Der Zehnkampf der Olympischen Spiele 2024 in Paris verspricht aus deutscher Sicht Hochspannung: Mit den Medaillenkandidaten Leo Neugebauer und Niklaus Kaul sowie dem Aufsteiger dieses Sommers Till Steinforth schickt der DLV drei aussichtsreiche Athleten an den Start. Hier können Sie mitverfolgen, wie sich der Wettbewerb im Stade de France gegen die Top-Konkurrenz um Olympiasieger Damian Warner und Europameister Johannes Erm von Disziplin zu Disziplin entwickelt.
Paris 2024 TV-Zeiten & Livestreams Live-Ergebnisse
Tag 2
1.500 Meter
Leo Neugebauer gewinnt Olympia-Silber im Zehnkampf
Den Blick auf die Fersen von Lindon Victor gerichtet, absolvierte Leo Neugebauer die letzten Runden seines olympischen Zehnkampfes. Und die Tatsache, dass sich der Mann aus Grenada nicht deutlich von ihm lösen konnte, brachte schon beim Überqueren der Ziellinie nach 4:44,67 Minuten die Gewissheit: Leo Neugebauer ist Olympia-Silbermedaillengewinner im Zehnkampf von Paris 2024!
Der 24-Jährige setzte damit eine langjährige deutsche Zehnkampf-Tradition fort, die jedoch in den vergangenen Jahrzehnten ins Stocken geraten war: Insgesamt gewann er in der 112-jährigen Geschichte des Olympia-Zehnkampfs bereits die zwölfte deutsche Medaille – aber die erste seit 1996 und dem Olympia-Silber von Frank Busemann. Auf dem Konto hatte der Athlet vom VfB Stuttgart am Ende 8.748 Punkte, es war der drittbeste Zehnkampf seiner Karriere.
Zum neuen Zehnkampf-Olympiasieger krönte sich überraschend der 22 Jahre junge Norweger Markus Rooth. Der U23-Europameister ritt an den zwei Tagen von Paris auf einer Welle von Bestleistung zu Bestleistung, am Ende sprang mit 8.796 Punkten ein neuer Landesrekord für Norwegen heraus, zu dem ihn in der letzten Disziplin (4:39,56 min) auch sein Landsmann Sander Skotheim zog. Dieser wäre wohl selbst um Olympia-Gold gerannt, wenn er nicht im Stabhochsprung ohne gültigen Versuch geblieben wäre. Lindon Victor (Grenada) darf sich für 8.711 Punkte wie schon bei der WM die Bronzemedaille umhängen, auf Platz vier steigerte Sven Rosen den Landesrekord für die Niederlande auf 8.607 Punkte.
Vorneweg stürmte in der letzten Disziplin des Tages Niklas Kaul (USC Mainz), der einen schwierigen Wettkampf so doch noch mit einem Lächeln beenden konnte. Mit einer starken Zeit von 4:15,00 Minuten und 8.445 Punkten kämpfte er sich bis in die Top Acht nach vorne. Till Steinforth (4:45,43 min) gingen am Ende ein wenig die Kräfte aus. Mit seiner Premiere auf großer internationaler Bühne kann der kurzfristig für den erkrankten Manuel Eitel (SSV Ulm 1846) ins Team gerückte Zehnkämpfer vom SV Halle dennoch mehr als zufrieden sein: Mit dem zweitbesten Zehnkampf seiner Karriere und 8.170 Punkten landete er auf Platz 15.
Stimmen zum Wettbewerb:
Leo Neugebauer (VfB Stuttgart) | ZDF-Interview / Mixed Zone (dpa)
Dieses Stadion mit dieser Atmosphäre und diesen Fans, das ist einfach unbeschreiblich! Ich bin eine andere Person als im vergangenen Jahr in Budapest, ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Tja, und Silber ist nicht schlecht bei Olympischen Spielen! Leute haben immer mal gute Performances und mal nicht so gute, Markus Rooth hat heute sehr viele Bestleistungen gemacht, ich war insgesamt solide. Ich kann nur mein Bestes geben, das habe ich gemacht. Im Stabhochsprung hätte ich noch ein, zwei Höhen rausholen können. Dafür hat’s heute nicht gereicht, aber für die Silbermedaille, das ist alles, was zählt. Eine Silbermedaille bei Olympischen Spielen mitnehmen zu dürfen, ist eine Ehre – ich freue mich. Da kann man nicht mehr erwarten, ich bin so happy! Ich gehe mit einem Lächeln heim. Jetzt geht mir die ganze harte Arbeit durch den Kopf, die ich das ganze Jahr über gemacht habe. In einem Mehrkampf sind immer Höhen und Tiefen. Damit muss man immer gut umgehen und weiterkämpfen. Wie es jetzt weiter geht, da muss ich erstmal in Ruhe drüber nachdenken. Und dann schauen wir mal.
Niklas Kaul (USC Mainz):
Jetzt bin ich doch ganz froh, dass ich es durchgezogen habe. In den zwei Tagen war ich ein paarmal kurz davor, die Spikes in die Ecke zu schmeißen und zu sagen: Das macht keinen Sinn mehr. Mit den letzten zwei Disziplinen kann ich mich anfreunden, gerade mit dem Speerwurf. Ich hätte gerne noch einen zweiten oder dritten Versuch gemacht, aber da war von vornherein klar, dass ich das nicht machen werde. Vor fünf Wochen in Braunschweig habe ich mir ein bisschen am Ellbogen wehgetan. Aber ich bin froh über den achten Platz, nach der Ausgangslage nach dem ersten Tag. Ich habe meinen Frieden mit Paris gemacht. Ich bin in den Wettkampf gegangen und habe mir sehr viel vorgenommen. Das hat in den ersten zwei Disziplinen nicht geklappt, und da ist das mentale Kartenhaus zusammengestürzt. Das hat gar nicht geklappt. Und ich glaube, was mir auch gar nicht geholfen hat, war, dass ich mich im letzten halben Jahr nur auf den Sport konzentriert habe. Damit habe ich die Lockerheit und Leichtigkeit verloren. Ich bin jemand, der nebenbei noch was braucht, und dann werden wir das jetzt wieder anders machen. Im Speerwurf war der erste Moment, in dem ich gedacht habe: Ich freue mich, hier in diesem Stadion werfen zu dürfen und diesen Wettkampf machen zu dürfen. Mental war das der schlimmste und schwierigste Zehnkampf, den ich je gemacht habe.
Till Steinforth (SV Halle):
Ich bin sehr zufrieden mit meinem Olympia-Debüt. In jeder Disziplin eine solide Leistung. Von der Punktzahl her war es mein zweitbester Zehnkampf, und das mit der Vorbereitung. Man lernt sehr viel, startet mit den Besten der Welt und guckt sich bei denen was ab, wie verhalten die sich im Wettkampf, wie erwärmen die sich. Das ist eine mega Erfahrung. Wie man da bei so einem Publikum performt und trotzdem seine Leistung abrufen kann.
Speerwurf
Niklas Kaul setzt Glanzlicht – Markus Rooth erobert die Spitze
Wenn’s läuft, dann läuft’s. Das gilt insbesondere im Zehnkampf, wo ein gesteigertes Leistungsniveau oft Einzel-Bestleistungen in Serie und damit auch einen Mehrkampf auf neuem Niveau mit sich bringt. Zuletzt konnte das gleich mehrmals Leo Neugebauer unter Beweis stellen, in Paris gilt das für den 22 Jahre junge Norweger Markus Rooth. Nach dem Höhenflug im Stabhochsprung feuerte er auch den Speer auf eine neue Bestweite: 66,87 Meter. Für Leo Neugebauer wurden 56,64 Meter gemessen, gut für ihn, aber zu wenig, um die Führung zu behaupten. Aus einem Vorsprung von 139 Punkten wurde ein Rückstand von 16. Und die Favoritenrolle liegt nun bei Markus Rooth, denn der kann die 1.500 Meter mit einer Bestzeit von 4:29,66 Minuten deutlicher schneller laufen als der Deutsche Zehnkampf-Rekordhalter.
Leo Neugebauer kämpft in der letzten Disziplin um die Silbermedaille. Denn mit einem Speerwurf auf 68,22 Meter rückte ihm erwartungsgemäß auch Lindon Victor dichter auf die Pelle. 8.097 Punkte nimmt der Stuttgarter mit auf die letzten Stadionrunden. 8.053 Punkte hat der Mann aus Grenada, der vom Olympia-Dritten von 2000 Chris Huffins (USA) trainiert wird, auf dem Konto. Noch ist Leo Neugebauer über 1.500 Meter nicht unter 4:40 Minuten geblieben, Lindon Victor gelang dies genau einmal, und zwar als es für ihn 2023 in Budapest (Ungarn) um WM-Bronze ging. Das Podium dürfte beiden sicher sein, denn die weitere Konkurrenz angeführt von Janek Oiglane (Estland; 7.798 pt) und Sven Rosen (Niederlande; 7.786 pt) hat schon 250 und mehr Punkte Rückstand. Ayden Owens-Delerme (7.759 pt) verspielte sich wohl mit nur 51,17 Metern seine Chance aufs Podium.
Für Niklas Kaul brachte ein Zehnkampf zum Abhaken dann doch noch ein kleines Highlight mit sich: Nur einmal nahm er in seiner Paradedisziplin Anlauf, aber dieser Versuch saß. Schon beim Abwurf reckte der Mainzer den Arm in die Höhe und konnte dann seinem Arbeitsgerät zuschauen, wie es bis auf 77,78 Meter flog. Diese herausragende Weite markierte einen neuen Rekord innerhalb eines olympischen Zehnkampfs und war satte 1.009 Punkte wert. Von Platz 16 ging’s für ihn vor auf Platz 13 (7.599 pt). Till Steinforth setzte seinen Kurs auf sein zweites Zehnkampf-Ergebnis jenseits von 8.200 Punkten fort, bestätigte mit 59,14 Metern seine Weite von Ratingen und geht mit 7.524 Punkten auf Platz 15 in die letzte Disziplin.
Stabhochsprung
Drama, Jubel, Herzschmerz – und Vorteil Markus Rooth
So lang die Liste der Anwärter auf das Podium nach dem Diskuswurf noch schien, so jäh platzten im Stabhochsprung zahlreiche Medaillenträume. Erst traf es bereits bei 4,50 Metern 5,35-Meter-Springer Sander Skotheim, der schon bei der EM in dieser Disziplin Probleme hatte: Ihm gelang kein gültiger Versuch. Wenig später mühte sich Damian Warner vergeblich an seiner Einstiegshöhe von 4,60 Metern: ohne gültigen Versuch. Und Europameister Johannes Erm, der sich in Rom über 5,20 Meter geschwungen hatte, musste sich mit 4,60 Metern begnügen. Damit waren auf einen Schlag drei der größten Konkurrenten von Leo Neugebauer (so gut wie) raus aus dem Kampf um die Olympia-Medaillen.
Und Leo Neugebauer selbst? Blieb vergleichsweise cool. Nach einem ersten ungültigen Versuch schaffte er seine Einstiegshöhe von 4,70 Metern problemlos und marschierte noch bis einschließlich 5,00 Meter (7.410 pt) weiter. Angesichts der angespannten Situation eine gute Leistung – aber mit 30 Zentimetern unter Hausrekord längst kein Befreiungsschlag. Denn in der siebten Disziplin schlug die Stunde von U23-Europameister Markus Rooth (7.271 pt). Der 22-Jährige steigerte sich von 5,10 auf auf 5,30 Meter und schob sich mit 7.271 Punkten auf Platz zwei nach vorne. Und auch Lindon Victor (4,90 m; 7.191 pt) bleibt in Lauerstellung knapp vor Ayden Owems-Delerme (4,80 m; 7.153 pt). Sie werden Leo Neugebauer noch im Kampf ums Podium herausfordern: Rooth ist ein guter Speerwerfer und Läufer, Victor kann den Speer an die 70-Meter-Marke werfen und Owens-Delerme die 1.500 Meter in unter 4:20 Minuten laufen. Die Bestleistungen von Neugebauer: 58,99 Meter und 4:42,68 Minuten.
Als die Flugshow im Stade de France ihren Höhepunkt erreichte, waren Till Steinforth und Niklas Kaul leider bereits in den Katakomben verschwunden, denn in Richtung der 5,00-Meter-Marke, die beide in ihren Karrieren schon überwunden haben, ging es am Samstag für sie nicht. Niklas Kaul meisterte 4,80 Meter und arbeitete sich, auch angesichts der Ausfälle an der Spitze, mit 6.590 Punkten auf Platz 16 nach vorne. Till Steinforth schaffte wie in Ratingen 4,70 Meter, er geht mit 6.799 Punkten auf Platz 13 in die abschließenden zwei Disziplinen.
Diskuswurf
Spitzen-Weiten lassen Feld eng zusammenrücken
Die Aufgabe für Leo Neugebauer in seiner Paradedisziplin, in der er sich in diesem Jahr auf 58,70 Meter gesteigert hat: Mit einer Spitzen-Weite die Führung erobern und sich besonders für die letzten zwei Disziplinen ein ordentliches Polster auf die Verfolger herausarbeiten. Das erste gelang – das zweite leider nicht. Auf 53,33 Meter flog sein Diskus in Runde eins, 57,70 Meter wurden bei seinem deutschen Zehnkampf-Rekord gemessen, dieser Weite konnte er sich am Samstag nicht weiter nähern.
Dafür trumpften die Konkurrenten reihenweise mit starken Leistungen auf: Lindon Victor stellte als bester Werfer mit 53,91 Metern einen neuen Rekord innerhalb eines olympischen Zehnkampfs auf, Damian Warner (48,68 m) warf fast exakt so weit wie bei seinem Olympiasieg, Sander Skotheim (45,77 m) dicht heran an seine EM-Weite, Johannes Erm (46,29 m) weiter als bei seinem EM-Gold, und Markus Rooth wahrte mit 49,80 Metern seine Medaillenchancen. Allein Ayden Owens-Delerme (43,36 m) ließ einige Punkte liegen.
So bahnt sich schon jetzt ein Herzschlag-Finale um die Medaillenränge an. Leo Neugebauer (6.500 pt) geht als Führender zum Stabhochsprung, wo er mit einer Leistung im Bereich seiner neuen Bestleistung (5,30 m) vorlegen muss, bevor er im Speerwurf und über 1.500 Meter vermutlich Punkte auf die Konkurrenz verlieren wird. Auf den Fersen sind ihm Damian Warner (6.428 pt), Sander Skotheim (6.326 pt), Lindon Victor (6.311 pt), Ayden Owens-Delerme (6.304 pt), Markus Rooth (6.237 pt) und Johannes Erm (6.233 pt). Keiner von ihnen weist in den abschließenden drei Disziplinen große Schwächen auf, keiner von ihnen überragt in einem der Wettbewerbe. Es gilt, um jeden einzelnen Punkt zu kämpfen.
Die heiß ersehnte Aufholjagd von Niklas Kaul kann den Weltmeister von 2019 und Europameister von 2022 auch in seinen Parade-Disziplinen nicht mehr in diese Top-Bereiche nach vorne bringen. Im Diskuswurf lieferte er mit 46,28 Metern eine ordentliche Leistung ab, die jedoch im Vergleich mit den Besten und auch mit seiner Weite von Rom (49,89 m) keinen Befreiungsschlag bedeutete. Mit 5.741 Punkten liegt er auf Rang 19. Till Steinforth konnte mit 42,59 Metern zufrieden sein, der Diskuswurf zählt nicht zu seinen Stärken, in Ratingen war er nur bis auf 42,18 Meter gekommen. 5.980 Punkte – Platz 14.
110 Meter Hürden
Vorsichtiger Auftakt mit Führungswechsel
Die Erinnerungen an die WM in Budapest sind noch frisch, dort hatte Leo Neugebauer in 14,75 Sekunden als Führender den Start in Tag zwei verstolpert. Dementsprechend vorsichtig bestritt der Deutsche Rekordhalter am Samstag das Hürdenrennen von Paris, das war ihm deutlich anzusehen. Das Wichtigste: Dieses Mal kam er sicher durch. In 14,51 Sekunden fehlten zwar 15 Hundertstel zu seinem besten Zehnkampf, der Auftakt kann aber als solide bezeichnet werden.
Um mit nunmehr 5.560 Punkten die Führung gegen die schnellsten Hürdensprinter aufrechtzuerhalten, reichte das allerdings nicht: Wie so oft stürmte Olympiasieger Damian Warner (Kanada) in 13,62 Sekunden vorweg und übernahm mit 5.585 Punkten die Spitze. Er kämpft um ein Resultat in Richtung 8.800 Punkte und dürfte Neugebauers größter Konkurrent um Gold bleiben, dicht gefolgt von Ayden Owens-Delerme (Puerto Rico; 5.571 pt). Der WM-Vierte von 2022 sprintete in 14,06 Sekunden auf Platz zwei der Zwischenwertung, ließ allerdings drei Zehntel im Vergleich zu seinem besten Zehnkampf liegen.
Mit Saison-Bestzeit von 14,13 Sekunden wahrte Sander Skotheim (Norwegen; 5.543 pt) ebenso seine Medaillenchance wie Johannes Erm (Estland; 14,35 sec; 5.440 pt) und Markus Rooth (Norwegen; 14,25 sec; 5.401 pt). Zu beachten bleibt weiter auch der WM-Dritte Lindon Victor (Grenada; 14,62 sec; 5.359 pt), der sich als starker Diskuswerfer und Speerwerfer sicher noch einige Plätze nach vorne arbeiten wird. Es bleibt im Kampf um die Medaillen hochklassig, eng und extrem spannend!
Der schnellste deutsche Hürdensprinter des Vormittags war Till Steinforth (SV Halle; 14,37 sec). An seine Zeit vom Ratingen-Sieg (14,12 sec) konnte er allerdings nicht ganz anknüpfen. Platz 13 nach sechs Disziplinen, mit 5.263 Punkten. Niklas Kaul erwischte in 14,54 Sekunden einen deutlich besseren Start in den Tag als noch bei der EM in Rom (14,91 sec). Die erhoffte Leichtigkeit aber stellte sich auch am Samstag nicht ein, hatte er doch noch im Mai seine Hürden-Bestzeit auf 14,17 Sekunden gesteigert. Auf Platz 19 (4.948 pt) startet der Mainzer nun seine Aufholjagd, wenn mit dem Diskuswurf und dem Stabhochsprung zwei seiner guten sowie mit dem Speerwurf und den 1.500 Metern seine beiden herausragenden Disziplinen folgen.
Tag 1
100 Meter
Guter Auftakt
In 10,64 Sekunden war Leo Neugebauer (VfB Stuttgart) im Juli in seinen Rekord-Zehnkampf (8.961 pt) eingestiegen. Nach 10,67 Sekunden sprintete er am Freitag im olympischen Zehnkampf über die Ziellinie. Und der Start ins Rennen sah sogar nach noch mehr aus, erst auf der zweiten Rennhälfte konnte die Konkurrenz um Sieger Harrison Williams (USA; 10,62 sec) aufschließen und teils vorbeiziehen. Mit der drittbesten Zeit seiner Karriere kann Leo Neugebauer dennoch sehr zufrieden sein.
Seine Sprintstärke spielte im letzten Lauf sein wohl größter Konkurrent um die Zehnkampf-Krone aus: Olympiasieger Damian Warner. Der Kanadier war nach 10,25 Sekunden im Ziel. Fünf Hundertstel fehlten zur 100-Meter-Leistung seines Götzis-Siegs Anfang Mai (8.678 pt), 13 zur Zeit seines Olympiatriumphs von 2021 (9.018 pt). In diesem schnellsten Rennen konnte auch Ratingen-Sieger Till Steinforth (SV Halle) in 10,52 Sekunden überzeugen. Er war erst kurzfristig nach der Corona-Erkrankung von Manuel Eitel (SSV Ulm 1846) ins DLV-Team gerückt und feierte mit einer Zeit elf Hundertstel über Bestleistung einen gelungenen Olympia-Einstand.
Niklas Kaul (USC Mainz) stellte in 11,34 Sekunden seine Saison-Bestleistung ein. Wenngleich er nach dem Zieleinlauf nicht zufrieden wirkte, fehlten zu seinem besten Zehnkampf der WM 2019 in Doha (Katar) nur sieben Hundertstel. Dennoch muss er sich als schwächster Sprinter im Feld zunächst auf Platz 22 ganz hinten einsortieren. Wer sich im Zehnkampf auskennt weiß: Seine starken Disziplinen folgen an Tag zwei. Platz 13 und sogar Rang 3 gehen vorläufig für Leo Neugebauer und Till Steinforth in die Ergebnislisten ein. Einen starken Eindruck hinterließen über 100 Meter auch der WM-Dritte Lindon Victor (Grenada; 10,56 sec) und der junge Norweger Markus Rooth (10,71 sec), die schneller unterwegs waren als in ihren bisher besten Zehnkämpfen.
Weitsprung
Leo Neugebauer hebt wieder ab
7,76 Meter. Im ersten Versuch. Ohne Brett! Und in Runde drei passte dann bei Leo Neugebauer alles richtig zusammen: Mit 7,98 Metern zeigte der Deutsche Rekordhalter den zweitbesten Sprung seiner Karriere. 1.991 Punkte bescheren ihm in der Gesamtwertung Rang zwei hinter Damian Warner (7,79 m; 2.042 pt). Während Neugebauer jedoch nun oberhalb seines besten Zehnkampfs des Jahres liegt, fehlen dem Kanadier einige Punkte zu seiner Saison-Bestmarke – und die wiederum liegt 300 Zähler unterhalb des deutschen Rekords des Stuttgarters.
Niklas Kaul dagegen verließ enttäuscht die Sprunggrube, nachdem 7,09 Meter nicht dem entsprachen, was er sich vorgenommen hatte – bei der EM in Rom war er 7,44 Meter gesprungen. So bedeuten 1.621 Punkte nach zwei Disziplinen Rang 21. In den Top Sechs konnte sich weiter Till Steinforth (1.932 pt) behaupten: Der sprint- und sprungstarke Athlet, der eine Hallen-Bestleistung von 7,99 Metern hat, flog bis auf 7,61 Meter und damit zwei Zentimeter weiter als in Ratingen.
Die beste Weite des Tages ging auf das Konto von Vize-Europameister Sander Skotheim (1.978 pt): Der Norweger landete erst bei 8,03 Metern und packte nach nur einem Versuch seine Sachen. Mit 34 Punkten mehr als bei seiner Bestleistung von Rom (8.644 pt) geht’s für ihn zum Kugelstoßen. Mit 7,80 Metern ist auch Norwegens zweites Talent Markus Rooth (1.936 pt) auf einem starken Kurs. In den Medaillenrängen rangiert zudem nach zwei Disziplinen Ayden Owens-Delerme (1.986 pt). Die beste internationale Platzierung des Mannes aus Puerto Rico bisher: Platz vier der WM 2022. Seine Bestleistung von 8.732 Punkten deutet das Potenzial für mehr an.
Kugelstoßen
Auf und ab: Feld rückt enger zusammen
Das Kugelstoßen ist eine der Paradedisziplinen von Leo Neugebauer. Das bewies er auch in Paris mit der zweitbesten Weite im Feld von 16,55 Metern – nur Makenson Gletty (Frankreich; 16,64 m) kam noch weiter. Mit 2.876 Punkten eroberte der Athlet vom VfB Stuttgart damit die Spitze und konnte dennoch nicht ganz zufrieden sein: Der beste Stoß in Runde drei war ungültig, und von seinen 17,46 Metern der NCAA-Meisterschaften blieb er deutlich entfernt.
Noch ist das aber kein Grund zur Unruhe: Besonders im Vergleich mit Damian Warner (14,45 m; 2.798 pt) und Ayden Owens-Delerme (15,17 m; 2.786 pt), dem ebenfalls ein Meter zur Bestleistung fehlte, verlor Leo Neugebauer nichts an Boden. Und zu seinem Rekord-Zehnkampf fehlen nach drei Disziplinen nur 33 Punkte. Aber es heißt weiter hellwach bleiben: Die jungen Norweger Markus Rooth (15,31 m; 2.741 pt) und Sander Skotheim (14,31 m; 2.725 pt) haben einen Lauf. In Lauerstellung sind trotz Kugelstoß-Leistungen etwas unter Soll weiter auch Lindon Victor (15,71 m; 2.724 pt) und Europameister Johannes Erm (Estland; 14,61 m; 2.683 pt).
Niklas Kaul verließ dagegen nach drei Versuchen frustriert und ratlos den Ring: Der einstige Welt- und Europameister musste sich mit 14,24 Metern begnügen, fast einen Meter unter Hausrekord. In Rom war die Kugel noch bis auf 15,10 Meter geflogen. In Paris rangiert er nach drei Disziplinen auf Platz 21 (2.364 pt). Dafür wandelt Till Steinforth, scheinbar unbeeindruckt von seiner kurzfristigen Nachberufung ins Team, weiter auf Bestleistungskurs: Mit 13,98 Metern kam er etwa einen halben Meter weiter als in Ratingen, wo er seinen Zehnkampf-Hausrekord auf 8.287 Punkte gesteigert hatte. In der Zwischenwertung liegt er mit 2.658 Punkten auf Platz zehn.
Hochsprung
Leo Neugebauer baut den Vorsprung aus
Leo Neugebauer wahrt weiter seine Chance aufs Olympia-Podest – auch auf die Stufe ganz oben. Im Hochsprung ging’s über 2,05 Meter, ebenso hoch wie zum Saison-Einstieg bei seinem 8.708-Punkte-Zehnkampf, zwei Zentimeter fehlten im Vergleich zu seinem deutschen Zehnkampf-Rekord. Den Vorsprung auf Damian Warner (2,02 m; 3.620 pt) und Ayden Owens-Delerme (2,02 m; 3.608 pt) konnte der Stuttgarter mit 3.726 Punkten weiter ausbauen. Der Kanadier blieb einige Zentimeter unter Bestleistung, der Mann aus Puerto Rico kam vier Zentimeter höher hinaus als bei seiner Zehnkampf-PB.
Noch an Warner und Owens-Delerme vorbei schob sich einer der besten Hochspringer im Feld: Vize-Europameister Sander Skotheim (3.631 pt). Der Norweger hat eine Hallen-Bestleistung von 2,20 Metern und ist in Rom über 2,17 Meter geflogen. In Paris schaffte er 2,11 Meter. Eindrucksvoll – aber dennoch etwas unter Soll. Das letzte Wort hatte US-Meister Heath Baldwin (3.507 pt), der mit 2,17 Metern einen Satz in die Top Acht machte. 2,08 Meter und damit satte neun Zentimeter mehr als bei seinem EM-Gold brachten Johannes Erm (3.561 pt) auf Platz fünf nach vorne. Zufrieden konnte auch Lindon Victor (2,02 m; 3.546 pt) sein.
Den heiß ersehnten Lichtblick gab’s zudem in der vierten Disziplin für Niklas Kaul – und damit vielleicht auch einen Motivationsschub für den weiteren Wettkampf: Mit 2,02 Metern sprang er sechs Zentimeter höher als in Rom und ebenso hoch wie bei seinem WM-Triumph in Doha 2019. Noch bedeutete das in der Gesamtwertung mit 3.186 Punkten auf Platz 20 aber nicht den großen Sprung nach vorne. Zwei Zentimeter fehlten Till Steinforth (1,96 m; 3.425 pt) zum Ergebnis von Ratingen – Platz elf vor dem Tagesabschluss über 400 Meter.
400 Meter
Pfeilschnelle Verfolgungsjagd
Die Sieger des zweiten und dritten Rennens über 400 Meter sind die ersten Verfolger von Leo Neugebauer – und sie machten auf der Stadionrunde mit rasanten Zeiten einiges an Boden gut. Allen voran Ayden Owens-Delerme, der zum Ende des Tages in 46,17 Sekunden überragte und dabei im Vergleich zu seinem besten Zehnkampf eine ganze Sekunde schneller war. Mit 4.608 Punkten schob er sich auf Rang zwei nach vorne, auf dem Bronzerang übernachtet Sander Skotheim. Er rannte im zweiten Lauf in 47,02 Sekunden vorneweg, eine halbe Sekunde schneller als in Rom. Mit 4.588 Punkten hat er nach fünf Disziplinen 22 Punkte mehr auf dem Konto als auf dem Weg zu EM-Silber (8.635 pt).
Damit nehmen sowohl Owens-Delerme als auch Skotheim Kurs auf ein 8.700-Punkte-Ergebnis und bleiben Leo Neugebauer weiter dicht auf den Fersen. Trotzdem kann dieser mit einem guten Gefühl schlafen gehen: In 47,70 Sekunden konnte er seine Zeit des deutschen Rekordes um drei Zehntel nach unten schrauben und wahrte mit 4.650 Punkten auch die Halbzeit-Führung. Damian Warner (4.561 pt) ging nach mutigem Renn-Auftakt auf der Zielgeraden die Puste aus und er schaffte dennoch in 47,34 Sekunden eine Saison-Bestzeit, Johannes Erm (47,19 sec; 4.510 pt) war etwas langsamer als in Rom. Über die Hürden dürfte Leo Neugebauer am Samstag seine Führung kurzzeitig abgeben, bevor er für den Griff nach Olympia-Gold besonders im Diskuswurf und Stabhochsprung wieder seine Klasse ausspielen muss.
4.041 Punkte und Platz 20 zur Halbzeit unterstreichen, was man fast im gesamten Tagesverlauf am Gesicht von Niklas Kaul ablesen konnte: Es läuft nicht. Das änderte sich leider auch nicht über 400 Meter, wo er in 49,13 Sekunden erneut unter seinen Möglichkeiten blieb und über der EM-Zeit von Rom (48,81 sec). Auch Till Steinforth gingen zum Ende eines langen Tages bei seinem Debüt auf großer internationaler Bühne die Kräfte aus. In 47,96 Sekunden fehlten etwa sechs Zehntel zur Zeit von Ratingen. Auf Platz zwölf (4.336 pt) macht er dennoch einen starken Zehnkampf, in dem mindestens das zweitbeste Resultat seiner noch jungen Karriere drin ist – und mit etwas Glück am zweiten Tag auch immer noch eine neue Bestleistung.
STIMMEN ZUM WETTBEWERB
Leo Neugebauer (VfB Stuttgart) | ARD-Interview / Mixed Zone/SID
Das Stadion ist verrückt, hier einen Wetkampf machen zu dürfen, ist eine Ehre. Ich bin sehr zufrieden, alle Disziplinen waren sehr konsistent. Im Weitsprung war ich sehr happy, dass ich so nah wieder an die acht Meter herangekommen bin. Beim 400er haben ich mich noch ziemlich fit gefühlt, SB, da kann ich mich nicht beschweren. Ich habe eine schöne Zeit gehabt, sehr gute Leistungen abgeliefert, ich hoffe, die Zuschauer hatten sehr viel Spaß. Ich fühle mich sehr gut, ich gehe von Disziplin zu Disziplin, man kann immer schwer sehen, was dann passiert. Jetzt muss ich mich erstmal um die Regenarion kümmern. Im Vergleich zu Budapest will ich die Medienrunde hier kurz halten, und es ist auch deutlich früher als letztes Jahr. Das ist ein neues Mindset, ich werde aus meinen Fehlern lernen. Die Arbeit ist noch nicht mal halb fertig, erst nach dem Stabhochsprung kann man ungefähr sehen, wo man steht.
Niklas Kaul (USC Mainz) | ARD-Interview
Es gibt gute und schlechte Tage. Das war ein schlechter. Wenn ich jetzt wüsste, das Training war vorher schlecht, dann könnte ich es einordnen. Aber ich weiß nicht, woran es liegt. Ich habe einfach keine Power. Wie ausgeknipst. Im Hochsprung war es gut, dass ich ein paar gute Sprünge hatte. Aber an einem guten Tag bleibt die Latte auch bei 2,05 Metern im Ersten liegen. Selbst beim Hochsprung war es Arbeit. Heute war alles Arbeit. Und du brauchst in einem großen Zehnkampf auch mal ein paar Disziplinen, bei denen es einfach läuft und um die du dir keine Gedanken machen musst. Das hat heute einfach nicht geklappt.
Till Steinforth (SV Halle) | Mixed Zone/dpa
Ich hatte mega viel Spaß, die Atmosphäre ist unglaublich. Ich habe sehr solide Leistungen abgeliefert und kann damit zufrieden sein. Es geht auch noch mehr, mein Training vorher war gut, aber eine Olympia-Vorbereitung war es nicht. Dafür sind die Leistungen noch sehr zufriedenstellend. Nach Ratingen habe ich ungefähr eine Woche Pause gemacht, aber ich wusste, dass ich Ersatzmann bin für den Zehnkampf und habe mir dann gedacht, ich nutze die Chance, um weiter zu trainieren und noch besser zu werden. Ich habe in Halle mit Wolfgang Kühne trainiert. Meine Freundin aus Amerika kam nach Deutschland, wir waren in Berlin, in Prag, ich habe dort auch jeden Tag ein bisschen trainiert. Habe das aber eher als Spaß betrachtet. Am Dienstag hieß es dann, ich bin nachnominiert. Ich bin ein bisschen unter den Leistungen von Ratingen, aber das kann man am zweiten Tag noch rausholen. Ich würde gerne so weiter machen wie heute, und wozu das reicht, werden wir dann morgen sehen.