Deutscher U20-Meister. Schnellste deutsche U20-Zeit seit acht Jahren. Platz vier in Europa und weltweit Rang fünf in seiner Altersklasse. Sven Wagner ist bisher wohl nur Leichtathletik-Experten ein Begriff, und doch hat er im Corona-Jahr den Sprung in Europas U20-Spitze geschafft. Der noch 18-Jährige zählt zu den großen deutschen Nachwuchshoffnungen auf der Mittelstrecke – und hat einen Bruder, der schon weiß, wie man eine internationale Medaille holt.
3:42,47 Minuten. Mit dieser Zeit katapultierte sich Sven Wagner Anfang August bei der Pfungstädter Laufgala in die erweiterte Weltspitze seiner Altersklasse über 1.500 Meter. In Deutschland ist seit dem Jahr 2012, als Homiyu Tesfaye (Eintracht Frankfurt) für die Strecke 3:38,56 Minuten benötigte, kein U20-Läufer über diese Distanz schneller unterwegs gewesen.
Doch für den U20-Nachwuchsathleten war das nach dem Zieleinlauf erst einmal zweitranging: „Das war für mich in diesem Moment nicht wichtig. Für mich war das Wichtigste, dass ich mein Ziel geschafft und meine Leistung abgerufen hatte. Es ging nicht darum, in den Statistiken oben zu sein, sondern mit mir selbst zufrieden zu sein.“
Mit sich selbst zufrieden sein, das konnte er. Denn vor allem hatte er sein großes Ziel erreicht und die Perspektivkader-Norm von 3:44,00 Minuten geknackt. „So bin ich auch an den Lauf rangegangen. Ich stand an der Startlinie und dachte mir: Jetzt kommt es drauf an, jetzt muss ich abliefern. Ich war ungeheuerlich aufgeregt.“
Pfungstadt als gutes Pflaster
Doch schlussendlich lief alles nach Plan. „Der Lauf hat sich durch das Adrenalin ziemlich einfach angefühlt und ich habe mich super gefühlt. Als ich am Ende gesehen habe, dass ich die Norm unterboten habe, war ich überglücklich und unfassbar zufrieden.“
Dabei scheint Pfungstadt für Sven Wagner generell ein gutes Pflaster zu sein. Bereits 2017 und 2019 stellte er dort neue persönliche Bestzeiten über 1.500 Meter auf. Neben der geografischen Nähe zu seinem Heimatort Mainz – gerade einmal knapp 45 Kilometer liegen zwischen den beiden Städten – ist es die gute Stimmung am Streckenrand, die den 19-Jährigen in Pfungstadt regelmäßig zu Höchstleistungen treibt. „Es herrscht dort eine sehr schöne Atmosphäre. Ein kleiner Sportplatz eigentlich, aber die Leute stehen am Rand und feuern einen lautstark an.“
Wenngleich Sven Wagner mit seiner Leistung in diesem Jahr in der U20 sogar auf Rang fünf der Welt rangiert, gibt er sich bescheiden: „Die Konkurrenz ist nicht so einfach mit den Vorjahren zu vergleichen, in denen Corona noch nicht ausgebrochen war. Viele Sportler konnten ihre Trainingsstätten nur eingeschränkt nutzen. Ich hatte dieses Jahr dagegen den großen Vorteil, dass ich am HLV-Leistungszentrum nahezu uneingeschränkt trainieren konnte.“
Erste Profi-Luft in Braunschweig
Neben der Laufgala in Pfungstadt hielt die Wettkampf-Saison 2020 für Sven Wagner, dessen großes Vorbild die Ingebrigtsen-Familie ist, weitere Höhepunkte bereit. Im August nahm er zum ersten Mal an den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig teil und bewies dabei, dass er bereits in jungen Jahren mit der nationalen Konkurrenz der Aktiven mithalten kann. Er belegte den achten Platz, war damit aber zunächst nicht zufrieden. „Ich kam ins Ziel und war fast schon ein bisschen traurig, dass es in Anführungsstrichen nur der achte Rang war.“
Mit etwas Abstand ordnet er seine Leistung mittlerweile realistischer ein. „Man darf nicht vergessen, dass es meine erste DM bei den Herren war. Das ist eine andere Konkurrenz und eine andere Rennerfahrung. Am Ende bin ich mit meiner Platzierung sehr zufrieden.“ Doch der junge Mittelstreckler schaut bereits in die Zukunft: „Für die nächsten Jahre ist es das Ziel, sich die Plätze weiter oben rauszusuchen. Mal sehen, ob das klappt“, erzählt er und kann sich ein Grinsen dabei nicht verkneifen.
Sportliche Familie mit U18-Europameister im Zehnkampf
Wie es sich anfühlt, ganz oben auf dem Siegertreppchen zu stehen, weiß Sven Wagner bereits aus den vergangenen zwei Jahren. 2019 triumphierte er bei der U20-DM in Ulm, in diesem Jahr konnte er den Titel in Heilbronn souverän verteidigen. Dass es so weit kommen konnte und der Nachwuchs-Athlet den Weg in die Leichtathletik gefunden hat, ist kein Zufall. Mutter Bettina lief in ihrer aktiven Zeit die 400 Meter in 53,19 Sekunden. Bruder Manuel krönte sich 2016 gar zum U18-Europameister im Zehnkampf. „Es war für mich klar, dass ich auch international starten und Erfolge sammeln möchte.“
Ein Grund für die starke Saison von Sven Wagner liegt unter anderem auch an einem Mehr an absolvierten Trainingseinheiten. Da er bereits im März sein Abitur ablegte und in den anschließenden Monaten viel Freizeit hatte, konnte er so viel trainieren wie in keinem Jahr zuvor. „Ich konnte den Fokus voll auf das Training richten“.
Sportliches Umfeld als Grundlage für den Erfolg
Eine weitere Zutat im Erfolgsrezept von Sven Wagner, der in seiner Freizeit gerne Klavier und Saxophon spielt, besteht aus seinem soliden sportlichen Umfeld. Seit 2018 wird er vom Cheftrainer Lauf des Hessischen Leichtathletik-Verbandes Benjamin Stalf trainiert. Seitdem zeigt die Leistungskurve des Studenten deutlich nach oben. Bereits im ersten Jahr steigerte er seine Bestzeit um 15 Sekunden. „Wie durch Zauberhand schafft er es, dass wir alle fast immer auf den Punkt fit sind. Diese Zusammenarbeit genieße ich sehr.“
Wir, das ist die starke Trainingsgruppe um den Deutschen U18-Meister über 1.500 Meter Christoph Schrick (ASC Darmstadt) und den zweifachen Deutschen U18-Meister aus dem Jahr 2019 Max Grabosch (2.000 m Hindernis und 3.000 m; Königsteiner LV). „Ohne diese Unterstützung wäre es nicht möglich auf diesem Level zu laufen. Die Trainingsgruppe hat ein sehr hohes Niveau und das braucht man, um durch die harten Trainingseinheiten zu gehen.“
Mit dem Königsteiner LV in die neue Saison
Diese harten Trainingssessions sollen sich auch im kommenden Jahr auszahlen, wenn Sven Wagner den nächsten Schritt in seiner noch jungen Karriere gehen möchte. „Auf jeden Fall möchte ich schneller laufen, vielleicht schaffe ich es 3:40 Minuten anzugreifen. Vielleicht klappt es sogar mit einer Zeit unter 3:40 Minuten. Das muss man abwarten.“
Vor allem wird die neue Saison für Sven Wagner auch mit einigen Veränderungen einhergehen. Seit wenigen Wochen studiert er an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main Psychologie, wovon er möglicherweise schon bald in der Praxis profitieren kann. „In Wettkämpfen geht es darum, wie man mit den Drucksituationen umgeht. In solchen Momenten kann man sich nicht mehr verstecken, sondern muss sein wahres Ich zeigen.“ Aufgrund seines Umzugs in die Finanzmetropole entschied er sich zudem dazu, nicht mehr für den USC Mainz, sondern mit dem Königsteiner LV künftig für einen hessischen Verein zu starten.
Neben dem generellen Ziel schneller laufen zu wollen, stehen für Sven Wagner im neuen Trikot 2021 vor allem zwei Veranstaltungen im Fokus. International peilt er die Teilnahme an der U23-EM in Bergen (Norwegen) an, national möchte er bei der U23-DM in Koblenz im Kampf um die Medaillen mitmischen. Doch perspektivisch sind es die großen Ziele, die den Studenten reizen. „Das Langzeitziel ist auf jeden Fall, sich irgendwann für Olympia zu qualifizieren. Das ist ein großer Traum“. Nach der Saison 2020 gibt es nicht wenige, die Sven Wagner genau das zutrauen.