Mit einem Knaller über 100 Meter hat sich Gina Lückenkemper (SCC Berlin) am Sonntagabend in die Saisonpause verabschiedet. Beim ISTAF Berlin verbesserte sie ihre sieben Jahre alte Bestzeit als Siegerin auf starke 10,93 Sekunden. Im Interview spricht sie über das Rennen, ihre Liebe zum Berliner Olympiastadion sowie eine besondere Ehrung von Staffel-Kollegin Lisa Maria Kwayie.
Gina Lückenkemper, herzlichen Glückwunsch zum Sieg beim ISTAF und zur neuen Bestzeit!
Gina Lückenkemper:
Dankeschön!
Zum Ende der Saison in Ihrem Heimstadion noch einmal solch ein Rennen auf die Bahn zu bringen, ist beeindruckend. Wie haben Sie das angestellt?
Gina Lückenkemper:
Ich habe es einfach passieren lassen. Ich habe das gemacht, was ich das ganze Jahr schon hätte machen sollen. Mein Coach sagt regelmäßig zu mir, dass man Speed passieren lassen muss. Dass man das nicht erzwingen kann. Denn wenn man es erzwingt, wird man oftmals fest und dann laufen viele Dinge schief. Heute konnte ich es einfach passieren lassen.
Wie haben Sie das Rennen selbst wahrgenommen?
Gina Lückenkemper:
Ich konnte das Ganze hier heute sehr genießen. Ich habe die Stadionatmosphäre sehr genossen und es war einfach super schön. Auch jetzt noch – es ist ein wunderbares Licht hier in diesem Stadion. Das ist heute einfach der perfekte Tag gewesen.
Welche Rolle hat speziell auch das Publikum für Sie und Ihr Rennen gespielt?
Gina Lückenkemper:
Das Publikum hat uns alle einfach nur zelebriert und hat Bock auf Leichtathletik. Das war wirklich schön.
Was war in dem Rennen anders als in den Wettkämpfen zuvor?
Gina Lückenkemper:
Ich bin heute von Anfang an vorne mit dabei gewesen und musste mal nicht auf die Jagd gehen. Das ist auf 100 Metern immer ein bisschen schwierig, weil die so kurz sind (lacht). Das war heute wirklich Wahnsinn, der Knaller.
Haben Sie bereits im Rennen selbst gemerkt, dass etwas anders ist und am Ende eine neue persönliche Bestleistung für Sie auf der Zeittafel stehen wird?
Gina Lückenkemper:
Ja. Als ich gemerkt habe, dass ich mich in diesem stark besetzten Feld nach vorne absetzen kann und keiner mitgeht, weil es gerade keiner kann – da wusste ich, dass es schnell sein muss. Da habe ich damit geliebäugelt und darauf gehofft, dass es tatsächlich unter elf Sekunden geht.
Hat sich das im Vorfeld schon angedeutet, dass Sie in solch einer starken Form sind?
Gina Lückenkemper:
Ich habe am Vortag schon gespürt, dass es möglich ist und dass der Körper das noch drauf hat. Mein Coach hat in den letzten Trainings schon so häufig zu mir gesagt: „Gina, du kannst das! Das ist da.“ Sämtliche Trainingszeiten haben schon so lang dafür gesprochen, dass wir das endlich mal abrufen. Das hier geschafft zu haben, ist etwas sehr Besonderes für mich.
Es ist kein Geheimnis, dass das Berliner Olympiastadion Ihr Lieblingsstadion ist. Was verschafft ihm diese Ehre?
Gina Lückenkemper:
Ich liebe dieses Stadion. Ich bin total gerne in dieser Stadt und freue mich immer wieder darauf, wenn ich nach Berlin kommen kann. Berlin spielt in meiner persönlichen Leichtathletik-Karriere eine unfassbar große Rolle. Mein erstes Profi-Meeting war 2015 das ISTAF hier in Berlin. Deswegen habe ich mit Berlin eine besonders große Geschichte. Auch habe ich in dieser Stadt bei den Europameisterschaften 2018 meine erste Einzelmedaille über 100 Meter geholt. Es sind so viele Punkte, die für mich in Berlin zusammenlaufen. Berlin ist sehr wichtig in meinem Leben und ich genieße es jedes Mal, hier zu sein.
Nach den Olympischen Spielen in Paris und dem Gewinn der Bronzemedaille mit der 4x100-Meter-Staffel hatten Sie gesagt, dass Sie am liebsten direkt nach Berlin weitergefahren wären, um diesen Erfolg gemeinsam mit dem ISTAF-Publikum zu feiern. Wie haben Sie sich in den zurückliegenden drei Wochen in Geduld geübt?
Gina Lückenkemper:
Ich habe viel geschlafen, dann ging die Zeit ein bisschen schneller rum (lacht). Ich musste echt noch Kraft tanken.
Das können Sie sicherlich auch in der Off-Season. Haben Sie einen Urlaub geplant, bevor es zurück in die USA geht?
Gina Lückenkemper:
Auf jeden Fall! Mein Coach ist auch noch hier – mit dem muss ich gleich noch mal quatschen. Zurück in die USA geht es für mich dann im November.
Noch einmal zurück zum ISTAF. Im Moment der größten Freude über die neue PB haben Sie im Ziel gemeinsam mit Ihren Staffel-Kolleginnen Rebekka Haase und Lisa Mayer die Aufmerksamkeit genutzt und Lisa Marie Kwayie symbolisch einen bronzenen Staffelstab als Erinnerung an Paris übergeben. Was hat es damit auf sich?
Gina Lückenkemper:
Wir sind mit sechs Mädels nach Paris gereist und am Ende sind fünf von uns zum Einsatz gekommen. Leider ist die Regelung in der Leichtathletik so, dass am Ende nur diejenigen eine Medaille bekommen, die auch aktiv auf der Bahn gestanden haben. Zwar hat Lisa im Olympiastadion nicht aktiv auf der Bahn gestanden, dafür aber die ganze Zeit im Warm-Up. Uns hat es alle ein bisschen getroffen, dass Lisa als Einzige nicht mit zur Siegerehrung durfte. Dass sie nicht mit belohnt wurde, obwohl sie für uns hinter den Kulissen eine so unfassbar geniale Leistung gebracht hat. Deswegen war es uns als Team ein großes Anliegen, das hie zu honorieren und sie vor ihrem Heimpublikum zu ehren, in dem hoffentlich auch Familie und Freunde mit dagewesen sind. Damit sie das alle mit ihr gemeinsam noch einmal miterleben dürfen.
Welche Rolle hat Lisa Marie Kwayie in Paris als Ersatzläuferin für den Teamzusammenhalt gespielt?
Gina Lückenkemper:
Lisa war für uns unfassbar wichtig. Sie hat uns so wahnsinnig krass den Rücken gestärkt. Die letzten Jahre haben uns gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, eine Ersatzläuferin zu haben, die so sehr für einen da ist. Mit den Zeiten her, die sie dieses Jahr gerannt ist, hat sie mehrfach klar bewiesen, dass sie genauso gut wie jede andere von uns auf diese Bahn gehört hätte und dass sie da einen mindestens genauso guten Job hätte machen können.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sie im Rahmen des ISTAF mit diesem bronzenen Staffelstab zu überraschen?
Gina Lückenkemper:
Die Idee hatte ich. Da Lisa eine Berliner Athletin ist, habe ich beim ISTAF nachgefragt, ob sie hier rennt und ob es möglich ist, dass wir sie hier vor Ort noch einmal vor Publikum ehren können. Wir wollten nicht, dass das für sie etwas ist, was wir ihr mit der Post zuschicken und sagen: Ey Lisa, du bist unser MVP (lacht). Sie hat sich das einfach so hart erarbeitet und hatte in den letzten Jahren auch mit einigen Rückschlägen zu kämpfen. Sie hat es sich verdient, anständig honoriert zu werden für das, was sie für unser Team geleistet hat.
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