| Interview zum Karriereende

Mareen Kalis: "Es hat mich angespornt, mit der Mittelstrecken-Spitze zu trainieren"

Im Alter von neun Jahren hat Mareen Kalis ihren ersten 800-Meter-Lauf absolviert, im Alter von 22 Jahren hat die Mittelstrecklerin am vergangenen Wochenende bei der Hallen-DM in Leipzig ihr letztes Rennen (Rang vier) bestritten. Im Fokus soll fortan ihr Humanmedizin-Studium stehen. Im Jugend- und Junioren-Bereich gewann sie sieben deutsche Meistertitel im Einzel sowie drei weitere mit der 3x800-Meter-Staffel der LG Stadtwerke München. Bei vier internationalen Nachwuchsmeisterschaften war sie am Start, ihr größter Erfolg: Bronze bei den Olympischen Jugendspielen 2014. Im Interview blickt die Läuferin auf Ihre Karriere zurück und erklärt, warum ihr für 2020 ein sportliches Ziel gefehlt hat.
pm / pam

Mareen Kalis, Ihre Entscheidung zu einem Karriereende mit 22 Jahren kommt für die meisten überraschend. Wann ist Ihr Entschluss gereift, die Spikes an den Nagel zu hängen?

Mareen Kalis:

Ich habe mir während meiner Karriere immer wieder Punkte gesetzt, an denen ich überlegt habe, ob ich den Leistungssport weiterverfolgen möchte und mich letztendlich jedes Mal aktiv dafür entschieden. Nach dem Abitur wollte ich den Leistungssport zunächst in München bis zum Physikum weiterverfolgen. Nach dem Physikum habe ich mir in jeder Saisonpause neue Ziele für das kommende Jahr gesetzt. Nach der letzten Saison war das anders. Ich habe zwar im Oktober wieder angefangen zu trainieren, allerdings ohne Ziel für die kommende Saison.

Warum konnten Sie diesmal nicht einfach ein neues Ziel setzen?

Mareen Kalis:

Die letzten Jahre habe ich meine persönlich gesteckten Ziele nicht erreicht. Das wollte ich dieses Jahr nicht wiederholen. Das Grundlagentraining hier in München macht mir viel Spaß, aber im Trainingslager in Monte Gordo habe ich gemerkt, dass ich ein Ziel bräuchte, um das Training konzentriert und motiviert durchzuziehen. Gleichzeitig habe ich realisiert, dass ich mir kein realistisches Ziel für den Sommer setzen kann, das mich anspornt und fordert. Deswegen habe ich Anfang Januar dann den Entschluss gefasst, mit einer kurzen Hallensaison meine Karriere zu beenden.

Aber Sie würden auch im Jahr 2020 wieder zu den Medaillenanwärterinnen bei Deutschen Meisterschaften zählen...

Mareen Kalis:

Für mich macht Leistungssport keinen Sinn, wenn ich nicht alles dafür gebe, schneller zu werden und mich weiterzuentwickeln. Ich bin die letzten Jahre relativ konstant auf einem hohen Niveau gelaufen, aber eben doch ein Stück von der internationalen Spitze und der nationalen Sportförderung entfernt. Ich denke, dass ich von einer weiteren Sommersaison nicht mehr profitieren werde, weil ich realistischerweise nicht mit einem Leistungssprung in Richtung EM-Norm [Anm. d. Red: 2:01,50 min] rechne. Ich habe viele andere Interessen und mein schon fortgeschrittenes Medizinstudium die letzten Jahre immer untergeordnet. Dort sehe ich viel Entwicklungspotenzial und möchte gerne mehr Zeit investieren.

Ihre Trainingspartnerin Christina Hering ist bereits für die Olympischen Spiele in diesem Jahr qualifiziert. Katharina Trost wird alles unternehmen, um ebenfalls nach Tokio zu fahren. Hat es Auswirkungen auf Ihre Entscheidung gehabt, dass Sie sich im Training tagtäglich mit der aktuellen deutschen Mittelstrecken-Spitze messen mussten?

Mareen Kalis:

Im Gegenteil. Es hat mich eher angespornt, da ich jeden Tag erleben konnte, wie man trainiert, wenn man unter zwei Minuten laufen kann. Nachdem ich nun über vier Jahre weitestgehend unverletzt mittrainieren konnte, kann ich für mich gut akzeptieren, dass ich vielleicht nicht die Voraussetzungen mitbringe, auch diese Leistungsklasse zu erreichen.

Sie haben auch viele Erfolge gemeinsam gefeiert. Unter anderem haben Sie die 3x800-Meter-Staffeln in den letzten Jahren dominiert und 2016 sogar eine neue DLV-Bestleistung bei den Juniorinnen aufgestellt. Bei den Deutschen Meisterschaften 2019 im Berliner Olympiastadion haben Sie das gesamte Podest eingenommen. Was hat Sie so stark gemacht?

Mareen Kalis:

Sehr großen Anteil an diesen Erfolgen haben auf jeden Fall unsere Trainer [Anm. d. Red.: Andreas Knauer, Daniel Stoll und Jonas Zimmermann]. Wir trainieren sehr vielseitig, abwechslungsreich und auch die Variabilität der Trainingsintensität ist zwischen den Einheiten hoch. Ich bin keine Trainingsexpertin, aber ich glaube, dass dies ein großer Faktor dafür ist, dass wir selten Verletzungsprobleme haben und außerdem überwiegend gerne ins Training gehen. Außerdem haben wir in der Gruppe eine sehr gute Balance zwischen Fokus und Konzentration einerseits sowie Gelassenheit und Freude andererseits.

Wie hat die Gruppe, zu der ja seit einiger Zeit auch Jana Reinert gehört, Ihre Entscheidung aufgenommen?

Mareen Kalis:

Meine Entscheidung ist für alle sehr gut nachvollziehbar, aber ich werde wohl auch etwas vermisst werden. Unter Umständen könnte Kathis Wettkampfleistung unter der fehlenden Frisuren-Verantwortlichen leiden (lacht).

Was bleibt Ihnen aus all den Jahren im Leistungssport erhalten?

Mareen Kalis:

Ich bin ja quasi komplett im Leistungssportumfeld aufgewachsen, das hat mich sehr geprägt. Ich hoffe, dass ich einen starken Willen, Flexibilität, Ehrgeiz und Disziplin in einem gesunden Maße mitnehme und auch in andere Bereiche einbringe. Meine Sportlerinnen-Mentalität hat mir sehr geholfen, gelassen und erfolgreich meinen Weg – auch abseits des Sports – zu gehen. Außerdem hoffe ich, dass ich noch länger von meiner körperlichen Fitness profitiere und vor allem keine Verschleißerscheinungen mitnehme.

Und welche Momente in Ihrer Karriere waren es wert, Woche für Woche sieben bis neun Einheiten zu trainieren und in den Trainingslagern sogar bis zu drei Mal täglich?

Mareen Kalis:

Ich fand es immer am schönsten, wenn man es geschafft hat, sich im Wettkampf selbst zu überraschen. Da ich mir meistens sehr hohe Ziele gesteckt habe, war ich oft – auch nach dem Gewinn von Medaillen – zuerst enttäuscht. Meinen schönsten Überraschungserfolg hatte ich bei der DM in Nürnberg, wo ich mit neuer Bestzeit [Anm. de. Red.: 2:03,53 min] die Bronzemedaille gewinnen konnte, obwohl ich im Frühjahr mein Staatsexamen geschrieben hatte, nicht im Trainingslager war und die Wettkämpfe vorher deutlich langsamer gelaufen bin.

Ab Montag stehen Sie nun ohne Trainingsplan da. Was haben Sie in den nächsten Wochen vor?

Mareen Kalis:

Ich fahre mit meiner Mutter ein paar Tage in die Berge. Bevor ich dann ab Mitte März einen Monat Famulatur in der Frauenklinik in Paderborn mache, plane ich noch einen kleinen Roadtrip vermutlich nach Frankreich zum Windsurfen.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024