Niklas Kaul hat am Donnerstag bei den Weltmeisterschaften in Doha die Goldmedaille gewonnen. Der 21-Jährige wurde mit 8.691 Punkten jüngster Zehnkampf-Weltmeister aller Zeiten und stellte mit dem Speer einen Weltrekord innerhalb eines Zehnkampfes auf.
Das Blatt im Zehnkampf der WM von Doha (Katar) wendete sich am Donnerstag innerhalb weniger Minuten. Erst feuerte Niklas Kaul (USC Mainz) seinen Diskus auf 49,20 Meter – Bestleistung um fast zwei Meter gesteigert und damit fast schon auf Tuchfühlung zur Spitze. Dann schleuderte der zur Halbzeit viertplatzierte Lindon Victor (Grenada), eigentlich ein 55-Meter-Werfer, den Diskus mit seinem dritten Fehlversuch ins Netz. Und im parallel ausgetragenen Stabhochsprung der Gruppe A versuchte Weltrekordler Kevin Mayer (Frankreich) mit Tränen in den Augen und unter Schmerzen zum dritten Mal, sich über 4,60 Meter zu schwingen – doch er blieb ohne gültigen Versuch und brach anschließend den Wettbewerb ab.
Damit war das Feld im Zehnkampf komplett durcheinandergewirbelt. Unter anderem auch, weil bereits in der ersten Disziplin einen DLV-Athleten das Aus ereilt hatte: Der WM-Dritte von 2017 Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) musste nach einem Stolperer über die Hürden aussteigen. Drei Medaillen-Kandidaten aus dem Rennen – und der Jüngste im Feld auf dem Vormarsch: Niklas Kaul hatte sich nach sieben Disziplinen in die Top Ten geschoben. Dann begann sein fulminanter Endspurt.
Speerwurf-Weltrekord innerhalb eines Zehnkampfs
Mit 5,00 Metern im Stabhochsprung flog Niklas Kaul 20 Zentimeter höher als in seinem besten Zehnkampf, während sich Mitfavorit Damian Warner (Kanada) mit 4,70 Metern begnügen musste. Auch Maicel Uibo (Estland; 5,40 m) und Ilya Shkurenyov (ANA; 5,20 m) aus Russland lagen zu diesem Zeitpunkt noch vor dem jungen Mainzer, der sich zwischenzeitlich auf Platz sechs nach vorne gearbeitet hatte. Doch alle wussten: In den letzten zwei Disziplinen kann ihm keiner das Wasser reichen.
Die absolute Krönung folgte bereits im Speerwurf: Im zweiten Versuch segelte der Speer von Niklas Kaul schier endlos durch das Khalifa-Stadion und landete weit jenseits der abgesteckten Markierungen. Dann erschienen 79,05 Meter auf der Anzeigetafel. Bestleistung und Weltrekord innerhalb eines Zehnkampfes! Damit war die Bühne bereitet für den 1.500-Meter-Lauf zu Gold, vor dem Maicel Uibo (Estland), Damian Warner, Niklas Kaul und Ilya Shkurenyov (ANA) nur 43 Punkte trennten.
Dabei war sich der DLV-Athlet seiner Stärke in der Abschluss-Disziplin bewusst. Zweieinhalb Runden vor Schluss ging er nach vorne und schüttelte in der Schlussrunde einen beherzt kämpfenden Maicel Uibo deutlich ab. In 4:15,70 Minuten lief Niklas Kaul nicht nur zum Sieg im Rennen sondern auch zum Titel. Mit 8.691 Punkten ist er erst der zweite deutsche Zehnkampf-Weltmeister in der Geschichte der Titelkämpfe und der jüngste aller Zeiten. 1987 hatte Torsten Voss noch für die DDR die Zehnkampf-Goldmedaille gewonnen. Der Este sicherte sich ebenfalls mit Bestleistung (8.604 Punkte) Silber vor Damian Warner (8.529 Punkte).
Platz zehn und 17 für Nowak und Kazmirek
Eine gelungene WM-Premiere feierte Tim Nowak (SSV Ulm 1846), wenngleich er nicht in allen Disziplinen das abrufen konnte, was er sich vorgenommen hatte. Über die Hürden (14,60 sec) und im Stabhochsprung (4,90 m) zeigte er am zweiten Tag Saison-Bestleistungen. Im Speerwurf (56,76 m) musste er Abstriche machen – er hatte seit der WM-Qualifikation in Götzis (Österreich) Ende Mai und seiner Schulterverletzung nicht mehr geworfen, das machte sich in Doha bemerkbar. Mit 8.122 Punkten wurde der 24-Jährige Zehnter.
Kai Kazmirek kämpfte sich trotz des Patzers über die Hürden durch den Zehnkampf und zeigte anschließend im Diskuswurf (44,85 m), im Stabhochsprung (5,20 m) und auch mit dem Speer (60,08 m) gute Leistungen, die verdeutlichten, was ohne das Hürden-Aus möglich gewesen wäre – nämlich ein Platz in den Top Fünf. So wurde es mit Punkten aus neun Disziplinen (7.414 Punkte) Platz 17.
STIMMEN ZUM WETTBEWERB:
Niklas Kaul (USC Mainz):
Eigentlich habe ich erst nach dem zweiten Versuch im Speerwurf daran geglaubt, dass es mit Gold etwas werden kann. Weil im Stabhochsprung und im Speerwurf noch viel passieren kann. Ob ich 74 – was immer noch eine gute Weite gewesen wäre – oder 79 Meter werfe, das ist ein ziemlicher Unterschied. Und wenn es so eng zugeht, sind 80 Punkte relativ viel. Weltmeister. Das habe ich noch überhaupt nicht verarbeitet, das kommt sicher erst in den nächsten ein, zwei Tagen. Dass es jetzt 8.691 Punkte geworden sind, mit dem zweitbesten Tag, den es je gegeben hat, das hätte ich nie erwartet. Vor den 1.500 Metern ging mir hauptsächlich durch den Kopf: Die Chance, Weltmeister zu werden, bekommst du vielleicht nie mehr wieder im Leben. Deswegen musst du die genau jetzt nutzen. Egal, was nach dem Zieleinlauf passiert, ob sie dich hier raustragen müssen oder nicht – du rennst jetzt einfach und gibst alles, was du hast! Meine Eltern? Die werden auch sehr glücklich sein. Aber sie werden das gleiche sagen wie immer: Solange ich Spaß habe an dem Ganzen, stehen sie voll hinter mir. Ich glaube, das ist auch die Basis für alles, was ich bisher erreicht habe und was vielleicht auch noch kommt.
Tim Nowak (SSV Ulm 1846):
Hätte mir jemand nach Götzis und vor allem der Schulterverletzung gesagt, dass ich hier Zehnter werde, dann hätte ich das sofort genommen! Jetzt für den Moment bin ich doch nicht hundertprozentig zufrieden. Die Platzierung ist toll, klar, aber die Punktzahl ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Es war ein toller Wettkampf, aber ich konnte leider in vielen Disziplinen nicht das letzte Bisschen zeigen. Stabhochsprung, Hochsprung, Diskuswurf das war schon alles zufriedenstellend, aber es war kein Ausreißer dabei. Und den hätte ich gebraucht, um die schlechteren Disziplinen auszugleichen. Der Weitsprung hat extrem viel gekostet. Und im Speerwurf, mit der Schulter… Da wussten wir ja nie: wieviel verliere ich da? Nach dem ersten Versuch auf 56 Meter dachte ich mir: Das geht! Aber es ging nicht mehr. Von Niklas habe ich heute leider gar nicht so viel mitbekommen, weil ich in einer anderen Gruppe war. Aber seine Leistung ist unfassbar. Und auch, wie er es gemacht hat. So sicher. So performt. So auf den Punkt dagewesen. Mir war hundertprozentig klar, dass er im Speerwurf Zehnkampf-Weltrekord wirft. Und dass er sich die 1.500 Meter auch nicht nehmen lässt.
Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) am Freitag:
Für mich gab es nie die Option aufzuhören. Sondern es war immer klar, dass ich den Wettkampf beende. Ich hatte eine sehr gute Form. Und das wollte ich auch zeigen. Mir war es wichtig, mit den Jungs das Ding zu Ende zu machen. Nach dem Wettkampf haben wir die Zeit noch mal genossen, sind noch hoch in die Lounge und haben da ein Bier getrunken, dann zum Pool, um ein bisschen zu regenerieren. Schlafen kann man eh nicht nach einem Zehnkampf, da ist man emotional sehr, sehr aufgewühlt und happy, dass man es überhaupt geschafft hat. Jeder kann stolz sein, in diesem Team dabei zu sein. Die Planung bis Tokio steht definitiv schon und wir haben schon den ersten Schritt dorthin gemacht, auch wenn es hier nicht hundertprozentig lief. Ich bin sehr zufrieden mit den Einzelleistungen, außer mit den Hürden und dem Weitsprung, und ich denke, dass in Tokio eine Top Fünf-Platzierung drin ist.
WM 2019 Doha