Mit einem Kraftakt hat sich Tim Nowak am Wochenende in Wesel den deutschen Meistertitel im Zehnkampf gesichert. Im Interview der Woche spricht der Athlet des SSV Ulm über das Durchbeißen durch einen Wettkampf mit Höhen und Tiefen, die schwierige mentale Situation vor dem Stabhochsprung-Wettbewerb und den geplatzten Olympia-Traum.
Tim Nowak, Sie haben hier in Wesel Ihren ersten Zehnkampf seit zwei Jahren und der WM in Doha ins Ziel gebracht. Wie groß ist die Erleichterung?
Tim Nowak:
Im Zehnkampf hadert man oft sehr viel. Aber wenn man’s geschafft hat, ist man immer froh, egal, was dabei rauskommt. Deshalb ist das oberste Gebot im Zehnkampf: durchziehen! Man hat Tiefen, und wenn man in denen drinhängt, denkt man, dass gar nichts funktioniert. Deshalb bin ich super froh, dass ich es hier durchziehen konnte und auch noch gewonnen habe.
Sie haben über die Tiefen gesprochen – während des Zehnkampfs ging es Ihnen phasenweise nicht so gut…
Tim Nowak:
Es ist vor allem im Kopf sehr, sehr viel passiert. Ich wollte es nicht jeden spüren lassen, aber ich glaube, jeder hat es mir angesehen: Gerade am ersten Tag konnte ich mich über nichts freuen, über keine Leistung. Ich habe aber auch grottenschlecht angefangen, habe total gemerkt, dass mir die letzten drei Wochen Training fehlen – ich hatte kurzfristig noch Probleme mit dem Hüftbeuger und konnte den Wettkampf nicht so gut vorbereiten.
… und Sie kamen ohnehin aus einer schwierigen Phase, in der Sie auch das Olympia-Aus nach dem Stabbruch von Ratingen verdauen mussten.
Tim Nowak:
Ich hatte die Handverletzung und ich habe trotzdem trainiert in der Hoffnung, dass ich vielleicht nachnominiert werde. Und dann nicht nachnominiert zu werden – da bin ich mental in ein brutal tiefes Loch gefallen.
Wie haben Sie sich dennoch für den Start bei den Deutschen Meisterschaften motiviert?
Tim Nowak:
Ich habe mir gesagt, dass ich diesen Wettkampf jetzt brauche, dass ich den unbedingt machen will, dass es auch für das World Ranking im nächsten Jahr total wichtig ist. Aber hier habe ich vor allem am ersten Tag gerade beim Weitsprung gemerkt, dass ich mir das alles nur eingeredet habe. Dass ich nicht vorbereitet bin, dass ich nicht motiviert bin, dass ich nicht diesen Biss habe.
Trotzdem haben Sie den Zehnkampf zu Ende gebracht.
Tim Nowak:
Im Kugelstoßen habe ich mir gesagt: Komm, jetzt raff dich mal! Es ist alles scheiße, aber du ziehst den Wettkampf jetzt durch. Nach dem Hochsprung hatten mein Coach und ich noch mal einen Moment, in dem wir gesagt haben: Rennen wir jetzt die 400 Meter? Wenn wir die 100 Meter gesehen haben, wissen wir, was da gleich passiert. Zum Glück habe ich mich dazu entschlossen zu fighten.
Am zweiten Tag stand Ihnen noch der Stabhochsprung bevor – die Disziplin, in der in Ratingen der Olympia-Traum geplatzt ist. Wie haben Sie diese Disziplin erlebt?
Tim Nowak:
Das war ein Mind Game: Ich gegen meine Hand, gegen den Stabbruch. Es war tatsächlich der allererste Sprung seit Ratingen aus langem Anlauf. Es war mir so wichtig, hier diese Einstiegshöhe zu schaffen, zu zeigen dass ich springen kann. Dass ich das alles überwinden kann. Vielleicht war das auch das Problem, weil ich nach der Einstiegshöhe schon so zufrieden war, dass ich das geschafft habe. Danach hat der unbedingte Wille gefehlt.
Wie ordnen Sie Ihr Ergebnis von 7.931 Punkten ein?
Tim Nowak:
Wir müssen nicht darüber reden: Punktemäßig ist das nicht mein Niveau, ich glaube, das habe ich in diesem Jahr eindeutig gezeigt. Aber unter all diesen Umständen bin ich trotzdem froh! Es ist eine Punktezahl. Mehr als in Ratingen. Mehr als in Götzis. Es war unglaublich wichtig, dass ich das nach diesem Krisenjahr durchgezogen habe. Es war mental die schwerste Saison und ich glaube, das hier hat mir dabei geholfen da rauszukommen.
Welche Rolle spielte in dem Wettkampf die starke Konkurrenz, die Sie ja doch sehr gefordert hat?
Tim Nowak:
Ich wusste: Wenn ich einen guten Wettkampf mache, dann gewinne ich das eigentlich. Aber ich lag nach dem ersten Tag schon 300 Punkte hinter Ratingen und die anderen waren super drauf. Jannis Wolff hat einen krassen ersten Tag abgeliefert, er hätte es sich echt verdient, eine ordentliche Punktzahl aufzustellen, aber er hatte über die Hürden und im Diskus Probleme. Und dann kam Marvin, hat einen mega zweiten Tag hingelegt mit dem super Stabhochsprung und dem Speerwurf. Da kam dieser Moment, in dem ich gemerkt habe: Tim, du musst jetzt drauflegen, sonst wirst du hier nicht Deutscher Meister. Das war ein super Ansporn. Ich bin echt happy, dass ich im Speerwurf bis auf 20 Zentimeter an meine Bestleistung rankam. Das war mein Highlight. Und der Diskuswurf. Die ersten zwei Würfen waren richtig schlecht. Und dann den Dritten ganz kontrolliert mit langem Arm auf 45 Meter.
Am Ende zeigte sich wieder der Geist der Mehrkampf-Familie: Gemeinsam jubeln, gemeinsam auslaufen, und Gruppenbild mit Ihnen als Deutschem Meister auf den Schultern von Jannis Wolff. Balsam auf die Seele?
Tim Nowak:
Auf jeden Fall! Und ich möchte wirklich betonen: Es war super, dass wir so viele Teilnehmer hier hatten. Das hatten wir in den letzten Jahren nie. Das hat so gutgetan. So viele Jungs, die hier gefightet haben, die hier richtig gute Punktzahlen gemacht haben, und sehr viele haben sich richtig gesteigert. Dass da mal wieder so eine richtige Ehrenrunde zusammenkommt, hat mich total gefreut.