Christopher Linke hat am Samstag in Frankfurt mit einer Zeit von 2:29:58 Stunden als erster Deutscher die 35 Kilometer in weniger als zweieinhalb Stunden zurückgelegt. Im Interview beschreibt der Potsdamer Geher seinen Weg zur Bestmarke und spricht über seinen Traum von einer internationalen Medaille. Zudem verrät er, inwiefern er von der Einführung der 35-Kilometer-Strecke profitieren kann und wie ihm ein abgelegtes Paar Laufschuhe von Richard Ringer den Weg zur Bestleistung ebnete.
Christopher Linke, herzlichen Glückwunsch zur schnellsten deutschen Zeit im 35 Kilometer Gehen! Als erster Deutscher unter 2:30 Stunden – hatten Sie sich diese Zeit im Vorfeld zugetraut?
Christopher Linke:
Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen überrascht, weil ich noch nicht so viel trainiert hätte, dass diese Zeit zu erwarten gewesen wäre. Ich wusste gar nicht genau, wo ich stehe: Ich komme aus einer Trainingsphase, in der ich noch nicht so viel Tempotraining gemacht habe. Grundsätzlich wusste ich, wenn ich den richtigen Wettkampf erwische, dann kann ich auch um den deutschen Rekord mitgehen. Davon, dass es gleich beim ersten Anlauf passiert, bin ich nicht ausgegangen, weil das Wetter und die Strecke es eigentlich nicht zugelassen haben. Zumal wir nur fünf, sechs Geher auf dieser Strecke waren und ich wusste, dass mir maximal einer hilft, das Rennen schnell zu machen.
Bereits um 8:30 Uhr fiel der Startschuss, Sie hatten mit Regen und kühlen Temperaturen zu kämpfen. Wie sind Sie mit diesen Bedingungen zurechtgekommen?
Christopher Linke:
Ich fand die Startzeit um 8:30 Uhr ein bisschen zu zeitig. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es in Deutschland Ende April zu dieser Uhrzeit doch noch relativ frisch ist. Mit dem Wetter hatten wir leider Pech. Am Donnerstag war in Frankfurt schönster Sonnenschein, auch am Freitag Top-Wetter – und für Samstag dann Regen angesagt. 8:30 Uhr, acht Grad und Nieselregen: Das waren nicht unbedingt Super-Bedingungen. Hinten raus hat man die Kälte doch extrem gemerkt. Ab Kilometer 20 wurde mein Hüftbeuger extrem fest, ich habe mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass es bis zum Ende hält. Am Ende hatte ich extreme Schmerzen. Zum Glück habe ich es ins Ziel geschafft.
Wie sind Sie Ihren Wettkampf angegangen?
Christopher Linke:
Karl Junghannß und ich wollten die Norm noch gehen, die wir zur Quali [für WM und EM] brauchten. Drei andere Athleten [Carl Dohmann, Jonathan Hilbert, Nathaniel Seiler, Anm. d. Red.] hatten die Norm aufgrund ihrer Leistungen über 50 Kilometer im vergangenen Jahr bereits erfüllt. Damit hatten die drei Jungs einen kleinen Vorteil: Wir brauchten die Norm, sie brauchten keine Norm. Daher mussten Karl und ich das Rennen schnell machen und die anderen konnten abwarten und gucken, wie wir reagieren. Ich hatte mit Karl vorher schon gesprochen, dass wir ganz klar Richtung Norm angehen. Die ersten fünf Kilometer sind Karl und ich vorneweg gegangen, waren zwei Meter vor den anderen, die – so, wie wir es uns gedacht hatten – gelauert und geguckt haben, wie wir angehen. Irgendwann habe ich mich leicht abgesetzt und dachte: „Ich probiere es einfach und mache mein Ding.“
Die Norm steht für die Weltmeisterschaften in Eugene bei 2:33 Stunden, für die EM in München bei 2:35:50 Stunden …
Christopher Linke:
Die geforderte Zeit fand ich schon happig, vor allem im Verhältnis zur 50-Kilometer-Norm für die Olympischen Spiele, die World Athletics ja auch als Normerfüllung für 35 anerkennt. Über 35 Kilometer müssen wir 15 Sekunden pro Kilometer schneller gehen als über 50 Kilometer, obwohl der Wettkampf nur 15 Kilometer kürzer ist.
Kommunizieren Sie eigentlich während des Wettkampfes auch mit Ihren Konkurrenten, gerade wenn Sie ein gemeinsames Ziel verfolgen?
Christopher Linke:
Karl Junghannß und ich sind den ersten Kilometer auf 4:21 Minuten angegangen. Da habe ich zu Karl gesagt: „Perfekt, das ist genau das Tempo.“ Während der ersten fünf Kilometer haben wir schon miteinander gesprochen und uns ausgetauscht, dass die drei anderen hinter uns genau das machen, was wir vermutet haben und wir das Tempo machen müssen. Ansonsten hatte ich nicht so viel Zeit, mit den Gehenden zu sprechen, weil ich ja ab 20 Minuten nach dem Start alleine unterwegs war.
Ab da haben Sie niemanden mehr vorbeigelassen. Wie hat sich das angefühlt?
Christopher Linke:
Es hat sich anfangs sehr locker angefühlt. Ich denke, mein Vorteil ist, dass ich von den 20 Kilometern komme. Man merkt eben schon, ob man 4-Minuten-Tempo geht oder 4:20. Die Frage ist nur: Wie lange hält man das durch? Nach einer halben Stunde sind die 20-Kilometer-Geher gestartet, mit Nils [Brembach] und Hagen [Pohle]. Ich bin dann kurz mitgegangen. Ich fand es schade, dass sie nicht eine Stunde später gestartet sind, dann hätte ich die letzten Kilometer mit ihnen gemeinsam absolvieren können können. Aber ich hatte ja zu dem Zeitpunkt, als sie gestartet sind, noch 29 Kilometer vor mir. Es wäre fatal gewesen, wenn ich das Tempo mitgegangen wäre. Trotzdem konnte ich mein Tempo etwas erhöhen und den Vorsprung zu den anderen weiter ausbauen, Runde um Runde.
Haben Sie zwischendurch gemerkt, wie schnell Sie unterwegs sind?
Christopher Linke:
Ich hatte einen befreundeten Triathleten aus Potsdam dabei, der mir zwischendurch die Zwischenzeiten angesagt hat. Ich wollte alle fünf Kilometer den Split haben, wie weit ich unter der Norm bin. Bei 15 bis 20 Kilometern war ich schon deutlich mehr als eine Minute unter der geforderten Zeit. Dabei hatte ich ihm eine falsche Zeit gesagt: Er hat mit einem Schnitt von 4:21 Minuten pro Kilometer gerechnet, ich hätte aber 4:22 gebraucht. Also wusste ich, dass ich extrem weit unter der Norm bin. Nach etwa 20 Kilometern habe ich zu ihm rübergerufen: „Rechne mal aus, wie weit ich von dem deutschen Rekord weg bin.“ Da lag ich bereits 15 Sekunden unter der Rekordzeit und war zuversichtlich, dass ich die Geschwindigkeit noch lange halten kann.
Haben Sie sich an der Marke Ihres Trainers Ronald Weigel [2:30:52 h] orientiert oder an dem Schwellenwert [2:38 h], der zur Anerkennung eines deutschen Rekordes ab der Einführung offizieller Rekorde im kommenden Jahr notwendig ist?
Christopher Linke:
Den Schwellenwert von 2:38 Stunden kannte ich im Vorfeld gar nicht. Ich war unterwegs und im Ziel felsenfest davon überzeugt, dass ich deutschen Rekord gegangen bin. Dass es jetzt bis zur Einführung der Rekorde nur eine deutsche Bestleistung ist, finde ich schade. Ich habe mich an der Marke meines Trainers orientiert und an den internationalen Ergebnissen gesehen, dass die Leute schon unter 2:30 Stunden gehen können.
Was hält denn Ihr Trainer davon, dass Sie ihm die deutsche Bestmarke abgenommen haben?
Christopher Linke:
„Ganz stark, Junge!“ hat er gesagt und sich mit mir gefreut. Ich habe aber bereits im Vorfeld zu ihm gesagt: „Herr Weigel, ich glaube, Ihr deutscher Rekord hält nicht mehr lange.“ Eigentlich dachte ich, dass Karl Junghannß bereits bei dem Wettkampf in Dudince [Slowakei, vergangenes Wochenende] den Rekord bricht. Und ich dann vielleicht im Verlauf der Saison oder nächstes Jahr.
Mit mittlerweile fünf Normerfüllern im 35 Kilometer Gehen ist die innerdeutsche Konkurrenz derzeit besonders stark. Profitieren Sie von dieser Qualität oder erschwert es primär die Qualifikation für internationale Meisterschaften?
Christopher Linke:
In erster Linie macht es das schwer, dass man im Gehen nicht davon ausgehen kann, sicher dabei zu sein, wenn man die WM-Norm macht. Natürlich ist es gut, wenn das Niveau in der Disziplingruppe hoch ist, weil man dementsprechend – in der Trainingsgruppe oder in gemeinsamen Trainingslagern – auf einem hohen Niveau trainieren und sich mit seinen Hauptkonkurrenten auch im Training messen kann. Das ist ein Riesenvorteil. Umso bitterer ist es für den Vierten, der die Norm macht und nicht dabei ist. Jetzt hat es Karl Junghannß getroffen: Er geht die Norm, wird Dritter und fährt nicht mit zur WM. Durch Jonathan Hilberts Olympiamedaille über 50 Kilometer war ein internationaler Startplatz für die 35 bereits vergeben. Ich habe mit Karl nach dem Wettkampf geredet und er war extrem enttäuscht. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der nach einer WM-Norm so enttäuscht ist.
Die 35 Kilometer sind erst seit diesem Jahr internationale Wettkampf-Disziplin, bislang standen stattdessen die 50 Kilometer auf dem Plan – die längste Strecke in der Leichtathletik. Bedeutet die neue Distanz für Sie auch eine neue Chance?
Christopher Linke:
Im Grunde bedauere ich es, dass die 50 Kilometer international nicht mehr gegangen werden. Es ist eine traditionsreiche Disziplin, länger als Marathon, war seit 1983 bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften im Programm. Ich weiß nicht, wer sich die 35 Kilometer als Geh-Strecke ausgedacht hat. Für mich persönlich bietet die neue Strecke aber einen Vorteil: Die 35 ist natürlich näher an der 20 als die 50. Ich habe in den letzten Jahren keine 50-Kilometer-Rennen mehr bestritten, weil kein Doppelstart bei Jahreshöhepunkten möglich war. Am Ende gilt: Wenn man eine Medaille gewinnt, egal auf welcher Strecke, ist man der King. Und davon träume ich immer noch. Ich habe jetzt zehn Jahre versucht, über 20 Kilometer eine Medaille zu gewinnen und war sehr, sehr häufig dicht dran, aber es hat nie geklappt. Daher ist jetzt vielleicht die Möglichkeit da.
Wie schätzen Sie derzeit die Leistungen über die „neue Strecke 35 Kilometer“ ein?
Christopher Linke:
Über 35 Kilometer ist das Niveau mittlerweile auch schon sehr hoch. Ich glaube, dass die Athleten, die von den 20 Kilometern kommen, sogar im Vorteil sind, weil sie das Rennen von Anfang an schnell machen und hinten raus das Tempo hoch halten. Und wenn es über 35 Kilometer auf einen Endspurt zwischen einem 20-Kilometer- und einem 50-Kilometer-Spezialisten geht, glaube ich, dass sich der 20er durchsetzt, weil er einfach die Grundschnelligkeit hat.
Jetzt haben Sie die Norm über 35 Kilometer für beide Saisonhöhepunkte erfüllt und können zudem als Olympia-Fünfter über 20 Kilometer auch für diese Distanz nominiert werden. Auf welcher Meisterschaft liegt Ihr Fokus?
Christopher Linke:
Mein Fokus liegt ganz klar auf der Weltmeisterschaft, das ist der erste Höhepunkt, den ich habe. Darauf ist meine Saison ausgerichtet. Die EM ist eher Zugabe. Ich bereite mich natürlich auf beide Meisterschaften vor, aber da die WM zuerst stattfindet, konzentriere ich mich zunächst auf Eugene und hoffe, dass die Form bis zur EM reicht. Ich möchte gerne einen Doppelstart machen, bei der WM auf jeden Fall. Da sind die 20 Kilometer am Anfang und die 35 am Ende; das ist machbar. Momentan ist das auf jeden Fall mein Ziel.
Sie haben gesagt, Ihnen habe ein abgelegtes Paar Laufschuhe von Richard Ringer an diesem Wochenende den Weg zu Meistertitel und Bestleistung geebnet. Was hat es damit auf sich?
Christopher Linke:
Im Trainingslager in Flagstaff habe ich Richard Ringer, einen guten Freund von mir, gefragt, ob er ein Paar Carbonschuhe hat, die ich mal testen kann. Wir Geher müssen uns die Schuhe ja selber kaufen, wir haben keine Ausrüsterverträge. Ich habe dann ein Paar Schuhe von Richard getestet, die er in der Olympiasaison getragen hat. Über 20 Kilometer ging es sehr gut. Dann bin ich noch eine 30 gegangen und das lief auch sehr gut. Da hat Richard gesagt: „Du kannst sie behalten, ich schenke sie dir.“ Ich habe ihm dann versprochen, die Schuhe bei den Deutschen Meisterschaften anzuziehen. Und wenn ich einen deutschen Rekord gehe und gewinne, verspreche ich, mich für folgende Schlagzeile einzusetzen: „Mit ausrangierten Schuhen von Richard Ringer zum Rekord.“
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