Über 100 Biomechaniker aus aller Welt haben den einzigartigen Stabhochsprung-Messplatz in der Leverkusener Fritz-Jacobi-Halle in Augenschein genommen und Einblicke in Aufbau, Funktion und Bedeutung der Einrichtung erhalten. Demonstriert wurde, wie bei der Energieübertragung vom Springer zum Stab und vom Stab zurück zum Springer Verluste entstehen. Falk Schade vom Olympiastützpunkt Rheinland erklärte, dass demnächst auch Athleten anderer Disziplinen vom Messplatz profitieren sollen.
Der Körper von Stabhochspringer Marvin Caspari ist mit einer Vielzahl von Elektroden beklebt, als sich der 25-Jährige auf seiner Trainingsanlage in Bewegung setzt. Den Stab trägt er in Hüfthöhe vor sich her. Aus vollem Lauf steuert der Schützling von Bundestrainer Jörn Elberding der Matte entgegen. Kurz vor dem Einstechen bringt der Athlet den Stab über den Kopf, trifft den Einstichkasten präzise und hebt kraftvoll ab. Beim Anlauf gesammelte Energie wird auf den Stab übertragen und dieser zum Bogen gespannt.
Eine Katapultwirkung entsteht. Der Stab richtet sich auf und zieht Marvin Caspari in die Höhe. Der Springer schwingt sich nach oben in den Sturzhang, zieht sich am fast vertikal stehenden Stab nach oben und drückt sich nach einer halben Körperdrehung hoch, weit über die Stabspitze hinaus. Kurz vor dem Scheitelpunkt der Flugkurve löst er die Hand, unterstützt den bogenförmigen Überflug durch ein leichtes Abknicken seines Körpers und gibt Acht, dass er die als Lattenersatz dienende Gummischnur nicht im Fallen mit der Brust touchiert.
Auswertung im 3D-Format
Auf Monitoren folgt prompt die Analyse des Bewegungsablaufes. Und zwar in dreidimensionaler Darstellung. Ermittelt wird, wie viel Energie der Springer zunächst gesammelt, dann auf den Stab übertragen und vom Stab wieder zurückerhalten hat. 21 Kameras haben sämtliche Bewegungen und die Frequentierung der Körperachsen dokumentiert, drei Plattformen und der dynamometrische Einstichkasten Anlaufgeschwindigkeit und Krafteinsatz erfasst.
„Ein anschauliches Beispiel für tiefgehende biomechanische Analysen auf der Grundlage von Energieberechnung“, umreißt Referent Falk Schade vor 110 Wissenschaftlern aus aller Welt, die Augenzeugen dieser anschaulichen Darbietung sind. Der Biomechaniker vom Olympiastützpunkt Rheinland ist seit vielen Jahren in die Trainingsprozesse der DLV-Stabhochspringer eingebunden und hat den Messplatz konzipiert.
Bo Kanda Lita Baehre profitiert
Bestes Beispiel für den Nutzen der rund 500.000 Euro teuren Anlage sei die Entwicklung von Bo Kanda Lita Baehre. Der 18-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen hat den Bogen raus und lässt die Latte immer höher legen. Mittlerweile ist er bei 5,60 Meter angekommen. „Bei Bo haben wir spannende Sachen herausgefunden. Auch Raphael Holzdeppe nutzt den Messplatz regelmäßig. Das macht er nicht umsonst, das bringt ihn weiter“, sagt Falk Schade.
„Unsere Erkenntnisse sind Hilfsmittel, mit denen Trainer und Athleten arbeiten können. Aber wir würden uns nicht dazu versteigen Prognosen abzugeben, in welchem Zeitrahmen bestimmte Leistungssteigerungen möglich sind. Es gibt ganz viele Faktoren, die bei der Leistungsentwicklung eine Rolle spielen. Aber wir erkennen hier durchaus Potenzial“, erklärt der Wissenschaftler. Ziel sei die Effektivierung des Trainings.
Pro Jahr mehrere Kader-Lehrgänge
Die Mitglieder der Stabhochsprung-Kader des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) haben übers Jahr verteilt mehrfach die Möglichkeit, sich in Leverkusen einer umfangreichen Diagnostik zu unterziehen. Nicht nur etablierten Assen, auch dem Nachwuchs bringt der Stabhochsprung-Messplatz Vorteile, gilt es doch den altersgerechten und langfristigen Aufbau von Talenten trainingswissenschaftlich zu begleiten.
Eine Erweiterung des Messplatzes ist angedacht. „Für den Stabhochsprung steht das Setup, wenngleich wir immer noch in der Entwicklung und um Verbesserungen bemüht sind. Wir wollen ihn aber gerne auch für andere Disziplinen anwendbar machen, zum Beispiel den Sprint oder Hochsprung", sagt Falk Schade.