Auftakt nach Maß – eine gerne bemühte Phrase, die im Falle von Lisa Mayer aber voll ins Schwarze trifft. Die Athletin vom Sprintteam Wetzlar hat am Samstag in Mannheim in 11,12 Sekunden gleich im ersten Wettkampf der Saison mit Bestzeit die Olympia-Norm über 100 Meter unterboten. Was ihr als erstes durch den Kopf geschossen ist? Warum sie dennoch nicht nach den Sternen greifen will? Und wie sie nach Jahren geprägt von Verletzungen das Vertrauen in ihren Körper zurückgewonnen hat? Das hat sie uns anschließend im Interview verraten.
Lisa Mayer, Sie haben gerade im ersten Wettkampf der Saison die 100-Meter-Olympia-Norm abgehakt! Wie geht es Ihnen?
Lisa Mayer:
Ich bin total durch. Emotional absolut verrückt. Ich bin im Ziel gefühlt halb zusammengebrochen und es sind direkt die Freudentränen geflossen. Das war so eine unfassbare Erleichterung. Mit dieser Zeit heute zum Saisoneinstieg hätte ich niemals gerechnet. Ich musste auch gerade nach dem Rennen erst einmal eine Runde alleine Spazierengehen, um das überhaupt zu realisieren. Ich glaube, so richtig sacken wird das Alles erst im Laufe des Tages oder morgen.
Diese Leistung hatte sich nicht im Training abgezeichnet?
Lisa Mayer:
Dass sie irgendwo tief in mir schlummert – ja, natürlich, das wusste ich. Deswegen habe ich ja auch nie aufgegeben und weitergemacht. Dass ich schnell rennen kann, wusste ich. Aber heute zum Saisoneinstieg ist das absolut überwältigend.
Hat dann einfach alles perfekt zusammengepasst?
Lisa Mayer:
Ich muss sagen, die 11,30 Sekunden im Vorlauf waren ok, aber noch nicht so richtig zufriedenstellend. Und im Finale habe ich eigentlich gar nicht viel anders gemacht, daher kann ich es mir selbst nicht so richtig erklären. Ich bin einfach offen und mit Freude an die Sache rangegangen, weil ich es noch mal besser machen wollte als im Vorlauf. Der Lauf hat sich definitiv gut angefühlt. Aber als ich dann im Ziel die 11,14 Sekunden gesehen habe, die zunächst aufgeleuchtet sind, war der erste Gedanke: „Das kann doch jetzt nicht wahr sein!“ So gut hat es sich nicht angefühlt (lacht).
Stellt sich in so einem Moment dann auch für einen Leistungssportler mal das Gefühl der Zufriedenheit ein?
Lisa Mayer:
Im jetzigen Moment bin ich rundum zufrieden. Ich glaube, das sollte ich auch sein. Das Allerwichtigste ist für mich, dass der Körper mitspielt und hält, da sind wir auf einem super Weg, das ist alles gerade ganz stabil. Das ist das, was für die nächsten Wochen das Entscheidende ist. Dass ich schnell rennen kann, habe ich ja jetzt gezeigt.
Der Körper hat in Ihrer Karriere längst nicht immer mitgespielt. Sie konnten in den vergangenen Jahren kaum eine Saison beschwerdefrei durchziehen. Haben Sie das Vertrauen in Ihren Körper wieder zurückgewonnen?
Lisa Mayer:
Ich habe schon gemerkt, dass mir der Trainerwechsel [Anm. d. Red: Mitte 2020 von Rüdiger Harksen zu David Corell] und auch die Trainingsumstellung gutgetan haben. Auch wenn es in der Zwischenzeit eine kleine Berg- und Talfahrt war, da ging nicht alles steil bergauf und wir hatten auch Rückschläge zu verkraften. Aber gerade in den letzten Wochen haben wir es doch wieder so gut hingekriegt, dass ich richtig Vertrauen in meinen Körper und mich getankt habe und dass ich mich sehr auf die anstehende Sommersaison freuen kann.
Sie haben im vergangenen Jahr auch noch einmal deutlich mehr Zeit in Yoga-Einheiten investiert. Würden Sie diesen einen Anteil am Erfolg zuschreiben?
Lisa Mayer:
Es trägt bestimmt einen Teil dazu bei. Ob es Yoga morgens ist oder die Entspannungssessions abends: Man kommt einfach zur Ruhe, man beschäftigt sich mit seinem Körper, aber man lernt auch, nicht jedes Ziehen und Zwacken überzuinterpretieren. Und mal den Fokus zu verschieben. Von daher würde ich schon sagen, dass mir das geholfen hat. Generell die Arbeit mit meiner Sportpsychologin ist wichtig, denn nur wenn der Kopf stimmt, kann die Leistung folgen.
Mit einem Saisoneinstieg wie Ihrem gestaltet sich die Ausgangslage für den weiteren Saisonverlauf ja vermutlich doch ein wenig anders als geplant. Wie gehen Sie die weiteren Wettbewerbe an, wo liegt der Fokus?
Lisa Mayer:
Der Fokus ist und bleibt derselbe: Ich will mich für einen Einzelstart über 100 Meter für die Olympischen Spiele qualifizieren und natürlich als Teil der Staffel auf der Bahn stehen. Das ist nach wie vor das Ziel. Es herrscht jetzt erstmal nicht mehr dieser Druck und Stress, der Norm hinterherrennen zu müssen. Ich habe jetzt vorgelegt, aber wir können alle noch bis Ende Juni schnell rennen! Und ich bin mir sicher, dass die Konkurrenz da nicht schlafen wird und auch die anderen Mädels um die Tickets kämpfen werden. Von daher bin ich für den Moment erst einmal super happy, selbst die Norm abgehakt zu haben. Aber: Sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen ist nicht!
Das klingt nach Optimismus gepaart mit viel Demut…
Lisa Mayer:
Ich will nicht zu sehr nach den Sternen greifen. Das habe ich aus der Vergangenheit gelernt: Die Ruhe bewahren, sich über den Moment freuen, das Selbstvertrauen mitnehmen in die kommenden Wochen. Dann kann es vielleicht sogar noch schneller werden! Das wird man sehen. Aber wie gesagt: Da gibt es noch ganz viele andere schnelle Mädels, drei, vier anderen traue ich auf jeden Fall noch die Norm zu. Deswegen wird es bis zur letzten Sekunde ein spannender Fight.
Dranbleiben und Weiterarbeiten ist also die Devise. Ist trotzdem eine kleine Belohnung drin für so ein Rennen?
Lisa Mayer:
Morgen gibt’s Pancakes! Aber die hätte es auch als Frust-Essen gegeben (lacht).