Die Sportwelt blickt nach Wien: Hat der Weltverband IAAF die Courage die Leichtathleten Russlands von den Olympischen Spielen in Rio auszuschließen oder findet sich noch ein diplomatisches Schlupfloch?
Für IAAF-Präsident Sebastian Coe ist die Entscheidung über einen historischen Olympia-Ausschluss von Russlands Leichtathleten der "Come to Jesus"-Moment. Vor diesem "Augenblick der Erleuchtung" am Freitag wird der Präsident des Weltverbandes mit seinen 26 Councilmitgliedern im Ballraum "Quadrille" des Wiener Grand Hotels das Ja oder Nein zur Aufhebung der seit 13. November bestehenden Suspendierung der Sportmacht höchst sorgfältig abwägen.
Grundlage ist der Lagebericht der IAAF-Task-Force unter der Leitung des Norwegers Rune Andersen, die die Reformfortschritte nach Aufdeckung des flächendeckenden Dopings in Russlands Leichtathletik überwacht. "Ich habe volles Vertrauen in Rune Andersen", sagte Coe der englischen Zeitung "Daily Mail". "Wir sind da ganz klar: Wenn Russland die Kriterien nicht erfüllt, ist es in Rio nicht dabei."
DLV für Olympia-Ausschluss
Seit der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht" vom 3. Dezember 2014 steht das Land am Pranger. Zumal eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in einem 323-seitigen Report die Beweise für den großen Betrug nachlieferte. Die Suspendierung der russischen Anti-Doping-Agentur (RUSADA) und des Moskauer Kontrolllabors durch die WADA waren die Folge.
"Ich bin für einen Ausschluss", sagte Martina Strutz, Athletensprecherin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). "Irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden. Die Beweise sind erdrückend und erschreckend." Auch DLV-Präsident Clemens Prokop ist für den Bann als Zeichen der Glaubwürdigkeit: "Wenn die Maxime weiter so wäre, würde der Sport an sich und die Olympischen Spiele ihren Sinn verlieren."
Die Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages hält zwar einen Komplettauschluss für schwierig, jedoch für opportun, weil "Russland über kein Kontrollsystem verfüge, "das seinen Namen verdient. Im Gegenteil", argumentiert Dagmar Freitag, die auch DLV-Vizepräsidentin ist. Ein Ausschluss der russischen Leichtathleten wäre für sie ein Signal in die Sportwelt und vor allem an die IAAF-Mitglieder, dass "wir über die Zeit der Lippenbekenntnisse hinaus sind".
Regel 45 des Ethik-Codes
Auch für die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) ist ein Start russischer Läufer, Springer und Werfer bei den Rio-Spielen kein Thema. "Nach dem Status quo sehen wir da keine Chance", erklärte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer. Außerdem warnt er die IAAF, Russland noch ein Schlupfloch zu schaffen und Sportler für Olympia zuzulassen, die mindestens drei Zielkontrollen nachweisen können. "Jetzt Leichtathleten im Schnellverfahren noch zu kontrollieren, bringt nichts", sagte Mortsiefer. "Die Hochdopingphase ist längst vorbei."
Das IAAF-Council hat nach Regel 45 des Ethik-Codes das Recht, einen Mitgliedsverband wegen Verstoßes gegen die Anti-Doping-Regeln bis zum nächsten Kongress oder für eine kürzere Periode zu suspendieren. Der Gewichtheber-Weltverband IWF hatte im November 2015 entschieden, Bulgarien wegen zahlreicher Doping-Fälle von Olympia zu verbannen.
Der russische Leichtathletik-Verband könnte gegen eine Olympia-Sperre vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Berufung gehen. Im Fall der Bulgaren hatte das CAS die Entscheidung der IWF bestätigt. Sollte das IAAF-Council für einen Rio-Start Russlands votieren, könnte wiederum die WADA dies vor dem CAS anfechten.
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)