Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig haben einige neue Gesichter den Platz ganz oben auf dem Treppchen erobert. Einige nutzten die Abwesenheit von nationalen Leistungsträgern der vergangenen Jahre, um ins Rampenlicht zu treten. Andere ließen etablierte Athleten hinter sich und stehen für einen Generationswechsel. Wir erzählen ihre Geschichten, heute die von 400-Meter-Sprinterin Corinna Schwab (LG Telis Finanz Regensburg).
Corinna Schwab
LG Telis Finanz Regensburg
Bestleistungen:
200 Meter: 23,55 sec (2018); Halle: 23,39 sec (2020)
400 Meter: 53,09 sec (2017); Halle: 52,65 sec (2020)
Erfolge:
U20-Weltmeisterin 2018 (4x100 Meter)
Silber U20-EM 2017 (4x400 Meter)
Bronze U23-EM 2019 (4x400 Meter)
Vierte U20-EM 2017 (400 Meter)
Fünfte U20-WM 2018 (4x400 Meter)
Sechste U20-WM 2018 (200 Meter)
Deutsche Hallenmeisterin 2020
Gerade einmal 20 Jahre alt und schon einen kompletten Staffel-Medaillensatz bei internationalen Nachwuchsmeisterschaften, dazu internationale Finalteilnahmen in der U20 im Einzel. Schon allein diese lange Liste an Top-Platzierungen steht für den unbändigen Erfolgshunger von Corinna Schwab. Die 400 Meter sind für sie die perfekte Strecke, auf der sie ihren Willen an seine Grenzen treiben kann.
Schaut man auf ihre gesamte Wintersaison 2019 zurück und unterhält sich mit der jungen Athletin darüber, erscheint einem ihr erster Titel auf nationaler Ebene bei der Hallen-DM in Leipzig alles andere als überraschend, sondern irgendwie logisch. Denn Talent und Zielstrebigkeit, ein nochmals professionalisierteres Umfeld sowie eine verletzungsfreie Vorbereitung sind aufeinandergetroffen. Resultat: Gold und Bestzeit (52,65 sec).
Siegeswillen kommt von Innen
Gewinnen – dafür war Corinna Schwab seit ihrer Kindheit bereit, etwas mehr zu geben als andere. Als die in Schwandorf in Bayern gebürtige Athletin im Alter von acht Jahren erstmals beim TV Amberg zum Leichtathletik-Training ging, traf dieser Wille vor allem auf ältere Mitstreiter in ihrer Trainingsgruppe. Als hätte er nur darauf gewartet, war ihr Ehrgeiz entfacht. „Ich wollte immer mehr und immer öfter trainieren, um mit ihnen mitzuhalten. So ist der Leistungsgedanke entstanden.“
Die Einstellung blieb bis heute – die Meisterschaften wurden schnell größer. Von Landes- ging es über die nationale Ebene direkt ins Nationaltrikot. Schon im Alter von 15 Jahren gewann die heutige Leistungssportlerin den deutschen U16-Titel über 300 Meter Hürden, gehörte in ihrer Altersklasse aber auch in den Sprintdisziplinen immer zu den Besten. Mit der Teilnahme an der U18-WM in Cali (Kolumbien) über 400 Meter Hürden folgte nur ein Jahr später eine prägende Erfahrung.
Schon das einwöchige Vorbereitungs-Trainingslager in Florida (USA) war ein großes Erlebnis, dazu lernte die Jugendliche mit Kolumbien ein Land kennen, in das wenige 16-Jährige aus Deutschland reisen. „Diese Eindrücke waren extrem wertvoll“, erzählt Corinna Schwab, die obendrauf auch noch lernen musste, mit einem sportlichen Rückschlag klar zu kommen, denn im Vorlauf stürzte sie an der neunten Hürde und vergab damit ihre Finalchance. Aufgeben kam ihr aber auch in diesem Moment nicht in den Sinn, sie rappelte sich auf und lief das Rennen in 64,29 Sekunden zu Ende. Das Fazit der Reise: Ich will mehr.
Erfolgreiche U20-Jahre
Und wenn sich Corinna Schwab etwas vornimmt, setzt sie alles ein, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. So begann sie weiter Titel und Medaillen bei nationalen Nachwuchs-Meisterschaften zu sammeln, dies gelang ihr auch international in den DLV-Staffeln. Was für eine herausragende Wettkämpferin da den Weg in die Leichtathletik gefunden hat, verraten ihre Bestzeiten aus der Altersklasse U20. Damit sind nicht nur die starken Zeiten selbst gemeint (200 Meter: 23,55 sec; 400 Meter: 53,09 sec), sondern vor allem, wo sie gestoppt wurden: Im Finale der U20-WM in Tampere (Finnland) 2018 und im Finale der U20-EM in Grosseto (Italien) 2017. Wer in solchen Momenten seine beste Leistung abruft, der ist definitiv richtig in solchen Rennen.
Gundy und Lutz Glaser haben die aufstrebende Sprinterin beim TV Amberg von Kindesbeinen an begleitet, gefördert und geformt, 13 Jahre lang. „Sie haben die sportlichen Grundlagen für meine heutige Leistung gelegt und mich auch menschlich geprägt. Sie haben mir Werte mitgegeben, auf die ich heute bauen kann“, erzählt Corinna Schwab.
Und das überaus erfolgreiche Jahr 2018 hielt für sie nach der U20-WM mit dem ersten Einsatz in der A-Nationalmannschaft ein weiteres Highlight bereit: Bei der Heim-EM in Berlin stand sie im Vorlauf in der 4x400-Meter-Staffel. Nach erfolgreichem Abitur lief zu diesem Zeitpunkt außerdem gerade die Zukunftsplanung. Gesucht war ein neuer, noch professioneller Trainingsstandort, der sich auch mit einem Studium verbinden ließ.
Neue Trainingsgruppe in Chemnitz
Während der EM in Berlin lernte Corinna Schwab den DLV-Bundestrainer Jörg Möckel aus Chemnitz näher kennen. Die Uni dort bot wegen einer Kooperation mit dem Olympiastützpunkt auch ein auf den Sport abgestimmtes Studium in Wirtschaftswissenschaften. Ausschlaggebend für die Auswahl des neuen Trainers war aber, dass die Athletin von der Philosophie von Jörg Möckel überzeugt war.
„Ich habe gespürt: Das passt. Er sieht etwas in mir und hat etwas mit mir vor. Den Plan wollte ich mitgehen.“ Dazu wurde die Gruppe mit Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) von einer erfahrenen Athletin angeführt, mit Marvin Schlegel (LAC Erdgas Chemnitz) zählte ein Athlet der deutschen 400-Meter-Spitze der Männer ebenfalls dazu. Neben dem Trainerwechsel erfolgte auch der erste Vereinswechsel der Karriere zur LG Telis Finanz Regensburg und damit ebenfalls in ein noch professionelleres Umfeld.
Sofort Rückhalt gefragt
Die Ankunft in der neuen sportlichen Heimat wurde aber zum Fehlstart. In einer der ersten Einheiten in ihrer neuen Gruppe knickte Corinna Schwab um und brach sich den Fuß. Anstatt sich gegenseitig und die Auswirkung des neuen Trainings kennenzulernen, war gleich emotionale Unterstützung nötig.
So unglücklich diese Verletzung auch war, sie zeigte doch auch gleich, dass der Neuzugang mit dem Wechsel die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Die ganze Gruppe hat mich aufgefangen“, erinnert sich die Langsprinterin. „Auch meine Familie und meine Eltern haben in dieser Zeit besonders an mich geglaubt und mir durch diese Zeit geholfen.“
2019 ohne Konstanz
Der Fußbruch heilte ohne Komplikationen aus, so dass 2019 einer Wettkampfsaison nichts im Wege stand. Die brachte allerdings weder Fisch noch Fleisch. Auf der Habenseite stand unter anderem eine 100-Meter-Bestzeit (11,65 sec) und Staffel-Bronze bei der U23-EM, dagegen war etwa bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin schon im Vorlauf Endstation.
Durch die Verletzung fehlte die nötige Grundlage. „Natürlich musste sich auch der Körper auf das neue System einstellen und ich habe angefangen nachzudenken“, blickt die Studentin zurück. „Dennoch war es die richtige Entscheidung, die Saison durchzuziehen. So konnten wir einige Erkenntnisse mit in den neuen Aufbau nehmen.“
Wintervorbereitung bringt nächste Leistungsstufe
Dieser wurde zum vollen Erfolg. Ob im Kraftbereich, in der Sprintausdauer, Schnelligkeit oder Beschleunigung, überall gelangen in der Wintervorbereitung Steigerungen, was sich auch im Wettkampf auf allen Strecken widerspiegelte. Die 60-Meter-Bestzeit ging runter von 7,53 Sekunden auf 7,39 Sekunden, auch im einzigen 200-Meter-Rennen des Winter stand mit 23,39 Sekunden eine Steigerung auf der Uhr, und über 400 Meter ist vor allem eine große Konstanz erreicht, mit dem Leistungshöhepunkt beim Sieg bei der Hallen-DM und der ersten Zeit unter 53 Sekunden.
Im zurückliegenden Winter sieht Corinna Schwab allerdings auch eine Zwischenstation: „Es sollen nicht die letzten schnellen Zeiten gewesen sein.“ Sie möchte den eingeschlagenen Weg konsequent weiter gehen. Langfristiges Ziel ist es, „wieder zu zeigen, dass wir Deutschen über 400 Meter schnell rennen können“. Das heißt auch, international im Einzel wieder konkurrenzfähig zu sein.
Bereit, wenn wieder ein Startschuss fällt
Grundsätzlich hat sich für Corinna Schwab nichts geändert, seitdem sie in ihren ersten Jahren in der Leichtathletik den Älteren in ihrer Trainingsgruppe in Amberg nachgejagt ist. Jetzt sind es allen voran Rebekka Haase und Marvin Schlegel, die jeden Tag ihren Siegeswillen aufs Neue herausfordern. Dank einer Sondergenehmigung darf die Gruppe mittlerweile immerhin trotz Corona-Krise unter Auflagen wieder in ihre Trainingshalle. Von Alltag kann allerdings noch lange nicht wieder die Rede sein.
Darin, dass Olympia in Tokio erst 2021 kommt, sieht die Deutsche Hallenmeisterin auch etwas Positives. „Wir haben jetzt ein Jahr mehr Zeit, besser zu werden.“ Und auch mit Blick auf die Unsicherheit, wann wieder Wettkämpfe anstehen, bleibt sie gelassen. „Wenn es losgeht, sind wir bereit und stehen fit an der Startlinie.“
Video-Interview: Corinna Schwab: "Ich wusste, was ich kann"
Video: Corinna Schwab krönt ersten deutschen Meistertitel mit Bestzeit
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Bei der konsequenten und verletzungsfreien Vorbereitung, die Corinna seit dem vergangenen August gemacht hat, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzt. Toll, dass es schon in der Hallensaison geklappt hat. Corinna war durch ihren Sommer 2019 sehr verunsichert. Da hatte sie mal ein gutes, mal ein schlechtes Rennen und noch nicht die optimale Renneinteilung gefunden. Durch das erfolgreiche Grundlagentraining und die Rennen in diesem Winter hat sie so viel Selbstvertrauen gesammelt, dass sie bei der Hallen-DM dieses dominierende Rennen zeigen konnte.
Corinna hat sich das hart erarbeitet. 52,6 in der Halle ist ein Niveau, das wir nicht so oft haben. Es ist ein guter Ausgangspunkt. Seit ihrem Wechsel zu Jörg Möckel arbeitet Corinna strukturiert an ihren Defiziten und der Schnelligkeitsausdauer. Vorher war sie auch noch viel im Kurzsprint unterwegs, wo man dann Ausflüge auf die 400 Meter machen kann. Um eine komplette Saison über diese Strecke durchzustehen, muss man sich aber eine andere Basis erarbeiten. Corinna ist ein ruhiger Typ, kann im richtigen Moment aber zuschlagen.