Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig haben im zurückliegenden Sommer acht Athletinnen und Athleten ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen. Für einige kam das überraschend, andere blicken trotzdem nicht nur zufrieden auf die Saison zurück. Wir stellen sie alle vor, heute Hindernisläufe Frederik Ruppert (LAV Stadtwerke Tübingen).
Frederik Ruppert
LAV Stadtwerke Tübingen
Bestleistung:
3.000 Meter Hindernis: 8:15,08 min (2024)
Erfolge:
U23-Europameister 2019
EM-Vierter 2024
Deutscher Meister 2024
Der Weg von Frederik Ruppert in die internationale Spitze war nur in wenigen Momenten ein Selbstläufer. Erfolge wurden immer wieder durch Rückschläge abgelöst. Es brauchte Jahre, in denen er mehr und mehr über die individuellen Bedürfnisse seines Körpers dazulernte, um sein Potential weiter ausschöpfen zu können. Immer geblieben ist dabei der Glaube daran, es schaffen zu können. Und das Jahr 2024 hat gezeigt, was möglich ist. Erstmals war der 27-Jährige die komplette Saison über in Topform.
Es begann schon mit starken Bestzeiten in der Halle über 3.000 Meter (7:48,36 min) und fünf Kilometer auf der Straße (13:33 min). Die Sommersaison brachte vier Hindernisrennen unter 8:20 Minuten, Rang vier bei der EM und ein nur hauchdünn verpasstes Olympiafinale. Schlüssel zum Erfolg waren die über Jahre erarbeitete Grundlage in der Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Trainer Harald Eifert und neue Impulse, die der Wechsel zu Isabelle Baumann gebracht hat.
Auch bei Deutschen Meisterschaften hat der Athlet der LAV Stadtwerke Tübingen von Enttäuschungen bis Bestzeiten und Medaillen schon alles erlebt. In diesem Sommer in Braunschweig kam der erste nationale Titelgewinn in der Männerklasse (8:16,98 min) dazu. Die Konstanz dieses Jahres und die zusätzlichen Erfahrungen aus international top besetzten Rennen lassen den Deutschen Meister zuversichtlich in die Zukunft blicken: Es ist sogar noch mehr möglich.
Fußball größere Leidenschaft, Leichtathletik größere Ambitionen
Den ersten „Selbstläufer-Moment“ erlebte Frederik Ruppert gleich zu Beginn seiner Karriere und unbewusst. In seiner Kindheit in seiner Heimat Herzogenrath in der Nähe von Aachen war seine erste sportliche Leidenschaft der Fußball, außerdem begleitete er seinen Vater regelmäßig beim Joggen mit dem Fahrrad. Der belächelte zuerst den Wunsch seines Sohnes, der eines Tages zu Fuß mitlaufen wollte. Das Lächeln wich dann allerdings einem angestrengten Gesichtsausdruck, als der damals Siebenjährige immer noch locker und leicht durch den Wald rannte, als sein Papa schon längst aus der Puste war und nicht mehr hinterherkam.
Trotz des offenbarten Talents blieb es in der Leichtathletik erst einmal bei der gelegentlichen Teilnahme an Volksläufen und Fußball die erste Wahl als Vereinssport. Erst als dem damaligen Grundschüler auch bei einer Sichtungsaktion in der Schule Potential in der Leichtathletik zugesprochen wurde, ließ er sich überzeugen, es auch in dieser Sportart mit dem Training im Verein zu versuchen. Die anfängliche Skepsis verflog nach einigen Einheiten unter der Anleitung von Josef Crumbach beim LC Herzogenrath. Nicht nur weil sich von Beginn an Erfolge einstellten, sondern sich auch neue Freunde in der Trainingsgruppe fanden.
Langjähriger Wegbegleiter: Harald Eifert
Es wurden zwar alle Disziplinen trainiert, aber die Laufdisziplinen brachten von Beginn an die besten Ergebnisse und führten den damals 13-Jährigen zum Kadertraining des Landesverbandes Nordrhein in Erkelenz, das von Harald Eifert geleitet wurde. Der sollte zu einem langjährigen und wichtigen Wegbegleiter werden.
„Ich habe gleich gemerkt, dass es bei ihm professioneller zuging und habe bald darauf komplett bei Harald trainiert“, erzählt Frederik Ruppert, der damals erst noch weiter im Trikot des DJK JS Herzogenrath startete und 2013 zum SC Myhl wechselte. Da hatte er den Vereinsfußball dann auch aufgegeben, den er lange Zeit parallel betrieben hatte. „Tatsächlich hat mir Fußball auch damals noch mehr Spaß gemacht, aber ich habe mich für die Leichtathletik entschieden, weil ich dort die größeren sportlichen Ambitionen gesehen habe.“
Behutsamer Aufbau, aber auch körperliche Baustellen
Auf den Mittelstrecken gehörte der junge Läufer zur erweiterten DLV-Spitze seiner Altersklasse. Bei Deutschen Jugendmeisterschaften ging er regelmäßig über die Hindernisse an den Start, auch weil es in dieser Disziplin immer nur ein Finale und damit keine Doppelbelastung gab. Nach einem neunten Platz im Jahr 2013 (6:15,71 min) gelang im zweiten U18-Jahr in 5:58,34 Minuten in Wattenscheid mit Bronze ein Podestplatz. In den U20-Jahren kamen die Plätze fünf (2015; 5:53,45 min) und vier (2016; 5:47,75 min) bei der Jugend-DM heraus, alles über die 2.000-Meter-Hindernis-Strecke.
In dieser Zeit blieb es aber bei wenigen Hindernisrennen, auch wegen der damit verbundenen Belastung für den Bewegungsapparat. Baustellen waren und blieben zum Teil bis heute die Füße, die Waden und die Hüfte. „Gerade der Wassergraben und das Abfedern beim Aufkommen in Spikes ist für jeden Hindernisläufer ein Thema.“ Trotz dieser Herausforderung und der Tatsache, dass der Durchbruch zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne schien, sah der junge Läufer nach seinem Abitur seine Zukunft im Leistungssport. Neben dem Training nahm er ein Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln im Fach Sport und Leistung auf.
Sein Trainer allerdings empfahl, es mit den Hindernissen erst einmal sein zu lassen und sich voll auf die Mittelstrecken zu konzentrieren. Das tat der Athlet mit Erfolg. In den Jahren 2017 und 2018 steigerte er sich über 800 Meter bis auf 1:50,18 Minuten, stand jeweils im Finale der U23-DM und holte dort mit Bronze im Jahr 2018 (1:51,01 min) wieder eine Medaille. Die internationale Spitze blieb allerdings ein ganzes Stück weit entfernt. „Ich war damals nicht mehr komplett überzeugt, dass ich es einmal ganz nach vorn bringen kann. Das ich dabei geblieben bin, habe ich meinem Vater und meinem Trainer zu verdanken, die weiter mein Potential gesehen haben.“
Titel bei U23-EM öffnet Tür zum Leistungssport
2019, im letzten Jahr in der U23 inklusive EM in dieser Altersklasse, war es dann wiederum Frederik Ruppert, der eine wichtige Wendung einleitete: „Ich wollte es noch einmal mit den Hindernissen probieren und habe zu meinem Trainer gesagt, dass es von der Norm her nie wieder eine so große Chance gibt, einen Start im Nationaltrikot zu schaffen.“ Was in den Rennen selbst folgte, konnte man wegen der eher holprigen Technik zwar nicht als „Selbstläufer-Momente“ bezeichnen, die Ergebnisse der Saison unterm Strich aber schon.
Gleich im ersten Rennen über 3.000 Meter Hindernis fiel in 8:43,06 Minuten die Norm für die U23-EM, es folgten der Titel bei der U23-DM (8:44,61 min) und dann völlig überraschend Gold bei der U23-EM in Gävle (Schweden; 8:44,69 min). „Ja, ich wollte mich für diese Meisterschaft qualifizieren“, erinnert sich der Hindernisläufer heute. „Aber darüber, dass ich gewonnen habe, waren auch meinen Trainer und ich verwundert.“
Der Coup war nicht nur eine Bestätigung, dass am jahrelangen Glauben an die sportlichen Möglichkeiten etwas dran war, sondern eröffnete auch die Aufnahme in die Sportfördergruppe der Bundeswehr. Dieser gehört der DLV-Athlet bis heute an und hörte auf zu studieren, um sich voll auf den Sport zu konzentrieren.
Rückschläge und Erfolge wechseln sich ab
Im folgenden ersten Coronajahr 2020 absolvierte der überraschende U23-Europameister dann letztlich gar keine Wettkämpfe. Als bekannt wurde, dass doch noch Rennen stattfanden, war keine passende Form mehr absehbar. „Das hatte aber auch den positiven Aspekt, dass ich ein Jahr länger Zeit hatte, bei der Bundeswehr anzukommen.“ 2021 begann dann mit Bestzeiten und DM-Silber (8:25,27 min) vielversprechend. Eine Fußverletzung ließ allerdings die Träume von einem Olympia-Start in Tokio (Japan) platzen und bedeutete wieder lange Zeit Trainingsausfall.
Das Jahr 2022 hielt dann wieder einen der wenigen „Selbstläufer-Momente“ bereit. Schon mit Bestzeit in die Saison gestartet, sorgte Frederik Ruppert mit seinem Auftritt in Turku (Finnland) für Schlagzeilen, als er in 8:15,58 Minuten die zu diesem Zeitpunkt schnellste Zeit eines deutschen Hindernisläufers seit Damian Kallabis im Jahr 2000 hinlegte und sich für seine erste WM qualifizierte. „Dass ich trotz kurzer Vorbereitung so schnell laufen konnte, hat mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“
Bei der WM musste er dann allerdings lernen, dass ein Vorlauf bei einer großen Meisterschaft der Männerklasse gefüllt mit internationalen Topathleten in einem Pulk noch einmal ganz neue Anforderungen stellt. Das Durchsetzungsvermögen und Selbstvertrauen, sich in einem solchen Feld behaupten zu können, fehlte auch bei der folgenden Heim-EM in München. Dort wurde außerdem die unmittelbare Vorbereitung von einem Infekt durchkreuzt. Das Jahr 2023 endete dann wiederum verletzungsbedingt vorzeitig und enttäuschend mit einem sechsten Platz bei der DM (8:40,88 min).
Wechsel zu Isabelle Baumann
Durch die erneute Zwangspause blieb statt einer Reise zur WM nach Budapest (Ungarn) erneut Zeit zum Nachdenken, in der wieder eine wegweisende Entscheidung fiel. Frederik Ruppert fragte Isabell Baumann, ob sie seine Trainingsplanung übernehmen wolle. „In Trainingslagern habe ich über die Jahre mitbekommen, wie andere trainieren, und nach den mehr als zehn Jahren bei Harald Eifert wollte ich einen neuen Reiz setzen.“ Die Zusammenarbeit kam inklusive Vereinswechsel zur LAV Stadtwerke Tübingen zustande, der Lebensmittelpunkt blieb in NRW.
Das Training veränderte sich von vielen Mittelstrecken-Einheiten mit hohem Tempo mehr in Richtung Langstrecke mit zusätzlichen Kilometern, aber dafür in ruhigerem Tempo. Auch während der Wettkampf-Saison blieb der Trainingsumfang höher als in den Vorjahren. Zusammen mit der über die Jahre erarbeiteten Basis in Sachen Schnelligkeit kam so eine Saison mit nie erreichter Konstanz und einer neuen Bestzeit heraus. „Ich bin mit der Hoffnung in das Jahr gestartet, wieder an meine Bestzeit anknüpfen zu können. Ich hätte nie erwartet, dass ich mich sogar ein bisschen ärgern werde, weil es bei der EM so knapp nicht zu einer Medaille und bei Olympia so knapp nicht zum Finale gereicht hat.“
Bei der EM lief der 27-Jährige in 8:15,08 Minuten hinter Karl Bebendorf (Dresdner SC 1898; 8:14,41 min) auf Rang vier seine aktuelle PB. Im Spurt im Olympia-Vorlauf fehlten auf Rang sechs (8:25,31 min) nur der Wimpernschlag von drei Hundertsteln zum Kanadier Jean-Simon Desgagnés (8:25,28 min), der als Fünfter noch das Finalticket löste.
Mit Kontinuität und verbesserter Technik weiter nach vorn
Ganz spurlos gingen die sieben Hindernisrennen der Saison, so viele wie nie, aber doch nicht am Körper vorbei. Zum Schluss meldeten sich die Waden wieder. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, verzichtet Frederik Ruppert im sowieso schon dosierten Training mit Hindernissen oder Hürden so weit wie möglich auf Spikes, oder das Hindernis wird am Rand des Rasens platziert, um das harte Aufkommen etwas abzufedern. In der Technik sieht er dennoch Verbesserungspotential, um sich noch weiter zu steigern, genauso beim Trainingsumfang. Großes Ziel ist das WM-Finale im kommenden Jahr in Tokio (Japan; 13. bis 21. September).
Beim Verschieben seiner sportlichen Grenzen und dem Balanceakt, das Training möglichst auszureizen, ohne eine Überlastung oder Verletzung zu erleiden, arbeitet der EM-Vierte seit Jahren mit dem gleichen Team aus Physiotherapeuten und Ärzten zusammen, auch ein Grund, der ihn in seiner Heimat gehalten halt. „Über die Jahre haben mein Team und ich gelernt, was mir gut tut.“
Dazu ist aus dem Glauben daran, mit den Besten der Welt mithalten zu können, durch die Leistungen des vergangenen Sommers Wissen geworden. Und wer weiß, was möglich ist, wenn wieder einmal einer der seltenen „Selbstläufer-Momente“ kommt. Eine EM-Medaille ist schon nur noch 67 Hundertstel entfernt gewesen, ein Olympia-Finale gar nur drei Hundertstel, und auch der deutsche Rekord (8:09,48 min) ist nicht völlig außer Reichweite.
Video-Interview: Frederik Ruppert: "Mission: Auf den letzten 1.000 alles geben!"
Video: Frederik Ruppert stürmt zum Meisterschaftsrekord
Das sagt der Leitende Bundestrainer Lauf Werner Klein: |
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Der U23-Europameister-Titel von Frederik war eine große Überraschung. Danach ging es wellenförmig weiter. Seine 8:15 im Jahr 2022 waren eine kleine Sensation. Die internationalen Premieren bei WM und EM verliefen dann durchwachsen, genau wie das Jahr 2023. Dann hat er mit seinen Wechsel zu Isabelle Baumann noch einmal einen neuen Fokus gefunden. Der hat sich schon ausgezahlt.
Freddy ist breit aufgestellt und hat vor allem in der Breite eine stabile Saison gezeigt. Das war ein wichtiger Schritt. Damit wird auch ein nächster Ausrutscher nach oben wahrscheinlicher. Mit etwas mehr Glück und Erfahrung wäre schon in Paris das Olympiafinale möglich gewesen und auch im EM-Finale in Rom ist taktisch noch nicht alles optimal gewesen. Daraus konnte er lernen. Mit weiter kontinuierlichem Training besteht das Potential, international noch weiter nach vorne zu laufen, also in die Medaillen auf europäischer Ebene und in Finals auf Weltebene.