Mit dem Team-Sieg im Thorpe Cup und einem phänomenalen ersten Männer-Zehnkampf fand die Saison von Andreas Bechmann (LG Eintracht Frankfurt) am Sonntag in Bernhausen trotz verpasster U23-EM noch ein Happy End. Wie er sich die Steigerung auf 8.132 Punkte erklärt, worin die Kunst im Mehrkampf-Training liegt und welchen Tipp ihm US-Routinier Chris Helwick vor dem Thorpe Cup mit auf den Weg gab, das alles verriet er uns nach der Siegerehrung im Interview.
Andreas Bechmann, Sie haben eine hervorragende Hallensaison mit Platz fünf bei der Hallen-EM hinter sich. Das ließ einiges für den Sommer erwarten. Aber 8.132 Punkte im ersten Männer-Zehnkampf – ist das für Sie selbst dennoch eine Überraschung?
Andreas Bechmann:
Der erste Tag, der war einfach unglaublich! Der zweite Tag hat ein bisschen schwächer angefangen. Da hatte ich Glück, dass ich über die Hürden nicht gestürzt bin. Irgendwie bin ich da noch durchgekommen mit einer Zeit, die nicht ganz schlimm war. Dem musste ich im Diskus ein bisschen Tribut zollen, der Kopf war nicht frei. Aber dann habe ich die Chance im Stabhochsprung genutzt, bei einer Disziplin, die ich kann und liebe.
Alle Zuschauer hatten sich an der Anlage versammelt und haben zuletzt nur noch Sie und WM-Teilnehmer Kai Kazmirek angefeuert. Wie war das?
Andreas Bechmann:
Das Publikum hier war wirklich der Hammer! Wie die einen hier gepusht haben, bis zum Ende! Und dann habe ich da mit Kai die Show gemacht. Er hat dieselben Höhen gewählt wie ich, damit ich nicht alleine im Wettkampf bin und ein bisschen mehr Pause habe. Nach 5,10 Metern hat es mir ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen. Es war heißer, als wir dachten, über 30 Grad.
Dennoch haben Sie anschließend Ihre Speerwurf-Bestleistung um fast zehn Meter gesteigert. Wo haben Sie die Kraft noch hergenommen?
Andreas Bechmann:
Ich weiß nicht, was da passiert ist. So einen Wurf hatte ich bisher weder im Training noch irgendwo anders. Ich weiß nicht, was es war. Es ist einfach passiert. Die Spezialisten werden es bestätigen können: Im Speerwurf fliegt einem so ein Wurf einfach raus. Man guckt dem hinterher und denkt: „Warum kommt der nicht runter?“ Ich bin froh, dass ich mit diesem Wurf noch mal Punkte fürs Team beisteuern konnte. Und dass wir am Ende den Sieg geholt haben. Über 1.500 Meter bin ich zwar völlig blau gegangen, die Zeit ist jetzt nicht überragend, aber zumindest bin ich ohne Sturz und ohne Krämpfe einigermaßen durchgekommen.
Sie haben am Tag vor dem Thorpe Cup gesagt: „Das Wichtigste ist, hier fürs Team zu punkten.“ War das auch ein Mittel, um Druck von sich fernzuhalten?
Andreas Bechmann:
Ich hatte vorher die Chance, mit Chris Helwick zu sprechen, der nach sieben Jahren Abstinenz noch mal einen Zehnkampf für die USA gemacht hat. Er hat das gut gesagt: „Du machst keine Disziplin, um Punkte zu sammeln. Die Punkte kommen von ganz alleine. Du hast einfach Spaß und gehst völlig ohne Druck ran.“ So habe ich es mir auch gesagt. Ich musste nichts machen, ich habe die Wild-Card ohne Vorleistung bekommen, und habe es einfach passieren lassen. Ich wusste selbst nicht, in was für einer Form ich bin. Die Test-Wettkämpfe waren alle ok, aber es war nichts dabei, das mich umgehauen hat. Die 100 Meter am Samstag waren eine Standort-Bestimmung für den ersten Tag. Und dann habe ich es einfach laufen lassen, den Flow mitgenommen und früh genug zurückgewonnen beim Stabhochsprung.
7.542 Punkte in der U20. 8.132 Punkte im ersten Männer-Jahr. Was ist das Geheimnis? Wie haben Sie es geschafft, sich so enorm zu steigern?
Andreas Bechmann:
Ich habe mit Jürgen Sammert einen Trainer, der weiß, was er tut. Der im deutschen Mehrkampf zu den Trainern zählt, die mit Topathleten die meiste Erfahrung hat. Mit Olympioniken, mit Europameistern, mit Vize-Weltmeisterinnen. Ich habe eine enge Bindung zu ihm und vertraue ihm blind. In emotionalen Momenten, wenn mir etwas schwerfällt, dann sage ich mir einfach: Mach das, was der Trainer sagt. So gut es geht. Aber ich gebe ihm auch Input, den nimmt er auf und spiegelt ihn mir zurück. Er glaubt an mich und hat mir letztes Jahr schon gesagt, was in mir steckt.
Sie machen nicht den Eindruck, als würden Sie blind folgen. Mehr, als würden Sie genau wissen und verstehen wollen, was mit Ihnen und um Sie herum passiert.
Andreas Bechmann:
Wenn ich hinterfrage, ist es kein „Ich stelle infrage, was mein Trainer sagt“. Sondern es ist ein „Ich will es verstehen, damit ich es besser umsetzen kann“. Aber wahrscheinlich ist es überall im Sport so: Je mehr man währenddessen denkt, desto schlechter klappt es. Jürgen ist da ein guter Gegenpol, er schafft es, dass ich die Dinge mehr laufen und einfach passieren lasse. Dass ich nicht zu viel denke. Ich bin einer, der am liebsten zehn Sachen auf einmal verbessern will. Gleichzeitig merke ich: „Es ist gerade zu viel!“ Als Mehrkampftrainer muss man die Qualität haben, die Sache zu finden, die dem Athleten in der kürzesten Zeit den größten Profit bringt. Die Stellschraube zu drehen, die etwas deutlich besser macht.
Sie mussten sich diesen Sommer lange gedulden, bis Sie Ihren ersten Männer-Zehnkampf absolvieren konnten. Was hat Sie ausgebremst?
Andreas Bechmann:
Aus der Hallensaison habe ich eine Schambeinentzündung mitgenommen. So haben wir versucht, den Bereich zwischen Knie und Bauchnabel wenig zu belasten. Dementsprechend ist die Muskulatur ein bisschen schwächer geworden. Und genau die Muskeln haben dann beim Mehrkampf in Bernhausen [Anm. d. Red: Anfang Juni] zugemacht. Also bin ich nach sechs Disziplinen mit großen Schmerzen rausgegangen. Ich hatte natürlich Angst, dass die Entzündung wieder da ist. Daher haben wir früh genug gesagt: U23-EM schön und gut, aber wir lassen es jetzt sein. Langfristiger, mittelfristiger Erfolg vor dem kurzfristigen. Trotzdem wollte ich es dieses Jahr noch mal versuchen beim Thorpe Cup, das ist wirklich ein ganz besonderer Mehrkampf. Fürs Team wollte ich natürlich alles geben.
War das jetzt auf ganzer Linie ein Happy End?
Andreas Bechmann:
Ja, so ist es! Eine Steigerung um 650 Punkte von der Jugend zu den Männern, das schaffen nicht viele. Direkt im ersten Zehnkampf im 8.000er Club, im 8.100er Club. Und wenn ich das ein bisschen besser durchstehe, sind wir bei 8.200. Das wäre fast WM-Norm. Ich glaube, viertbester Deutscher hinter den drei WM-Startern im Zehnkampf, was eine brutal starke Disziplin im Deutschen Leichtathletik-Verband ist. Ich habe Bock auf mehr.
Wie geht es denn jetzt weiter?
Andreas Bechmann:
Ich habe bis Mitte Oktober noch frei. Meinen 20. Geburtstag feiere ich auf dem Oktoberfest in München. Nach der Verletzung habe ich Zeit gebraucht, ich habe mich auf die Uni fokussiert, auf die Prüfungen, einfach mal Abstand gewonnen und mich wieder zurückgekämpft, als es auf die Wettkämpfe zuging. Zuletzt hat mich Jürgen dann wieder viel gequält, zum Beispiel mit zwei Einzelstarts über 400 Meter. In einem Rennen bin ich auf Bahn sechs gelaufen und der Zweitschlechteste war der Deutsche Hallenmeister von 2017 [Anm. d. Red.: Marc Koch, LG Nord Berlin] mit einer Bestleistung von 46,3 Sekunden…
Naja, nach Ihrer eigenen Bestleistung am Samstag von 47,93 Sekunden können Sie doch jetzt sagen, dass sich das gelohnt hat.
Andreas Bechmann:
Anscheinend muss man wirklich einfach nur auf seinen Trainer hören. Anders geht’s nicht.