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Simon Bayer – Individuell, IT-begeistert und hungrig auf nächste Steigerung

Gleich 13 Athleten haben bei den Deutschen Meisterschaften im Sommer den ersten nationalen Titel ihrer Karriere gefeiert. Unter ihnen sind einige neue Gesichter und andere, die schon länger zur DLV-Spitze zählen. leichtathletik.de erzählt, wie sie es ganz nach oben aufs Podest im Berliner Olympiastadion geschafft haben: Heute geht es um Kugelstoßer Simon Bayer (VfL Sindelfingen).
Jan-Henner Reitze

Simon Bayer
VfL Sindelfingen

Bestleistung:

Kugelstoßen: 20,26 Meter (2019)

Erfolge:

Fünfter U23-EM 2017
Deutscher Meister 2019

In früheren Phasen seiner Karriere brauchte er jemanden, der ihn zum Training treibt, heute muss sich Simon Bayer bremsen. Ohne Bewegung kann er einfach nicht – auf der anderen Seite interessiert sich der Kugelstoßer auch leidenschaftlich für IT-Sicherheit und sitzt gerne am Computer. Vehement kann er für seine Sicht auf die Welt streiten, gleichzeitig respektiert der 23-Jährige jeden, der einen anderen Weg geht. Der neue Deutsche Meister ist ein Typ der Gegensätze, der sich von Grenzen nicht aufhalten lässt.

Seit knapp einem Jahr arbeitet der Drehstoßer nach dem Motto „von den Besten lernen“ mit dem früheren US-Athleten Ryan Whiting als Trainer zusammen, der eine Bestleistung von 22,28 Metern hat und in den Jahren 2012 und 2014 Hallenweltmeister war. Über seine Homepage bietet der Olympiafinalist von 2012, der im vergangenen Jahr noch 21 Meter weit stieß, weltweit Coaching und Beratung an. Übers Netz nahm auch Simon Bayer Kontakt auf. Im Mai reiste der USA-Fan für zweieinhalb Wochen zum Training nach Phoenix im Bundesstaat Arizona, wovon „ich sehr profitiert habe“.

In den USA geboren, erste Trainingseinheiten in Kienberg

Erleichtert hat die Reise, dass Simon Bayer für die USA kein Visum benötigt, denn er besitzt neben der deutschen auch die US-Staatsbürgerschaft. Der heutige Sindelfinger wurde in den USA geboren, weil sich sein Vater Helmut samt Familie damals aus beruflichen Gründen dort aufhielt.

Sein Vater, ehemaliger Speer- und Hammerwerfer, war es auch, der seinen Sohn nach der Rückkehr nach Deutschland in Kienberg in Bayern zur Leichtathletik brachte. „Da war ich acht oder neun Jahre alt und habe bei ihm erstmal alle Disziplinen gemacht. Auch Springen konnte ich ganz gut“, erinnert sich Simon Bayer an seine Anfänge in der Leichtathletik im Trikot des TSV 1880 Wasserburg.

Von Anfang an Drehstoßer

Durch seinen Vater und zusätzlich inspiriert durch Rolf Oesterreich praktizierte der junge Athlet ab seinem 13. Lebensjahr im Kugelstoßen die Drehstoßtechnik. „Mittlerweile habe ich also schon über zehn Jahre Erfahrung damit, was in Deutschland ungewöhnlich ist.“

Mit 15 zog Simon Bayer von zu Hause ins Sportinternat nach Stuttgart. Im Nachwuchsbereich gelang der Anschluss an die deutsche Spitze seiner Altersklasse, im Jahr 2012 im Trikot der LG Stadtwerke Tübingen und ab 2013 für den VfL Sindelfingen.

Der Sport diente gleichzeitig als Ventil für die oft grenzenlos erscheinende Energie des Jugendlichen, bei dem ADHS diagnostiziert wurde. Im Schulunterricht eckte er oft an. „Bis heute fühle ich mich anders, habe aber gelernt, meine Energie positiv zu kanalisieren“, erzählt Simon Bayer heute.

Trainingspartner wird zum Trainer

Bei den Anfängen in Stuttgart in der Gruppe von Peter Salzer noch Trainingspartner übernahm Artur Hoppe (Kugelbestleistung: 19,64 m; Halle; 2010), der im Jahr 2015 seine aktive Karriere beendete, die Betreuung von Simon Bayer.

„Zu diesem Zeitpunkt war Artur genau der richtige, da er mich auch angetrieben hat. Mir sind die Erfolge noch eher zugeflogen und von harter Trainingsarbeit habe ich noch nicht so viel gehalten“, erzählt Simon Bayer, der die Sechs-Kilo-Kugel als U20-Athlet auf 19,91 Meter stieß. Der erste Einsatz im Nationaltrikot endete im Jahr 2017 erfolgreich mit Rang fünf bei der U23.

Interesse für IT-Sicherheit

Nach dem Abitur begann das damalige Nachwuchstalent eine dreijährige Ausbildung zum Fachinformatiker. „Ich war schon immer begeistert von IT-Sicherheit“, berichtet er von seiner zweiten Leidenschaft neben dem Sport. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung ist auch schon das zweisemestrige Grundstudium im Fach Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Esslingen abgeschlossen.

„Auch weil ich häufig verletzt war, konnte ich Präsenzveranstaltungen besuchen. Jetzt möchte ich mich etwas mehr auf den Sport konzentrieren und kann mir ein Fernstudium vorstellen“, berichtet er von seinen nächsten Pläne. „Auf jeden Fall möchte ich mich immer neben dem Sport weiterbilden.“

Auf die Grundlagen besonnen

Sportlich haben Verletzungen, vor allem am Rücken, in den vergangenen Jahren immer wieder die Vorbereitung gestört. „Meine Hallenbestleistung stammt noch aus dem Jahr 2016, weil ich seitdem nicht mehr im Winter gestartet bin“, sagt der 23-Jährige, der sich zu einem selbständigen und „optimierungssüchtigen“ Athleten gewandelt hatte. „Ich habe es oft übertrieben. Außerdem habe ich sehr viel am Training getüftelt, weil ich dachte, wenn ich 20 Meter stoßen will, muss ich etwas Besonderes machen.“

Im zurückliegenden Jahr begann ein Umdenken. „Ich habe wieder mehr auf die Grundlagen geschaut und mehr Imitation des Bewegungsablaufs gemacht. Außerdem habe ich auf meinen Körper gehört und gelernt, welche Übungen mir gut tun, anstatt immer fest das Programm durchzuziehen, das auf dem Plan steht.“

In diesem Prozess half ihm der Ansatz von US-Trainer Ryan Whiting. „Der ist freier, flexibler und entspannter“, berichtet der Perspektiv-Kaderathlet. Dass er sich Beratung aus dem Ausland holte, ist für den Wurfbereich ungewöhnlich. „Im November werde ich wieder für drei Wochen in die USA gehen", kündigt Simon Bayer an.

Trotz Verletzungen gelingt bisher beste Saison

Aus den vielen Neuerungen in Training und Wettkampf des zurückliegenden Jahres, die noch nicht alle perfekt ineinander griffen, möchte Simon Bayer das Beste mitnehmen und sieht noch großes Optimierungspotential: „Meine Leistung in diesem Jahr habe ich trotz drei Verletzungen in der Saison und meiner Vorbereitung herausgeholt.“

Dennoch gelangen ihm in der abgelaufenen Saison acht seiner bisher besten zehn Weiten der Karriere, inklusive drei Wettkämpfen mit mehr als 20 Metern. Neben dem ersten deutschen Meistertitel mit Bestleistung (20,26 m) im Berliner Olympiastadion brachten Reisen zu internationalen Meetings, der Team-EM und der Universiade wertvolle Erfahrungen. „Es war eine sehr intensive Saison mit einem holprigen Start und einem guten Ende.“ Dass es nicht zu einem WM-Start reichte, ist mittlerweile abgehakt.

Nicht in Grenzen denken: Olympia-Norm als Ziel

Seine Trainingspläne bekommt Simon Bayer weiter von Ryan Whiting, mit dem ein regelmäßiger Austausch per Telefon, Videoaufnahmen aus dem Training und WhatsApp besteht. Ein Auge auf die Einheiten im heimischen Stuttgart hat weiter Artur Hoppe. So soll endlich ein verletzungsfreier Aufbau gelingen und Steigerungen bei Kraft und Geschwindigkeit bringen.

„Ich will nicht nur Reha-Training machen“, sagt der 23-Jährige. „Wenn ich im Winter schon soweit bin, könnten aus dem Training heraus Starts in der Halle anstehen. Alles ist aber auf den Sommer ausgerichtet, in dem ich konstant weit stoßen, bei internationalen Meetings Punkte für das Rankingsystem sammeln und die Olympianorm von 21,10 Metern angreifen möchte. Ich weiß, bis dahin fehlt noch ein Stück. Aber warum sollte ich in Grenzen denken? Dann könnte ich auch gleich aufhören.“

Video: Simon Bayer schlägt Seriensieger David Storl
Video-Interview: Simon Bayer: Ich bin mehr als happy

Das sagt Bundestrainer Sven Lang:

Simon Bayer hat in den vergangenen beiden Jahren eine sehr gute und kontinuierliche Entwicklung genommen. Ihm gelangen im Zeitraum von 2017 an eine Steigerung um fast einen Meter und 2019 erstmals Stöße über 20 Meter. Zurecht wurde er dann auch Deutscher Meister und das mit einer für ihn sehr guten Leistung. Simon hat sich technisch deutlich verbessert und damit auch mehr Stabilität in seine Wettkampfstöße bekommen. Auch im Bereich der Maximalkraftentwicklung konnten Fortschritte erzielt werden, jedoch besteht hier zur Weltspitze schon noch ein gewisses Defizit.

Simon Bayer ist ein sehr ehrgeiziger Athlet, der auch neuen Ansätzen und Methoden sehr aufgeschlossen gegenübersteht. Sicherlich ist er manchmal etwas ungeduldig, aber das muss ja im Leistungssport keine schlechte Eigenschaft sein. Ich hoffe, dass die positive Entwicklung anhält und er sich weiter steigern kann. Nun sind die Teilnahmebedingungen für Olympia mit der Norm von 21,10 Metern sicherlich nicht leicht zu erreichen, aber zumindest die erfolgreiche Teilnahme an den Europameisterschaften ist ein realistisches Ziel für 2020. Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass Simon Bayer ein fester Bestandteil unserer Nationalmannschaften wird.

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