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Emil Agyekum – Weltspitze vor Augen

© Jan Papenfuß
Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig haben im zurückliegenden Sommer acht Athletinnen und Athleten ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen. Für einige kam das überraschend, andere blicken trotzdem nicht nur zufrieden auf die Saison zurück. Wir stellen sie vor, heute 400-Meter-Hürden-Läufer Emil Agyekum (SCC Berlin).
Jan-Henner Reitze

Emil Nana Kwame Agyekum
SCC Berlin

Bestleistung: 

400 Meter Hürden: 48,21 sec (2024)

Erfolge:

EM-Bronze 2024 (4x400 Meter Staffel)
EM-Sechster 2024
Silber U23-EM 2021
Bronze U23-EM 2021 (4x400 Meter Staffel)
Bronze U23-EM 2019
Bronze U18-EM 2016
Deutscher Meister 2024

In seiner Jugend kamen Erfolge wie von allein, ganz besonders über 400 Meter Hürden. Dabei hatte sich Emil Nana Kwame Agyekum diese Disziplin gar nicht wirklich ausgesucht, sondern besaß anfangs eher unbewusst ein großes Talent dafür. Es brauchte etwas Zeit, kleine Umwege und den ein oder anderen Hinweis seines Umfelds, bis der Langhürdler erkannte, wohin ihn seine Möglichkeiten führen können.

Spätestens mit dem Wechsel in die Trainingsgruppe von Bundestrainer Volker Beck richtete der 25-Jährige sein Leben voll auf den Leistungssport aus. Das brachte den nächsten Entwicklungsschritt, der ihn im vergangenen Sommer zu EM-Bronze mit der Staffel und Rang sechs im Einzel in die kontinentale Spitze führte. Der Halbfinal-Einzug bei den Olympischen Spielen zeigt: Auch die weltweite Konkurrenz ist nicht mehr weit entfernt. National war der Sportsoldat inklusive DM-Titel in Braunschweig 2024 erstmals die Nummer eins in der Männerklasse.

Sechs Rennen unter 49 Sekunden und die Bestzeit zum Saisonabschluss von 48,21 Sekunden stehen für ein konstant hohes Leistungsniveau, das aber noch nicht alles gewesen sein soll. „Ich möchte der schnellste Hürdenläufer aller Zeiten werden“, sagt der Athlet des SCC Berlin nicht nur selbstbewusst. Er ist auch bereit, hart dafür zu arbeiten und dem Sport alles andere unterzuordnen. Dass sich das internationale Top-Niveau in seiner Disziplin in den vergangenen Jahren rasant entwickelt hat, ist dabei nur ein zusätzlicher Ansporn.

Auf der Langhürde sofort erfolgreich

Der gebürtige Berliner begann im Grundschulalter beim TV Friedrichstadt bei Jürgen Lemke mit dem Leichtathletik-Training. Später wurde er dort auch von Jan und Jens Werth betreut. „Ich habe auch andere Sportarten wie Fußball, Handball, Basketball, Turnen oder Schwimmen ausprobiert. In der Leichtathletik war ich aber immer am besten.“ Sport spielte in der Familie Agyekum eine wichtige Rolle. „Mein Vater hat mich und meine ältere Schwester auf die Sportschule geschickt, mein kleiner Bruder erfreut sich auch an vielen Sportarten.“ Nach der Grundschule besuchte Emil Agyekum das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin Hohenschönhausen.

Auf Vereinsebene startete der Nachwuchsathlet ab dem Jahr 2009 für den SV Preußen Berlin und feierte in einem starken Team nicht nur Mannschafts- und Staffelerfolge. Im Jahr 2013 gewann er den DM-Titel im Blockmehrkampf Lauf der M14 (2.652 Punkte), ein Jahr später kam DM-Silber (2.810 Punkte) dazu.

In der M15 wurden auch erstmals Rennen über die Langhürden angeboten, auf denen sich von Beginn an Erfolge einstellten. Unter Anleitung von Bernd Knobloch sicherte sich der Sportschüler bei seinem ersten DM-Start in einer Einzeldisziplin bei der U16-DM 2014 Silber über 300 Meter Hürden (40,47 Sekunden). Für die Langhürden brachte der damals 15-Jährige nicht nur Sprintausdauer mit, sondern auch ein außergewöhnlich gutes Gefühl bei der Ansteuerung der Hürden. Es ging beim Überqueren weniger Geschwindigkeit verloren als bei der Konkurrenz. Eine große Leidenschaft für diese Disziplin war aber noch nicht vorhanden.

„Das kam damals alles von allein. Natürlich ging es auf der Sportschule um Leistung, aber ich hatte damals noch nicht das Ziel, einmal ein professioneller Sportler zu werden.“ Das blieb auch so, als es über 400 Meter Hürden im ersten U18-Jahr zu Silber bei der Jugend-DM (53,27 sec) reichte, ein Jahr später bei dieser Meisterschaft zum Sieg (52,31 sec) und beim ersten Start im Nationaltrikot mit Bronze (51,80 sec) bei der U18-EM in Tiflis (Georgien) sogar zu einer internationalen Medaille.

Umweg über die Kurzhürde

Trotz seiner starken Leistungen war Emil Agyekum zu diesem Zeitpunkt nicht davon überzeugt, dass seine Zukunft im Sport liegt. Erst recht von den Langhürden hatte er genug. „Ich fand es langweilig. Andere Dinge interessierten mich mehr. Es waren meine Eltern, die mich überzeugt haben, mit der Leichtathletik weiterzumachen. Sie haben immer noch mein Talent gesehen." Allerdings wollte es der damals 17-Jährige mit einer anderen Disziplin probieren.

Mit dem Wechsel zu Sven Buggel und zum SSC Berlin konzentrierte sich der U20-Athlet im Jahr 2017 auf den Hürdensprint. Mit seiner Bestzeit von 14,50 Sekunden über 110 Meter Hürden fehlte aber mehr als eine halbe Sekunden zur Qualifikationsnorm (13,85 sec) zur U20-EM in Grosseto (Italien). Ohne viel für die Langhürde trainiert zu haben, ging der Dritte der U18-EM bei der Jugend-DM wieder über 400 Meter Hürden an den Start – und lief trotz der höheren Hürden in 52,03 Sekunden zu Silber und knapp an seine Bestzeit heran.

Mehr und mehr freundete sich der junge Athlet, der sein Fachabitur mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr in seinem Verein abschloss, mit dem Gedanken an, dass die Langhürden seine Disziplin sind und es in den Leistungssport gehen soll. In seinem zweiten U20-Jahr gelang dann die Qualifikation für die U20-WM, wo allerdings im Vorlauf Endstation war. Bei der Jugend-DM folgte mit Bestzeit (51,38 sec) der nächste nationale Sieg.

Zwei EM-Medaillen in der U23 und Wechsel zu Volker Beck

Die U23-Jahre unterstrichen eine weitere Fähigkeit, die Emil Agyekum auszeichnet. Jeweils in den Finals der U23-EM konnte er seine Bestzeit deutlich steigern: Bei seiner Bronzemedaille 2019 (49,69 sec) blieb er erstmals unter der Marke von 50 Sekunden und bei seiner Silbermedaille 2021 (48,96 sec) erstmals unter 49 Sekunden. Wenn es um etwas geht, kann der Athlet seine beste Leistung abliefern. Im Wettkampf kann er über sich hinauswachsen, auch wenn sich das im Training nicht unbedingt andeutet.

Das Jahr 2022 war dann ein Dämpfer. Mehrere Bänderrisse ließen in der kompletten Sommersaison keine Wettkämpfe zu. Stattdessen blieb viel Zeit zum Nachdenken. „In mir war das Ziel gereift, es ganz nach vorne schaffen zu wollen, und ich habe gemerkt, dass ich dafür etwas verändern muss“, erzählt der Berliner. „Und mit Volker Beck haben wir einen Olympiasieger in meiner Disziplin, der in Frankfurt einige der besten Athleten in Deutschland trainiert. Ich hielt es für eine gute Idee, zu ihm zu wechseln.“ Ein Vereinswechsel war mit dieser Entscheidung zunächst nicht verbunden.

Steigerung auf allen Ebenen

Sportlich wie auch persönlich brachte der Umzug nach Frankfurt vieles in Bewegung. Der DLV-Athlet musste sich allein in seinem neuen Umfeld zurechtfinden. „Ich habe über viele Dinge noch einmal neu nachgedacht. Ernährung, Regeneration und mentales Training sind wichtiger geworden.“ Mit diesen Themen beschäftigt sich Emil Agyekum auch in seinem Fernstudium im Bereich „Life Coaching“. „Das passt gut und ist eine Abwechslung. Der Sport steht aber ganz klar an erster Stelle.“ Das Ankommen in seiner neuen Wahlheimat wurde dem Neuankömmling von seiner neuen Gruppe erleichert. „Meine super Trainingskollegen haben mir geholfen.“

Auch innerhalb des Trainings mit Volker Beck und unter anderem dem WM-Achten Joshua Abuaku (Eintracht Frankfurt), dem Olympia-Halbfinalisten von 2021 Luke Campbell (Sprintteam Wetzlar) und der Deutschen Meisterin Eileen Demes (TV 1861 Neu-Isenburg) stellten sich nochmal ganz neue Erkenntnisse ein. Von der Langeweile, die der 25-Jährige in seinen Anfängen in seiner Disziplin verspürte, ist keine Spur mehr. „Ich habe zum Beispiel ein ganz neues Bewusstsein für das Tempo in einem 400-Meter-Hürden-Rennen entwickelt. Früher bin ich immer einfach voll Karacho losgelaufen. Jetzt habe ich viel mehr Kontrolle und weiß, wie wichtig der Rhythmus ist.“

Schon im vergangenen Sommer zahlte sich der Wechsel mit der ersten WM-Teilnahme und der Steigerung auf 48,47 Sekunden aus. Der Trainingsaufbau für die zurückliegende Saison verlief dann ohne größere krankheits- oder verletzungsbedingte Unterbrechungen. Im Trainingslager im Januar in Südafrika wiesen 32,92 Sekunden über 300 Meter auch Fortschritte über die Flachstrecke nach, die ins Team der Staffel-WM führten, wo Emil Agyekum zur Olympia-Qualifikation der 4x400-Meter-Staffel der Männer des DLV sowie der Mixed-Staffel beitrug.   

Ziel ist das WM-Finale

Bei der EM in Rom (Italien) sicherte der Hürden-Spezialist dann als Schlussläufer sogar Bronze für das DLV-Team ab. Im Olympia-Vorlauf lief das Quartett in 3:00,29 Minuten bis auf knapp eine halbe Sekunden an den 39 Jahre alten deutschen Rekord (2:59,86 min) heran. „Die Staffel unterstützen zu dürfen war toll und Teil eines aufregenden Jahres.“ Dazu zählte auch der erste DM-Titel in einer Zeit von 49,25 Sekunden in Braunschweig.

Einzig der Einzel-Vorlauf bei den Olympischen Spielen lief nicht optimal (49,38 sec), so dass es mit dem Halbfinale-Einzug erst über die Hoffnungsrunde (48,67 sec) klappte. Fürs Finale fehlte in der Vorschlussrunde (48,78 sec) dann eine halbe Sekunde. „Das hat mich geärgert. Auf der anderen Seite habe ich damit eine Erfahrung gemacht, aus der ich lernen werde“, erzählt der Deutsche Meister. „Ich bin für die nächsten Jahre sehr zuversichtlich und freue mich darauf, zu zeigen, was ich draufhabe.“

Wichtigstes Ziel für das kommende Jahr ist der Finaleinzug bei der WM in Tokio (Japan; 13. bis 21. September). Außerdem möchte der EM-Dritte mit der Staffel auch über die Flachstrecke mindestens im Team wieder mitmischen. „Und wer weiß, vielleicht laufe ich bei den Deutschen Meisterschaften ja mal die 400 Meter flach.“

Video: Erster deutscher Meistertitel für den EM-Sechsten Emil Agyekum
Video-Interview: Emil Agyekum: "Regen und Wind kriege ich gar nicht mit – ich sehe nur Hürde"

Das sagt Bundestrainer Volker Beck:

Schon als Nachwuchsathlet habe ich Emil in den DLV-Trainingslagern betreut. Er bringt großes Talent mit, das er mehr und mehr ausschöpft. Der Wechsel des Trainingsstandorts nach Frankfurt war eine Herausforderung, der sich Emil gestellt hat. In den vergangenen beiden Jahren hat er sich persönlich und sportlich in allen Bereichen weiterentwickelt. Er ist zu einem zielorientierten Athleten geworden, der an sein Trainingssystem glaubt. Die Fortschritte in den Ergebnissen sind die Belohnung dafür. Wir haben sein Rennmodell weiterentwickelt. Emil kann jetzt bis zur siebten Hürde im 13er-Rhtythmus laufen. Als er zu mir gekommen ist, ging das bis zur fünften Hürde. Technik und Schnelligkeit auf der Flachstrecke haben sich ebenfalls verbessert.

Emil ist kein Trainingsweltmeister. Er ist ein Wettkampftyp und ein Gefühlsmensch. Besonders positiv ausgewirkt hat sich das in seinem Rennen beim ISTAF in seiner Heimatstadt Berlin, als am Ende seine Bestzeit auf der Anzeigetafel aufleuchtete. Im Vorlauf der Olympischen Spiele hat er sich dagegen nicht wohlgefühlt und den direkten Einzug ins Halbfinale verpasst. In der Repechage konnte er das korrigieren, hatte dann aber einen Lauf mehr. Das war schade, denn das Olympia-Finale war nicht außer Reichweite. Insbesondere in den Staffeln hat Emil mit einer fliegenden Zeit von 44,04 Sekunden gezeigt, welches Potential er hat. Wenn es gelingt, diese Möglichkeiten auf die Hürden zu übertragen, ist das WM-Finale möglich.

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