| Leipzig 2022

Tag 1 der Hallen-DM: Lucas Ansah-Peprah und Tatjana Pinto auf dem Sprint-Thron

Es war eine emotionale Rückkehr zu einer fast vergessenen Normalität. Vor 1.600 Zuschauern (ausverkauft) hat die deutsche Leichtathletik in der Quarterback Immobilien-Arena Leipzig am ersten Tag der Deutschen Meisterschaften ihre Titelträgerinnen und Titelträger, Hallen-WM-Normen und einen tränenreichen Abschied gefeiert. Tatjana Pinto und Lucas Ansah-Peprah flogen zu den Titeln über 60 Meter, über die Hürden feierte die ehemalige Europameisterin Cindy Roleder ein strahlendes Comeback nach Babypause und das Kugelstoß-Finale wurde gar zu einem historischen Moment, als die ehemalige Weltmeisterin Christina Schwanitz ihr sofortiges Ende vom Leistungssport erklärte.
Alexandra Dersch

So schnell seine Beine zuvor über die blaue Bahn der Quarterback Immobilien-Arena Leipzig geflogen waren, so wenig wollte die Worte im Ziel aus seinem Mund kommen. „Ich kann es einfach gar nicht fassen“, sagte Lucas Ansah-Peprah (Hamburger SV), der neue Deutsche Meister über 60 Meter, in einer ersten spontanen Reaktion auf seinen Titel-Coup. In 6,58 Sekunden stellte der 22-Jährige die deutsche Jahresbestzeit ein und blieb auch satt unter der Norm für die Hallen-WM Mitte März in Belgrad (Serbien).

Mit ihm boten auch der zuvor als Favorit gehandelte Titelverteidiger Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar; 6,60 sec) und Ansah-Peprahs Trainingskollegen Owen Ansah (Hamburger SV; 6,61 sec) eine richtig gute Show für die mit 1.600 Zuschauern unter den aktuellen Corona-Regelungen ausverkaufte Quarterback Immobilien Arena, unter denen sich auch Frank Ullrich, der ehemalige Biathlet und Olympiasieger und Vorsitzender im Sportausschuss des Deutschen Bundestags, befand.

Tatjana Pinto ist zurück auf dem Sprint-Thron in der Halle. Die Neu-Wattenscheiderin ließ in starken 7,16 Sekunden ihrer schnellen Konkurrenz in Person von Gina Lückenkemper (SCC Berlin; 7,20 sec) und auch der aufstrebenden Sophia Junk (LG Rhein-Wied), die in 7,22 Sekunden auf den dritten Platz mit Bestzeit lief, keine Chance. 7,16 Sekunden waren die schnellste Zeit der mehrfachen Deutschen Meisterin seit dem Jahr 2018. „Ich komme langsam wieder richtig ins Rollen“, sagte Tatjana Pinto, die fest mit einem Start bei der Hallen-WM plant.

Goldenes Comeback nach Babypause

Cindy Roleder (SV Halle) feierte über 60 Meter Hürden nach ihrer Babypause ein erfolgreiches Comeback auf nationaler Meisterschaftsbühne. Mit ihrem bekannt sagenhaften Finish warf sich die ehemalige Europameisterin noch mit dem letzten Schritt um den Hauch einer Tausendstelsekunde vor der Wattenscheiderin Monika Zapalska ins Ziel. Beide blieben zeitgleich in 8,13 Sekunden unter der Norm für Belgrad. „Ich bin so happy, wieder da und konkurrenzfähig zu sein“, sagte Cindy Roleder. Absolut beeindruckend war im Schatten der beiden Protagonistinnen aber auch die Leistung der erst 19-jährigen Hawa Jalloh (Wiesbadener LV). Die Deutsche Jugend-Hallenmeisterin schob sich in 8,17 Sekunden bis auf elf Hundertstel ran an die deutsche U20-Bestleistung, die seit 1983 Ulrike Denk (ASV Köln) hält.

Bei den Männern holte Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen) seinen fünften Titel, auch wenn er im Finale in 7,65 Sekunden nicht so schnell wie von ihm selbst erhofft über die Hürden flog. Im Halbfinale hatte der EM-Fünfte noch mit 7,63 Sekunden einen Raketenstart hingelegt und will diese Vorstellung auch bei seinen verbleibenden Starts in der Hallensaison fortsetzen. „Nach meiner Knie-OP bin ich froh, wieder so gut unterwegs zu sein, und will bei der Hallen-WM alles geben.“ Schnell wie nie war Yannick Spissinger (MTG Mannheim), der in 7,82 Sekunden Silber gewann vor Gregory Minoue (TV Angermund; 7,85 sec).

Ende einer Kugelstoß-Ära

Das Kugelstoß-Finale der Frauen war gar ein historisches. Zum einen weil Sara Gambetta (SV Halle) bei ihrem ersten Hallentitel unter dem Hallendach mit 19,05 Metern erstmals die 19-Meter-Marke knackte. Zum anderen aber, weil hier die große Dame des deutschen Kugelstoßens Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge) ihr sofortiges und für viele überraschendes Karriereende verkündete. Die Weltmeisterin, Europameisterin und dreizehnfache Meisterin verabschiedete sich mit 18,49 Metern und Bronze aus dem Kugelstoßring. Das Ende einer Ära (siehe extra Text).

Sara Gambetta schob sich mit ihrer Siegesweite auf Platz sechs im aktuellen Weltvergleich. Silber holte sich Christina Schwanitz‘ Trainingskollegin und Olympiateilnehmerin Katharina Maisch (LV 90 Erzgebirge), die mit 18,54 Metern erneut über der geforderten Norm für die Hallen-WM blieb.

Erfüllte Träume in der Dreisprung-Grube

Seinen ersten deutschen Meistertitel feierte im Kugelstoßen ein Athlet, der in der Vergangenheit schon so oft ganz nah dran am Sieg gewesen war: Christian Zimmermann ist erstmals Deutscher Hallenmeister. Der 20-Meter-Stoßer trat in Abwesenheit des ehemaligen Weltmeisters David Storl (SC DHfK Leipzig), der sich bereits jetzt auf die Sommersaison vorbereitet, aus dem Schatten und setzte sich deutlich mit Saisonbestleistung von 19,75 Metern durch. Bevor Christian Zimmermann im fünften Versuch eben diese Tagesbestweite auspackte war es der Rehlinger Valentin Moll, der mit saarländischem Landesrekord von 19,39 Metern am Titel schnupperte, sich dann aber auch über Silber freuen konnte. Silas Ristl (LAC Essingen) steigerte seine Bestleistung auf 19,24 Meter und wurde dafür mit Bronze belohnt.

Gleich zwei Träume wurden für Jessie Maduka im Dreisprung-Finale der Frauen wahr. „14 Meter und Deutsche Meisterin – davon habe ich immer geträumt“, jubelte die Zweitplatzierte des Vorjahres. Die 25-Jährige setzte sich damit auch gegen die Titelverteidigerin und Hallen-EM-Dritte Neele Eckhardt-Noack (13,92 m) und Kira Wittmann (beide LG Göttingen; 13,56 m) durch. Hallenrekordhalterin Kristin Gierisch (TSV Bayer 04 Leverkusen) kämpfte mit ihrem Anlauf und kam an diesem Tag nicht über 13,55 Meter (Platz 4) hinaus.

Sechster Titel für Max Heß

Im Dreisprung-Finale der Männer bestimmt der ehemalige Europameister Max Heß das Geschehen nach Belieben. Der Chemnitzer ersprang mit 16,05 Metern seinen sechsten Titel unter dem Hallendach und ließ dabei noch zwei Versuche aus. „Reine Vorsichtsmaßnahme“, sagte der 26-Jährige, der mit kleinen Probleme an der Ferse zu kämpfen hatte. „Ich plane fest mit der Hallen-WM“, sagte der neue und alte Deutsche Meister, der im vergangenen Frühjahr Bronze bei der Hallen-EM gewonnen hatte. Silber ging mit 15,42 Metern an Christoph Garritsen (TSV Bayer 04 Leverkusen) vor dem Mannheimer Felix Mairhofer (15,16 m).

Aufsehen erregte der zweite Titel des Düsseldorfers Maximilian Thorwirth über 3.000 Meter. In 8:01,43 Minuten hielt der Shootingstar der Langstrecke aus deutscher Sicht auf der letzten Runde die harte Attacke von Sam Parsons (Eintracht Frankfurt; 8:02,13 min), dem Hallenmeister von 2019 stand, und machte im Ziel beim Siegerinterview seinem Ärger über eine nicht gestattete Solidaritätsaktion für die Ukraine eines Kontrahenten Luft, dem nach Kontrolle der Wettkampfkleidung kurz vor dem Start nicht gestattet worden war, mit einer aufgeklebten Ukraine-Flagge auf dem Oberarm zu laufen. „Wenn das nicht erlaubt ist, macht mich das traurig“, sagte der 27-Jährige, der selber mit einem blau-gelben Armband gelaufen war.

DLV-Vorstandsvorsitzende Idriss Gonschinska suchte im Anschluss das Gespräch mit Thorwirth und betonte: „Ich kann die Emotionen nachvollziehen. Wir fördern mündige Athleten und müssen gerade in einer solch bedrohlichen Zeit auch darüber nachdenken, ob nationale und internationale Regelwerke nicht prospektiv angepasst werden müssen.“ In kurzer Zeit immer richtig abzuwägen, sei jedoch auf der Basis der aktuellen Bestimmungen des Regelwerks für den Einzelnen in einer besonderen Situation schwierig. Er betonte, dass der DLV seine klare Haltung eingebracht und den Krieg gegen die Ukraine auf das Schärfste verurteile.
 
Die Deutschen Hallenmeisterschaften wurden mit einer Schweigeminute, die dem ukrainischen Volk gewidmet war, eröffnet. „Wir fühlen mit dem ukrainischen Volk“, sagte Idriss Gonschinska. Hintergrund der Diskussion sind die aktuellen Regularien, die politische Äußerungen etwa auf der Wettkampfkleidung nicht erlauben.

Hallen-WM-Norm für Patrick Schneider

Bei den Frauen war es die erwartete One-Woman-Show über 3.000 Meter. Hanna Klein (LAV Stadtwerke Tübingen) – ein Antritt und war die Olympiateilnehmerin der Konkurrenz unaufholsam enteilt. Einsam und konsequent drehte die 28-Jährige einsam ihre Runden in der Quarterback Immobilien Arena und sammelte in 8:51,18 Minuten ihren dritten Hallentitel in Serie ein. „Das hat Spaß gemacht“, sagte Hanna Klein. „Und der letzte Kilometer war mit dem Publikum im Rücken noch viel besser zu ertragen.“ In Belgrad will sie bei der Hallen-WM in Topform am Start stehen. Silber ging an die Hindernisspezialistin Lea Meyer (ASV Köln; 9:06,64 min). Der Kampf um Bronze war eine Zentimeter-Entscheidung zwischen Eva Dieterich (Laufteam Kassel; 9:10,39 min) und Sara Benfares (LC Rehlingen; 9:10,41 min).

Erstmals in der Geschichte bei Deutschen Hallenmeisterschaften teilten sich zwei Stabhochspringer den Sieg. In einem kleinen Feld, in dem sich der WM-Vierte Bo Kanda Lita Baehre (TSV Bayer 04 Leverkusen) krankheitsbedingt kurzfristig abmelden musste, verteidigte sein Trainingskollege Torben Blech (TSV Bayer 04 Leverkusen) mit 5,51 Metern den Titel erfolgreich. Mit exakt der identischen Anzahl an Fehlversuchen sprang erstmals der Schweriner Tom-Linus Humann zum Titel bei den Aktiven und stellte seine Bestleistung ein. Mit Bronze (5,51 m) musste sich an diesem Samstag der Jahresbeste Oleg Zernikel (ASV Landau) zufrieden geben. „In den letzten Wochen haben sich kleine technische Fehler eingeschlichen“, sagte der Deutsche Freiluftmeister Zernikel. „Da werde ich jetzt im Training dran arbeiten. Die Hallen-WM ist und bleibt mein Ziel.“

Einen ganz starken Eindruck hinterließ im Halbfinale über 400 Meter Patrick Schneider. In 46,44 Sekunden lief der Wattenscheider nicht nur Bestzeit und die schnellste deutsche Zeit in diesem Jahr, sondern blieb auch unter der Norm für die Hallen-Weltmeisterschaften. Die Vorfreude nicht nur auf dieses Finale am kommenden Sonntag ist geweckt.

Hallen-DM 2022 Leipzig

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