| Neue Meisterin

Eileen Demes – Noch nicht vollendet

© Theo Kiefner
Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig haben im zurückliegenden Sommer acht Athletinnen und Athleten ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen. Für einige kam das überraschend, andere blicken trotzdem nicht nur zufrieden auf die Saison zurück. Wir stellen sie vor, heute 400-Meter-Hürden-Läuferin Eileen Demes (TV 1861 Neu-Isenburg).
Jan-Henner Reitze

Eileen Demes
TV 1861 Neu-Isenburg

Bestleistung: 

400 Meter Hürden: 54,80 sec (2024)

Erfolge:

EM-Achte 2024 (4x400 Meter)
Vierte U20-WM 2016 (400 Meter Hürden & Staffel)
Achte Olympische Jugendspiele 2014
Vierte U18-WM 2013
Deutsche Meisterin 2024

Es beginnt bärenstark, dann bringt ein Rückschlag alles durcheinander. Trotzdem holt sie sich einen nationalen Titel. Schließlich tragen die Umstände dazu bei, den sportlichen Zielen wieder näher zu kommen. Ganz entfalten kann die 27-Jährige ihr Potential aber noch nicht. Was hier ein wenigen Worten die zurückliegende Sommersaison von Eileen Demes zusammenfasst, beschreibt treffend auch die bisherige Karriere der 400-Meter-Hürden-Läuferin.

Nach ihrem Saisoneinstieg 2024 mit Stadionrekord Anfang Mai über 300 Meter Hürden (38,87 sec) in Pliezhausen stürzte die Athletin vom TV 1861 Neu-Isenburg bei einem Rennen auf Teneriffa. Sie fand ihre Sicherheit nicht zurück und verpasste die Einzel-Qualifikation für Olympia, war allerdings mit der Staffel in Paris (Frankreich) dabei. Danach gelang dann doch noch die Steigerung auf 54,80 Sekunden in ihrer Spezialdisziplin, die aber nur eine Zwischenstation sein soll.

Eine sehr viel längere Durststrecke hat die EM-Achte mit der Staffel krankheitsbedingt in den Jahren 2017 bis 2021 durchlebt. In dieser Zeit konnte sie nicht an ihre internationalen Erfolge aus der Jugend anknüpfen und hätte ihre Ambitionen im Leistungssport fast komplett aufgeben.

Überfliegerin in der Jugend

In ihrer Kindheit in Obertshausen bei Frankfurt eiferte Eileen Demes ihrer älteren Schwester Lara nach. Die ging zum Leichtathletik-Training, und im Alter von fünf Jahren schloss sich Eileen an. Zuerst Simone Picard und später deren Mutter Gabi, die heute noch den Nachwuchs bei der TG Obertshausen betreuen, entfachten die Leidenschaft für die Leichtathletik.

Ihr Mehrkampftalent führte die junge Athletin in den E-Kader auf Bezirksebene, wo Robert Schieferer für die Betreuung zuständig war und zu einem langjährigen Wegbegleiter wurde. Vor allem im Sprint, über 800 Meter und über die Hürden gehörte die damalige U16-Athletin zur nationalen Spitze ihrer Altersklasse und feierte ihren ersten großen Erfolg im Mehrkampf. Nach Rang zwölf (2.598 Punkte) bei den Deutschen U16-Meisterschaften 2011 im Block Sprint/Sprung in der Altersklasse W14 sicherte sich Eileen Demes ein Jahr später im Block Lauf (2.913 Punkte) den W15-Titel.

Danach ging alles ganz schnell. „Es war klar, dass ich über 400 Meter Hürden versuchen würde, mich für die U18-WM zu qualifizieren.“ Das gelang, und in 58,92 Sekunden lief die damals erst 15-Jährige in Donetsk (Ukraine) auf den vierten Rang. Ein Jahr später folgten der Wechsel zum TV 1881 Neu-Isenburg und Rang acht bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing (China).

In der U20 kamen zwei weitere vierte Plätze bei der U20-WM in Bydgoszcz (Polen) über 400 Meter Hürden (57,83 sec) und mit der 4x400-Meter-Staffel (3:32,63 min) dazu sowie Silber (57,87 sec) beim ersten DM-Start in der Frauenklasse. Die Bestzeit stand damals bei 57,13 Sekunden, und alles sprach für den direkten Weg in den Leistungssport. „Ich habe gedacht, dass es so weitergeht.“ Aber es kam anders.

Pfeiffersches Drüsenfieber bremst über Jahre die Leistungsfähigkeit

Die Überfliegerin erkrankte 2017 an Pfeifferschem Drüsenfieber und erholte sich nicht komplett davon. Die körperliche Belastbarkeit kehrte nicht wie vorher zurück, Training war nur eingeschränkt möglich und mit den Leistungen ging es abwärts. Niemand konnte erklären warum. Obwohl sie gefühlt nach der Hälfte ihrer Rennen schon vollkommen am Ende war, sicherte sich Eileen Demes im Jahr 2018 den Titel bei der U23-DM und bewies, dennoch im Leistungssport mitmischen zu können. Zu ihrer Bestzeit fehlten allerdings zwei Sekunden (59,08 sec).

Die Überzeugung, es einmal im Sport schaffen zu können, schwand mehr und mehr. „Ich war frustriert, weil ich so viel in den Sport investiert, aber nichts zurückbekommen habe.“ Stattdessen trieb die Hessin ihr Studium in General Management voran, erfüllte sich den Traum von einem Auslandssemester in Peru und schrieb ihre Abschlussarbeit in Nottingham (Großbritannien). „Mit dem Abstand habe ich aber auch gemerkt, dass ich noch immer Lust auf Sport habe.“

Und endlich kam auch die entscheidende Wende, um das körperliche Tief zu überwinden: Eine Naturheilpraxis in Bayern, mit der die Athletin bis heute zusammenarbeitet, stellte fehlende Stoffwechselprozesse fest. Eine Kur mit Darmbakterien brachte das Immunsystem wieder auf die Beine.   

Corona führt zurück in den Sport

Auch der Beginn der Corona-Jahre trug dazu bei, dass Eileen Demes den Weg zurück in den Leistungssport fand. Zurück in ihrer Heimat, beschränkten die Lockdown-Regeln die Gestaltung des Alltags. Das Masterstudium lief online. Da war Training eine willkommene Aktivität, wenn auch nur dreimal die Woche und zuerst ohne den Gedanken, an alte Leistungen anknüpfen zu wollen. „Dabei habe ich ohne viel Aufwand erstmals wieder Zeiten geschafft, wie zuletzt fünf Jahre vorher.“

Schritt für Schritt tastete sich die Athletin zurück in Richtung Wettkampf und kam ihrem Hausrekord 2021 immer näher, bis sie schließlich zum Saisonabschluss in 56,69 Sekunden nach mehr als fünf Jahren wieder eine Bestzeit aufstellte. Damit war auch der Glaube daran wieder entfacht, doch noch einmal im Nationaltrikot starten zu können.

Mit der Stabilisierung ihres Leistungsniveaus und der neuen Bestzeit von 56,12 Sekunden erfüllte sich Eileen Demes diesen Traum schon ein Jahr später mit der Qualifikation für die Heim-EM 2022 in München. Und das, obwohl die inzwischen mit einem Master ausgestattete Langhürdlerin neben dem Sport in Teilzeit als Projektmanagerin arbeitete. Das Aus im Vorlauf bei der EM war allerdings kein zufriedenstellendes Ergebnis. Und so folgte der Entschluss, sich sportlich noch einmal neu aufzustellen: in der Trainingsgruppe von Bundestrainer Volker Beck.

Erste WM, aber noch nicht der perfekte Rhythmus

Die EM-Teilnehmerin kündigte ihren Job und konzentrierte sich erst einmal komplett auf den Sport. Seit diesem Jahr gehört sie zur Sportfördergruppe der Bundeswehr. Schon im ersten Jahr im neuen Trainingsumfeld mit nur männlichen Kollegen wie dem WM-Achten Joshua Abuaku (Eintracht Frankfurt) und dem EM-Finalisten Emil Agyekum (SCC Berlin) konnte Eileen Demes ihr Leistungsniveau weiter steigern. So qualifizierte sie sich 2023 erstmals für eine WM und lief in Budapest mit Bestzeit von 55,29 Sekunden bis ins Halbfinale.

In der Vorbereitung auf den Olympia-Sommer 2024 ging es dann vor allem mit den Zubringerleistungen für den Flachsprint weiter voran. Nach dem Sturz an der siebten Hürde beim Saisonauftakt über 400-Meter-Hürden gelang es Eileen Demes aber nicht mehr, diese neue Geschwindigkeit über die Hürden zu bringen. „Ich war verunsichert und habe auch keinen Rhythmus mehr für meine Rennen gefunden.“ Dieses Muster setzte sich trotz Titelgewinn auch bei der DM in Braunschweig (56,53 sec) fort.

Olympiatraum mit der Staffel erfüllt

Ihre Entwicklung auf der Stadionrunde ohne Hürden brachten die 27-Jährige allerdings in die DLV-Staffel über 4x400 Meter, die bei der EM in Rom (Italien) das Olympiaticket klar machte. Damit wurde das Ziel Paris doch noch Wirklichkeit, und auch die Bestzeit in einem Testrennen (51,63 sec) im Vorfeld der Olympischen Spiele war ein Erfolgserlebnis.

Die Pause von den Hürden („Die haben mich zu diesem Zeitpunkt etwas geärgert“) nahm Eileen Demes als willkommene Abwechslung, bevor sie später in der Saison auch auf ihrer Paradestrecke wieder glänzen konnte: Die Bestzeit von 54,80 Sekunden zwei Wochen nach den Olympischen Spielen waren dann ein versöhnlicher Abschluss. Auch wenn diese Zeit weiterhin in die etwas verhexte Hürdensaison passt: Als Direktnorm (54,85 sec) hätte sie zu einem früheren Zeitpunkt für den Einzelstart in Paris gereicht. Für die WM im kommenden Jahr in Tokio (Japan) steht die Direktnorm allerdings bei 54,65 Sekunden.

Noch einen Schritt weiter gehen

Das Glück hatte Eileen Demes in ihren Hürdenrennen 2024 nicht auf ihrer Seite. „Ich stehe mir auch ein bisschen selbst im Weg.“ In der kommenden Vorbereitung will sie weiter daran arbeiten, die Hürden ohne Geschwindigkeitsverlust zu überlaufen. „Da fehlt mir noch Selbstvertrauen.“ Auch die Festlegung, ob die Rennen erst einmal mit dem 14er-Rhythmus losgehen, ist noch nicht gefallen.

Wenn es ihr gelingt, ihre Fähigkeiten auf die mit Hürden gespickte Rundbahn zu bringen, ist die Deutsche Meisterin überzeugt, „dass ich meine Zeit noch weiter herunterschrauben kann.“ Mit der WM in Tokio steht im kommenden Jahr nur ein Saisonhöhepunkt auf der Agenda, was die Planung erleichtert. Auf dem Weg dorthin möchte sie auch gern auf der Flachstrecke weiterhin ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und bei der Staffel-WM in Guangzhou (China) dabei sein. Die Planung läuft auch langfristig bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles (USA), dort soll es mit einem Einzelstart klappen.

Video: Eileen Demes eilt der Konkurrenz auf und davon
Video-Interview: Eileen Demes: "Das war rhythmisch der schlechteste Lauf der Saison

Das sagt Bundestrainer Volker Beck:

Eileen ist eine sehr zielorientierte und ehrgeizige Sportlerin, die sich intensiv mit ihrer Disziplin auseinandersetzt und alles hinterfragt. Nach einer planmäßigen Saisonvorbereitung, in der sich alle Leistungsparameter im Vergleich zum Vorjahr verbessert haben, folgte ein sehr guter Saisoneinstieg über die Unterdistanz in Pliezhausen. Ein Sturz ohne Verletzung auf Teneriffa verunsicherte Eileen in der Folgezeit und sie konnte keine Lösung bezüglich eines erfolgreichen Rennmodells finden.

Erst zur EM in Rom konnte sie mit persönlicher Bestleistung annähernd das zu erwartendes Leistungsniveau realisieren. Sicherheit und Selbstvertrauen gewann sie mit dem erfolgreichen Einsatz in der 4x400-Meter-Staffel. Hier bewies sie ihr deutlich verbessertes Flachlaufniveau.

Über eine gute Hürdentechnik verfügt Eileen. Wenn sie ihre rhythmischen Defizite über das Wintertraining korrigieren kann, bin ich sicher, dass sie eine sichere Kandidatin für eine erfolgreiche Teilnahme an der WM im nächsten Jahr sein wird. Eileen hat das Potenzial, sich als starke Athletin im internationalen Wettkampf zu etablieren.

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