| Abschied vom Leistungssport

Lucas Jakubczyk: „Ich werde der Leichtathletik treu bleiben“

Als Weitspringer kämpfte Lucas Jakubczyk (SCC Berlin) jahrelang vergeblich um den Durchbruch. 2012 sprintete er völlig überraschend zum deutschen Meistertitel über 100 Meter und war dann über Jahre fester Bestandteil der DLV-Spitze. Der deutsche Rekord über 4x100 Meter, drei EM-Medaillen mit der Staffel, EM-Rang fünf über 100 Meter 2014 sowie zwei Olympia-Teilnahmen sind Eckdaten der Karriere. Am Dienstag bestreitet der 36-Jährige beim Midsommar-Meeting seines Vereins seinen letzten Wettkampf als Leistungssportler. Wir haben mit ihm über diese Entscheidung, seine Erfahrungen und seine Zukunftspläne gesprochen.
Jan-Henner Reitze

Lucas Jakubczyk, Ihre offiziell letzten Sprintrennen stehen heute bevor, wie ist Ihre Gefühlslage? Verfolgt hatten Sie ja ursprünglich das Ziel, Ihre Karriere mit einer dritten Olympiateilnahme zu beenden.

Lucas Jakubczyk:

Als ich mich vor etwa zwei Wochen damit auseinandergesetzt habe aufzuhören, war es sehr emotional. Ich habe Tränen vergossen, auch bei Gedanken an all das, was ich über die Jahre erlebt habe. Als ich meinem engen Kreis von meiner Entscheidung erzählt habe, hat es sich aber richtig angefühlt. Deshalb hat sich schnell Zufriedenheit eingestellt. Ich musste zwar einsehen, dass ich ein Ziel, das ich mir gesetzt habe, nicht erreiche. Auf der anderen Seite ist auch die Anspannung wegfallen, alles dafür zu geben.

Die Gefühlslage ist die eine Seite, wie sieht die sportliche Sachlage aus?

Lucas Jakubczyk:

Nachdem Corona 2020 viele Einschnitte bedeutet hat, war die Ausgangslage für mich nicht schlecht. Obwohl ich nicht mehr im Kader war und im November in Sachen Vereinssport praktisch gar nichts mehr ging, konnte ich alle Trainingsanlagen nutzen. Unter diesen Voraussetzungen bestand die berechtigte Hoffnung, Leistung generieren zu können. Ein Nackenschlag, wie auch für andere Athleten, war dann, dass ich im Winter wegen meines fehlenden Kaderstatus keine Wettkampfsaison bestreiten konnte. Im Trainingslager im April in der Türkei lief es dann wirklich gut. Nach hochintensiven Einheiten hat sich allerdings wieder meine Achillessehne bemerkbar gemacht. Diese Probleme kenne ich schon aus den vergangenen Jahren, leider sind sie nicht mehr vollständig verschwunden. Die ersten Wettkämpfe waren dann ernüchternd. Es fehlte sehr viel, um überhaupt an Tokio denken zu können. Die Rennen haben sich auch fremd und verschwommen angefühlt. Ich hatte keinen Zugriff auf das, was ich von mir im Wettkampf kannte. So sehr man auch hofft, muss man feststellen: Es reicht nicht. Naheliegend war es dann, den Wettkampf heute in Berlin im Mommsenstadion als Schlusspunkt zu wählen.

Mit London 2012 und Rio de Janeiro 2016 haben Sie zweimal Olympische Spiele miterlebt. Waren dies auch Ihre schönsten Karriereerlebnisse, für die sich alle Anstrengungen gelohnt haben?

Lucas Jakubczyk:

Es ist das Ziel schlechthin und ich kann immer sagen: Ich bin Olympionike. Das ist etwas Besonders. London und Rio waren tolle Erlebnisse. Auf der anderen Seite verbinde ich auch gemischte Gefühle damit. Denn es war nicht so, wie ich es mir als Kind und Jugendlicher ausgemalt habe. In London hat die Zeit gefehlt, alles aufzusaugen. Ich war letztlich nur fünf Tage im Olympischen Dorf. Wir waren vorher noch in Kienbaum, haben die Wettkämpfe im Fernsehen verfolgt und sind dann wie zu einem Meeting an- und wieder abgereist. In Rio haben das Zika-Virus und die politische Situation die Stimmung gedrückt. Bei mir ist das südamerikanische Feeling nicht wirklich aufgekommen. Das klingt vielleicht etwas ernüchternd, aber so war meine Wahrnehmung.

Welche anderen Momente bleiben Ihnen besonders in Erinnerung?

Lucas Jakubczyk:

Der Beginn meiner Sprintkarriere. Ich bin 2012 als Nobody in den deutschen Männersprint gekommen, der zu diesem Zeitpunkt von Alphatieren wie Tobias Unger oder Alexander Kosenkow geprägt wurde. Die Rolle des Underdogs hat mir gefallen. Ich habe in dem Jahr auf nationaler Ebene alle meine Rennen gewonnen und mir einen Platz in der Staffel erarbeitet, was nicht leicht war. Im Stadion der absoluten Sprint-Hochburg Wattenscheid den deutschen Meistertitel zu gewinnen, war einer meiner stärksten Momente. Außerdem das Jahr 2014 mit der EM in Zürich. Das war auch ein Meisterwerk meines langjährigen Trainers Rainer Pottel, der sich als Zehnkampf-Trainer immer mehr in den Sprint eingearbeitet hat. Wir haben Trainingsmethodik und Planung immer weiter optimiert. In dem Jahr hat alles gepasst. Vielleicht bis auf die zwei Hundertstel, die in Zürich zur Einzelmedaille über 100 Meter gefehlt haben.

Sie haben es angesprochen, zum Sprint als Spezialdisziplin sind Sie erst im Alter von 27 Jahren gekommen. Gab es vorher nie den Gedanken vom Weitsprung zu wechseln?

Lucas Jakubczyk:

Als ich bei der U20-WM 2004 als Jugendlicher neben dem Weitsprung auch in der Sprintstaffel gestartet bin, hatte ich schon mit Sprint-Bundestrainer Ronald Stein zu tun. Nachdem ich in der Weitsprung-Qualifikation gescheitert war, hat er gemeint, ich sollte doch besser auf den Sprint setzen und es sein lassen mit dem Weitsprung. Ich habe acht Jahre versucht, ihm das Gegenteil zu beweisen, bis sich der Kreis geschlossen hat.

Das war nicht das einzige Mal, dass Sie Ihre sportlichen Pläne umschmeißen mussten. Etwa haben Sie sich 2015 im Training und 2018 im EM-Staffelrennen schwerer verletzt. Wie sind Sie mit solchen Situationen fertig geworden, in denen es nicht so gekommen ist wie erwartet?

Lucas Jakubczyk:

Das geht auf meine Jugend und mein Elternhaus zurück. In meiner Heimat im sächsischen Vogtland waren die Rahmenbedingungen dafür, in der Leichtathletik einmal zu Olympia zu kommen, nicht besonders gut. Nachdem mein älterer Bruder und ich zuerst im Fußball etwas erreichen wollten und dann zur Leichtathletik gekommen sind, hatten wir eine Aschebahn und eine 20x10 Meter große Turnhalle zur Verfügung. Im Winter sind wir auf einer Straße mit unseren Spikes gesprintet, auf der Schnee festgefahren war. Wir haben uns gegenseitig Trainingspläne geschrieben und mit viel Fleiß, Überzeugung und Leidenschaft vorangebracht und waren völlig vernarrt in diese Sache. Das ist in meiner gesamten Karriere so geblieben, selbst wenn es mal so erschien, dass es nicht mehr weiterging. Ich wollte immer Leistungssport machen. Und mein Umfeld hat mich immer unterstützt: Familie, Freundeskreis, Verein, mein langjähriger Trainer Rainer Pottel und Ralph Mouchbahani, der mich seit Herbst 2017 trainiert und noch einmal ganz neue Impulse gesetzt hat.

Neben dem sportlichen Aspekt besteht das Leben als Leistungssportler aus weiteren Faktoren wie Fragen der Finanzierung oder auch der dualen Karriere. Wie haben Sie das alles unter einen Hut bekommen?

Lucas Jakubczyk:

Meine Zufriedenheit habe ich vor allem daraus gezogen, dass ich die Leichtathletik immer mit vollem Herzen betrieben habe. Geld zu verdienen hat erstmal keine Rolle gespielt. Klar hat es dann später geholfen, noch bessere Leistungen zu erreichen, als ich mir weniger Gedanken machen musste, wie der Kühlschrank voll wird. Aber die Möglichkeit, sich etwas für die Zeit nach der Karriere anzusparen, haben nur ganz wenige. Das war mir klar. Ich habe mir eigene Ziele, eigene Grenzen gesetzt, die ich verschieben wollte.

Im deutschen Männersprint ist aktuell eine neue Generation auf dem Vormarsch. Was trauen Sie ihr mit Blick auf die Olympiastaffel und die langfristige Zukunft zu?

Lucas Jakubczyk:

Ehrlicherweise habe ich mit der neuen Generation bisher wenige Berührungspunkte gehabt. Sie sind im Vergleich zu mir und einigen weiteren Athleten meiner Generation eine andere Art Sportler, die früh an den Weg nach oben herangeführt wurden. In den vergangenen zehn Jahren gab es einige junge Hoffnungsträger, die aufgeflammt sind, allerdings nicht zum Dauerbrenner geworden sind. Jetzt erscheint es so, dass sich eine U23-Generation etabliert. Absehbar wird kein älterer Athlet mehr da sein, der ihnen erzählen kann, wie es in Rio oder London war. Sie müssen aus sich selbst wachsen. Ich bin noch sehr stolz darauf, immer noch Bestandteil der deutschen Rekordstaffel zu sein. Mal sehen, wie lange der Rekord noch hält. Die Jungs haben großes Potenzial, die 38 endlich mal zu unterbieten.

Wird es auch aus Berlin bald wieder einen Sprinter in der deutschen Spitze geben, und werden Sie als Trainer eventuell dazu beitragen?

Lucas Jakubczyk:

Wir haben mit James Adebola im Verein einen talentierten Jungen, der viel mitbringt, um schnell laufen zu können. Er ist noch etwas wild. Wenn er dazulernt, kann er in den nächsten Jahren eine Rolle spielen und sich entwickeln. Meinen Einfluss darauf halte ich aber offen. Ich möchte als Trainer weiter im Nachwuchs tätig sein. Also im U16- und U14-Bereich eine gesunde Grundlage für die Kids und den Verein schaffen. Ich habe jetzt 20 Jahre Leistungssport betrieben und bin in den vergangenen zehn Jahren sehr viel bei Wettkämpfen und in Trainingslagern unterwegs gewesen. In diese Trommel möchte ich mich zumindest erstmal nicht wieder begeben und nicht mehr so viel weg von zu Hause sein.

Welche Zukunftspläne haben Sie persönlich noch?

Lucas Jakubczyk:

Der SCC Berlin als Verein spielt eine wichtige Rolle. Es ist schon seit mehreren Jahren klar, dass ich mich nach meiner Karriere stärker einbringen möchte. Seit dem letzten Jahr bin ich schon verstärkt in der Organisation der Leichtathletik-Abteilung eingebunden und ich arbeite etwa an den Trainerstrukturen. Auch bei der Planung und Organisation des Midsommar-Meetings bin ich involviert. Das alles wird in Zukunft ein großer Bestandteil sein. Darüber hinaus möchte ich mich auch in Talentförderung und Diagnostik in anderen Sportarten einbringen. Der Leichtathletik werde ich aber auf jeden Fall treu bleiben. Ich liebe diese Sportart sehr, sonst hätte ich sie auch nicht betrieben bis ich 36 bin.

Vielen Dank für das Gespräch sowie alles Gute für Ihren Abschieds-Wettkampf und die kommende Zeit.

Das Midsommar-Sportfest des SCC Berlin ist ab 16:45 Uhr im Livestream bei sportdeutschland.TV zu sehen.

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