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Julian Weber: Im neuen Umfeld Vollgas Richtung 90 Meter

Auch ohne einen einzigen Wettkampf war bei Speerwerfer Julian Weber richtig was los im Corona-Jahr 2020: Die Dritte Fuß-OP, Wochen der Reha, ein Wohnort- und ein Trainerwechsel liegen hinter dem 26-Jährigen. In Potsdam schuftet er jetzt für die ersten 90-Meter-Würfe – und einen der drei umkämpften deutschen Olympia-Startplätze für Tokio. An seiner Seite: einer seiner größten Konkurrenten.
Silke Bernhart

Am Ende gab wohl vor allem die Sehnsucht den Ausschlag: Nach der Freundin in Berlin, nach einem Alltag ohne Pendelei, nach einem Rundum-Wohlfühlpaket – und vielleicht auch nach einem Trainingspartner auf Augenhöhe, der nach denselben Zielen strebt.

All das scheint Julian Weber jetzt gefunden zu haben: Ende August bezog der Speerwerfer vom USC Mainz mit seiner Freundin eine Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg. In der Nähe: das Sportforum Hohenschönhausen mit bester Betreuung für Leistungssportler. Und vor den Toren Berlins in Potsdam trainiert er seit einigen Wochen in der Gruppe von Burkard Looks gemeinsam mit U23-Europameisterin Annika Fuchs und 89-Meter-Werfer Bernhard Seifert.

„Mir geht es sehr gut“, sagt Julian Weber, „Berlin ist eine tolle Stadt, ich habe hier alle Möglichkeiten und auch schon einige Freunde.“ Die neue Trainingsgruppe habe ihn gut aufgenommen, er kenne alle schon länger, „da herrscht eine richtig gute Stimmung“.

Abschied im Guten

Der Neuanfang ist zugleich ein Abschied, denn zuletzt hatte Julian Weber zwei Jahre bei Frauen-Bundestrainer Mark Frank in Rostock trainiert. Unzufrieden war er dort nicht, im Gegenteil: „Ich war in Rostock richtig gut aufgehoben. Aber ich wollte meinen Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegen. Mark hat das sehr gut aufgenommen und mich dabei dann auch unterstützt, dafür bin ich ihm sehr dankbar.“

Was er mitnimmt, ist der gemeinsame Erfolg eines sechsten Platzes bei der WM 2019 in Doha (Katar), der deutsche Vizemeistertitel zwei Monate zuvor in Berlin und eine verbesserte Technik: „Da bin ich richtig weitergekommen, Mark ist ein ganz feiner Techniker.“

„Schwierige Zeit bestmöglich genutzt“

Die Technik war in der Karriere von Julian Weber so oft der entscheidende Faktor – denn mit der extremen Wurfgewalt des 26-Jährigen konnte die lange nicht mithalten. Die Folge: zahlreiche Verletzungen. Ein gebrochener Daumen, eine Meniskusverletzung, eine Ellbogen-Verletzung, ein Bandscheibenvorfall und zuletzt drei Operationen an seinem Fuß am linken Stemmbein sprechen eine Sprache für sich. Doch damit soll jetzt Schluss sein.

Julian Weber hat mit der letzten Operation noch einmal aufräumen lassen im lädierten Fuß, es folgte für den Sportsoldaten die Reha im sportmedizinischen Zentrum der Bundeswehr in Warendorf. „Tokio wäre schwer geworden für mich. So konnte ich die schwierige Zeit bestmöglich nutzen. Ich bin sehr froh, dass ich dafür auch die notwendige Unterstützung erhalten habe.“

Unter anderem von den Förderern in Rheinland-Pfalz und seinem langjährigen Verein, dem USC Mainz, mit dem er nach wie vor eng verbunden ist und dessen Trikot er auch nach dem Standortwechsel tragen will. Sein erster Trainer Stephan Kallenberg hatte Weber im Alter von 17 Jahren vom Handball zum Speerwurf geholt und in die Weltspitze geführt. Nach wie vor ist der Wahl-Berliner regelmäßig in der Heimat zu Besuch und lässt auch dort im Training immer mal wieder die Speere fliegen.

90 Meter „schon lange auf meinem Zettel“

In Potsdam ist der WM-Sechste mittlerweile wieder im ganz normalen Aufbautraining gemeinsam mit seiner neuen Trainingsgruppe, kann die Sprints und Läufe schon wieder mitmachen und auch lockere Würfe in den Himmel schicken. „Ich bin echt guter Dinge und kann jetzt wieder Vollgas geben“, sagt Julian Weber.

So rücken wieder sportliche Ziele in den Vordergrund. Die 90-Meter-Marke zum Beispiel, die dabei jedoch für den Werfer mit einer vier Jahre alten Bestmarke von 88,29 Metern nur eine Zwischenstation sein soll. „Die habe ich schon lange auf meinem Zettel, ohne die Probleme hätte ich die Weite drin gehabt, wenn nicht sogar noch mehr.“

Das klingt nach einer Kampfansage unter anderem in Richtung des Weltmeisters von 2017 Johannes Vetter (LG Offenburg), der in diesem Jahr mit einer 90-Meter-Siegesserie und 97,76 Meter für Staunen und Bewunderung gesorgt hat – auch bei Julian Weber. „Da habe ich natürlich mitgefiebert, das war schon Wahnsinn, sowas wirft man nicht alle Tage.“

Die Herausforderer machen gemeinsame Sache

Johannes Vetter, Olympiasieger Thomas Röhler (LC Jena) und Vize-Europameister Andreas Hofmann (MTG Mannheim): Diese drei aktiven deutschen Speerwerfer haben die 90 Meter bereits überboten. Bernhard Seifert und Julian Weber haben daran gekratzt. Alle fünf fanden sich 2019 in den Top Elf der Welt wieder, doch es gibt nur drei deutsche Olympia-Startplätze. Jetzt machen die beiden Herausforderer gemeinsame Sache.

Die Chemie zwischen den neuen Trainingspartnern stimmt, das wurde schon im Vorjahr deutlich, als Bernhard Seifert aufgrund von Formschwäche seinen WM-Startplatz an Julian Weber abtrat. Zurzeit gibt Seifert den Takt vor: „Das Aufbautraining ist ziemlich hart, da muss ich mitziehen, die sind schon echt fit“, bilanziert Weber nach den ersten Wochen in der Potsdamer Gruppe. „Ich hoffe, wir können uns gegenseitig pushen! Zu ärgerlich, dass zwei der besten Speerwerfer der Welt nächstes Jahr zuhause bleiben müssen!“ Julian Weber gibt alles dafür, dass er nicht dazu zählt.

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