| Abschied

Julian Reus: „Wie kann man glücklicher seine Karriere beenden?“

Knapp 15 Jahre lang gehörte er zur deutschen Spitze im Männersprint, lief seit 2012 als fester Bestandteil der deutschen 4x100 Meter-Staffel bei internationalen Höhepunkten im Nationaltrikot und hält bis heute den deutschen Rekord über 100 Meter im Freien sowie über 60 Meter unter dem Hallendach. Mit dem Staffel-Finale bei den Olympischen Spiele von Tokio hat Julian Reus (LC Top Team Thüringen) seine Leichtathletik-Karriere beendet.
Jane Sichting

Den Schlusspunkt setzte Julian Reus nicht irgendwo. Sondern auf der wohl größten Bühne, die sich einem Athleten in seiner sportlichen Karriere bieten kann. Als Startläufer der 4x100 Meter-Staffel war das Finale bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) sein letztes Rennen in Spikes. „Wie kann man eine Karriere denn glücklicher beenden, als mit einem olympischen Finale?" fragt er rhetorisch und zeigt sich mit dem sechsten Platz sehr zufrieden: „Damit konnte ich positiv abschließen.“ Weder habe er ein Gefühl der Demut, noch empfinde er Erleichterung, es endlich geschafft zu haben. „Ich bin einfach sehr zufrieden und glücklich“, sagt er mit ruhiger Stimme, in der zugleich viel Dankbarkeit mitschwingt.

Zudem erzählt Julian Reus, dass er sich im Olympiastadion von Tokio ganz auf den Wettkampf konzentrieren konnte. Denn während die Gedanken an das Karriere-Ende unter der Saison sehr präsent waren, sei es ihm bei seinem letzten Rennen gut gelungen, komplett im Wettkampfmodus zu sein. Ein Schlüssel-Wettkampf sei der in Regensburg gewesen, wo er beweisen wollte, dass er für die Staffel bereit ist. „Hätte ich dort meine Leistung nicht abgeliefert, wäre das Thema Olympische Spiele und damit auch die Zielstellung, die ich noch hatte, vorbei gewesen.“ Doch er behielt die Nerven, legte einen guten Wettkampf auf die Bahn und qualifizierte sich für seine dritten Olympischen Spiele in Tokio.

Harmonisches Umfeld als Schlüssel für Topleistungen

Dass diese aufgrund der aktuellen Corona-Lage anders waren als gewohnt und Reus im Stadion vor leeren Zuschauerrängen laufen musste, wertet sie für den 33-Jährigen jedoch nicht ab. „Natürlich sind Zuschauer ein Thema von Olympischen Spielen, aber für uns Athleten bestehen die Spiele beispielsweise auch aus den vielen Helfern, die dabei sind und für das olympische Feeling sorgen. Die Japaner haben es durchgehend geschafft, dieses besondere Feeling zu kreieren. Und nicht zu vergessen ist auch die Gruppe aus Athleten, Trainern und Betreuern, mit denen man vor Ort ist. Das war alles in sich stimmig und ein schönes Erlebnis.“

Das richtige Umfeld war für Julian Reus jedoch nicht nur bei internationalen Großereignissen entscheidend, sondern auch in seinem Trainingsalltag. Nachdem er über die Grundschule zur Leichtathletik gekommen war, im Alter von elf Jahren auf die Sportschule in Erfurt wechselte – über 200 Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt Hanau – und mit 15 Jahren in die Trainingsgruppe von Gerhard Jäger, schloss er sich zunächst nach dem Abitur einer sehr leistungsstarken Sprintgruppe beim TSV Wattenscheid 01 an. Doch an seine Erfolge als Deutscher Jugendmeister sowie U20-Europameister 2007 im Einzel und mit der Staffel konnte er nicht anknüpfen. An einem Scheideweg stehend, entschied er sich 2009 zur Rückkehr nach Erfurt. „Da wusste ich, dass ich dort schon einmal schnell gelaufen bin und was ich habe“, erklärt er.

Bis heute ist er der Hauptstadt von Thüringen treu geblieben und hat nicht nur im privaten Bereich mit Frau und Kind Wurzeln geschlagen, sondern auch bis zum Schluss unter Gerhard Jäger trainiert und sich ein perfekt funktionierendes Umfeld aus Physiotherapeuten, Ärzten und Biomechanikern sowie mit einer harmonischen Trainingsgruppe aufgebaut. Denn um die bestmögliche Leistung auf der Bahn abliefern zu können, müssen für Reus alle Parameter gut zusammenspielen. Und wie gut das funktioniert hat, zeigen allein die Erfolge des Wahl-Erfurters.

Bis heute schnellster Mann in Deutschland

Insbesondere die Zeit zwischen 2012 bis 2018 gehörten zu den leistungsstärksten und konstantesten Jahren von Julian Reus. Neben Bronze über 60 Meter bei der Hallen-EM 2015, zweimal EM-Gold (2012 und 2014) sowie einmal EM-Bronze (2016) mit der Staffel sowie insgesamt 18 Mal Edelmetall bei Deutschen Meisterschaften – darunter zehn Goldmedaillen und acht DM-Medaillen unter dem Hallendach – gelten vor allem seine deutschen Rekorde zu den Höhepunkten seiner Sprinterkarriere. Bis heute ist Reus mit 6,52 Sekunden über 60 Meter und 10,01 Sekunden über 100 Meter der schnellste Mann in Deutschland auf diesen Distanzen.

Seine Karriere danach beurteilen, dass er über 100 Meter nie die Neun vor dem Komma stehen hatte, will Reus allerdings nicht. „15 Jahre Leistungssport auf zwei Hundertstel zu reduzieren, wird dem Ganzen nicht gerecht. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt“, stellt er klar. Vielmehr als diese eine Zahl habe ihn ohnehin der Reiz des Sprints angetrieben, dass er keine Fehler verzeiht. Dass Feinheiten darüber entscheiden, welche Zeit am Ende steht. Dass mit einem massiven Aufwand im Trainingsprozess wenige Hundertstel im Wettkampf herausgeholt werden können. Und dass ein Sprinter an Tag X sein maximales Leistungsvermögen in nur einem Versuch auf die Bahn bringen muss.

„Mache mir keine Sorgen um den deutschen Sprint“

Zudem liebte Reus das Wechselspiel der Emotionen, die es als Sprinter zu vereinen gilt. „Zum einen muss man sehr stark davon überzeugt sein, in einer sehr guten Form zu sein, um seine Leistung abrufen zu können. Gleichzeitig ist eine gewisse Nervosität notwendig – aber auch Gelassenheit“, versucht er zu erklären. Wichtig sei darüber hinaus, einen klaren Rennplan für sich zu haben und auf jede Rennsituation vorbereitet zu sein. „Zum einen musst du dich auf dich selbst fokussieren, aber genauso wichtig ist es, seine Gegner zu kennen und zu wissen, wer da neben einem auf der Bahn steht“, erzählt Reus, der 2015 bei der WM in Peking (China) sowohl über 100 Meter als auch über 200 Meter jeweils mit Usain Bolt (Jamaika) in einem Lauf war.

Was Julian Reus nach seinem Karriere-Ende im Sport am meisten vermissen wird, kann er noch gar nicht sagen. Ebenso wenig, was nun beruflich auf den Bachelorabsolventen im Fach „Internationales Management“ wartet. „Ich habe gewisse Ideen und Vorstellungen. Aber um konkret zu werden, dafür ist es noch zu früh. Und es ist noch zu nah an dem, was in den letzten Wochen passiert ist“, sagt er.

Fest steht hingegen, dass Julian Reus das Geschehen im Sprint weiterhin verfolgen wird und auch der Leichtathletik erhalten bleibt – vorerst vor allem als Mitglied im Präsidium des Thüringer Leichtathletik-Verbandes (TLV). Sorge um den deutschen Sprint macht er sich nach seinem Abschied keine: „Ich sehe es sehr positiv, wir haben eine sehr junge und talentierte Gruppe. Wenn die Jungs weiterhin so gut trainieren wie bisher, werden sie ihren Weg gehen.“ Es könnte einer sein, auf dem auch er selbst große Fußstapfen hinterlassen hat.

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