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch die Gefahr, dass ich dann alles perfekt machen will. Eben weil ich ja schon für Olympia qualifiziert bin. Aber ich werde für mich das Positive herausziehen. Ich weiß, mir hat es bisher nie an Motivation gemangelt. Und diese Planungssicherheit wird mir mindestens zehn Prozent zusätzliche Motivation geben. Vielleicht gibt es mir auch die Gelegenheit, meine Saison anders als bisher zu strukturieren. Ich bin durch die geschaffte Norm doch etwas unabhängiger.
Sie haben Katharina Trost bereits angesprochen. Für die Zuschauer ist das Duell zwischen Ihnen beiden toll anzusehen. Auch Journalisten freuen sich darüber. Aber wie ist das für Sie persönlich? Beschäftigt es Sie? Oder findet es doch vornehmlich medial statt?
Christina Hering:
So ganz freimachen kann ich mich davon auch nicht. Diese Saison war ohnehin nicht einfach für mich. Durch einen Außenbandriss bin ich direkt mit einem Trainingsrückstand in die finale Vorbereitung gestartet. Aber ich bin eine Kämpferin. Mich hat es eher zusätzlich motiviert zu sehen, dass Kathi da schon gut in Form und fitter war als ich. Denn diese Konkurrenz unter uns ist sehr positiv. Wir verstehen uns gut und jeder gönnt dem anderen den Erfolg.
Sie trainieren in der wohl derzeit stärksten weiblichen Mittelstrecken-Gruppe Deutschlands. Neben der Deutschen Hallenmeisterin Katharina Trost gehören auch die DM-Dritte Mareen Kalis und Jana Reinert dazu, für die Trainingspläne und Wettkampfsteuerung sind Andreas Knauer und Jonas Zimmermann verantwortlich. Was macht ihr aktuell besser als die nationale Konkurrenz?
Christina Hering:
Das sind ganz viele Faktoren, die da gut zusammenspielen. Es ist natürlich nicht selbstverständlich, dass vier Läuferinnen so gut miteinander auskommen und harmonieren. Wir können alle gönnen. Das macht viel aus. Und jeder hat im Training eine andere Stärke, von der wiederum auch alle anderen profitieren und etwas lernen können. Ich bin sehr dankbar, in dieser Gruppe trainieren zu dürfen. Es gibt für mich wenig Schlimmeres, als ganz alleine auf dem Platz zu stehen.
Es gibt ja die These, dass man ein guter 400 Meter-Läufer sein muss, um es auch über 800 Meter zu etwas zu bringen. Jetzt kommen Sie ja von den 400 Metern…
Christina Hering:
Da ist auf jeden Fall etwas dran. Meine Stärke ist eben auch deshalb die Zielgerade, weil ich ein hohes Angangstempo gut vertrage und auf den letzten Metern meine Schrittlänge halten kann. Wir werden daher in Zukunft auch verstärkt noch mehr spezifisch am Sprint arbeiten. Da haben wir noch Potenzial. Wir haben aber auch schon in diesem Jahr die Kilometerumfänge zurückgeschraubt und statt Dauerläufen die Einheiten alternativ bewältigt, zum Beispiel auf dem Stepper. Das hat gut funktioniert und die Belastung auf den Körper reduziert, denn die Saison ist ja bekanntlich in diesem Jahr besonders lang.
Wo Sie es gerade sagen: Im Vorfeld haben wir so oft über die ungewöhnlich lange Saison gesprochen und welche Herausforderungen das für Athleten mit sich bringt. Jetzt, wo wir mitten drin sind: Wie herausfordernd ist es tatsächlich?
Christina Hering:
Ich habe die letzten Wochen oft im Scherz gesagt: Wie gut, dass ich anfangs der Saison verletzt war und mir im Juni noch einen Magen-Darm-Infekt eingefangen habe. So laufe ich keine Gefahr, zu früh in Höchstform zu sein. Aber in dem Scherz steckt ein Funke Wahrheit: Mir kommt diese lange Saison entgegen. Ich merke, ich nähere mich erst jetzt meiner Bestform, bin noch absolut motiviert und habe keine körperlichen Probleme. Jetzt muss ich nur noch einen Monat lang mein Niveau halten, im besten Fall ausbauen. Das passt.
Ihre Saison ist bislang ja auch schon sehr gut gelaufen. Bei der Universiade in Neapel sind Sie zu Silber gelaufen, standen erstmals bei den Aktiven auf dem Podest. Ein bewegender Moment, oder?
Christina Hering:
Das war wirklich ganz besonders. Es hat vier Jahre gedauert, bis ich nach das U23-EM, wo ich 2015 Bronze gewonnen habe, wieder auf dem Podium stehe.
Was muss passieren, dass Sie am Ende dieser Saison sagen können: Das war ein Jahr, wie ich es mir erhofft habe?
Christina Hering:
Seit vergangenem Mittwoch hat sich meine Ausgangsposition nochmal verändert. Ich liege mit meiner Bestzeit nun an Position 14 in der Weltbestenliste. Ich war zwar bei den letzten beiden Weltmeisterschaften auch schon im Halbfinale, doch da war der Abstand zur absoluten Weltspitze schon recht deutlich spürbar. Ich hoffe, dass ich nun in Doha zeigen kann, dass ich mich weiterentwickelt habe, dass ich den Abstand verkürzt habe und dass das WM-Halbfinale ein Rennen ist, wo ich mich präsentieren kann.
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