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Tobias Potye: Mit einem klaren Fahrplan Richtung 2,30 Meter

Der Münchner Hochspringer Tobias Potye hat die bislang beste Saison seiner Karriere hinter sich. Ihm gelang in Regensburg und Eberstadt nicht nur die neue Bestleistung von 2,27 Metern, sondern auch die erste EM-Teilnahme bei den Aktiven. Für den früheren U20-Europameister sind die 2,30 Meter, das Eintrittstor zur Weltklasse, ein realistischer Traum geworden.
Pamela Lechner

„Meine Durchschnittshöhe der Wettkampf-Sprünge war dieses Jahr höher als meine Bestleistung von 2,25 Meter aus dem letzten Jahr“, kann Tobias Potye seine gute Entwicklung in Zahlen belegen. Seit August 2017 hat sich der 23-Jährige intensiv auf die EM-Saison vorbereitet, konnte nach zwei Jahren gefühltem Stillstand (2015, 2016) endlich ohne Verletzungen durchtrainieren, sich bis über 2,27 Meter schrauben und für die Europameisterschaften in Berlin qualifizieren.

Vor der Heim-EM erhielt der U20-Europameister von 2013 beim World Athletics Cup in London (Großbritannien) in einem großen Stadion mit viel Publikum schon die Chance, im Nationaltrikot zu starten. Mit 2,24 Metern schaffte er den Sprung auf den dritten Podiumsplatz und nutzte den Wettbewerb als gelungene Generalprobe für den Höhepunkt in Berlin. Auch aus dem „Härtetest“, wie es der Student nennt, vor knapp 40.000 Zuschauern im Olympiastadion der Hauptstadt, konnte er viel Wertvolles mitnehmen.

„Wer es geschafft hat, sich von so einer Kulisse am wenigsten beeindrucken zu lassen, konnte am Ende punkten. Das ist eine Stärke, die man sich erst aneignen muss“, erklärt Tobias Potye sein knappes Ausscheiden in der Qualifikation seines EM-Debüts. Etwas Pech hatte er beim ersten Versuch über 2,21 Meter, als seine Anlauf-Markierung auf einmal weg war und ihn der daraus resultierende Fehlversuch zu viel schließlich die Finalteilnahme kostete.

EM-Finale als begeisterter Zuschauer verfolgt

Aber das Finale, das für ihn die perfekten Höhen für eine weitere Steigerung seiner Bestmarke bereit gehalten hätte – 2,28 und 2,30 Meter – sah sich Tobias Potye auch gerne als Zuschauer an, wohlwissend, dass für ihn gerade ein neuer Abschnitt, fast eine neue Ära seiner Karriere begonnen hat. „Ich habe gewusst, was Mateusz drauf hat, es war einfach sein Tag und sein Moment. Ich habe es als Außenstehender absolut genossen und mir auch die Seele aus dem Leib geschrien, weil es so unfassbar phänomenal war", erinnert sich der 23-Jährige an den Höhenrausch bis 2,35 Meter des deutschen Europameisters.

Die nächsten Jahre will Tobias Potye lernen, wie Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen) in Berlin zu springen. „Man muss den Moment einfach leben und die Situation und die Energie der  Menschen für sich nutzen und sich dadurch nicht versteinern lassen. Mateusz ist ein paar Jahre älter als ich und auf jeden Fall für uns alle ein Hoffnungsträger im Hochsprung“, erklärt der Münchner.

Beobachtet hat er von der Tribüne aus auch die anderen Jungs, die das Finale knapp vor ihm erreicht hatten und sich teils überraschend früh aus dem Wettbewerb verabschiedeten. Als feststand, dass die Medaillen bei einer Höhe jenseits von Potyes Saison-Durchschnitt verteilt wurden, war der Deutsche Vizemeister erleichtert, wäre der verpasste Final-Einzug doch sonst ärgerlicher gewesen als zunächst gedacht. So konnte er sich am Ende über eine starke Saison mit dem Durchbruch bei den Erwachsenen freuen – pünktlich zum Ende der U23-Zeit, die er letztes Jahr mit einem durchwachsenen zehnten Platz (2,10 m) bei der U23-EM in Bydgoszcz (Polen) abgeschlossen hatte.

Trainerwechsel zu Sebastian Kneifel der Schlüssel

Bis dahin war es ein langer Weg mit einer entscheidenden Veränderung: Ende 2016 wechselte Tobias Potye den Trainer, zu Sebastian Kneifel. Der junge Teamleiter Sprung in Bayern betreut auch den U18-Europameister von 2016 Lucas Mihota (LG Stadtwerke München) und die DLV-Hochspringer bei internationalen U18-Nachwuchsmeisterschaften. In dieser Trainingsgruppe wollte Potye nach den vielen Verletzungen seit 2015 (Muskelfaserrisse in Oberschenkeln und Waden, Leistenzerrung), die ihn zurückwarfen, neu angreifen.

Doch in der ersten Sommersaison nach dem Trainerwechsel lief es noch nicht wie erhofft, der Kopf hat sich in der neuen Situation zusammen mit der Belastung seines Studiums Kunst und Medieninformatik quer gestellt. „Ich war nicht ganz bei der Sache“, blickt Tobias Potye zurück. Nach der enttäuschenden U23-EM nahm er sich ein paar Wochen Auszeit und entschloss Mitte August 2017 in Absprache mit dem Trainterteam Sebastian Kneifel, seinem alten Trainer Manfred Knopp und Bundestrainerin Brigitte Kurschilgen: „Ich will nochmal alles geben und wissen, was im Sport für mich wirklich geht.“ Das Jahr der Heim-EM in Berlin bot sich dafür an.

Sebastian Kneifel hat eine frische Denkweise mitgebracht und kann sich sehr gut in Situationen hineinversetzen. Das eigene Karriereende des Coaches liegt noch nicht lange zurück. „Er lebt für den Sport, trainiert mit, wenn ich alleine bin. Das ist ein Privileg, das man erst mit der Zeit zu schätzen lernt. Es ist locker, einen Trainer zu haben, der nicht ein oder zwei Generationen älter ist. Wir sind in den letzten zwei Jahren zusammengewachsen und auch er wächst als Trainer mit uns“, berichtet der schlanke Athlet.

Potential in Länge und Geschwindigkeit des Anlaufs

Der Anlauf von Tobias Potye hatte sich letzten Sommer "verlaufen", passte einfach nicht mehr. Eine extreme Umstellung half weiter: Nach der Hallensaison 2018 machte er viele Technikeinheiten nicht mehr aus neun, sondern nur noch fünf Schritten. So konnte er die Technik viel besser umsetzen und mehr Höhe entwickeln: "Fünf Schritte Anlauf mit einem kleinen Auftakt und damit eine neue Besthöhe von 2,27 Meter, das zeigt, dass ich mich athletisch weiter entwickelt habe.“

Ziel ist es, nächstes Jahr einen Sieben-Schritte-Anlauf aufzubauen, der mehr Geschwindigkeit bringt, die wiederum in mehr Höhe umgesetzt werden kann. „Die 2,30 Meter kann ich auch mit dem Fünfer-Anlauf springen, aber wenn man sich die nächsten Jahre noch höher begeben will, muss man natürlich den Anlauf verlängern, um die Geschwindigkeit zu forcieren“, sagt Tobias Potye selbstbewusst. Er ist extrem froh, einen Plan mit einem konkreten Ziel zu haben, an dem er arbeiten kann, an den er für 2019 glaubt.

Die Weichen für weitere Erfolge sind gestellt: „Ich gehöre dem Perspektivkader 2018/2019 an und habe einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr erhalten.“ Sein Studium will er im Frühjahr mit der Bachelor-Arbeit abschließen und sich dann erstmal ganz auf den Sport konzentrieren. Einen Master-Studiengang kann er zu gegebener Zeit noch dranhängen. Seine künstlerische Kreativität, die für ihn ein guter Ausgleich ist, zeigt sich in den Bildern seines <link https: www.instagram.com tobiaspotye _blank>Instagram-Accounts.

Neu in der Sportfördergruppe: Keine Zeit für Urlaub

Während andere Athleten derzeit ihren Urlaub in der Off-Season genießen, bleibt Tobias Potye nicht wirklich Zeit für eine Saisonpause. Einen Tag nach seinem letzten Wettkampf beim ISTAF in Berlin, musste er in Hannover bei der Bundeswehr antreten. „Deshalb versuche ich die Grundausbildung möglichst entspannt und erholsam zu gestalten.“ Nicht unbedingt einfach bei langen und anstrengenden Tagen mit Marschieren, Schießen, mal 48 Stunden im Gelände ohne Handy, Unterricht, früh aufstehen und früh schlafen.

Im Oktober folgt dann der Einstieg in die Vorbereitung auf die lange Saison 2019 mit der späten WM in Doha (Katar), die ihm im November durch die Teilnahme am DLV-Trainingslager in Südafrika versüßt wird. „Ich freue mich riesig darauf. Das wird ein Spitzen-Trainingslager mit Mateusz und Falk Wendrich und ein super Einstieg in das neue Jahr.“ Mit einem großen Ziel vor Augen: die 2,30 Meter überwinden. Im Kopf hat er in diesem Jahr genug Erfahrung gesammelt, um das in naher Zukunft zu schaffen und somit den Sprung zu den Weltmeisterschaften in Doha. „Ich habe die Ambitionen, in die Weltklasse vorzudringen.“

Seit 2013 – dem Jahr seines großen Jugend-Erfolges mit dem U20-EM-Titel in Rieti (Italien) – war es  das erste Mal, dass Tobias Potye wieder ohne Verletzungen in der Vorbereitung und Saison durchstarten konnte. Sein Olympia-Traum von Rio 2016 war einst geplatzt. „Das war im Nachhinein okay, man kann nicht alles auf einmal haben, manche Dinge muss man sich erst erarbeiten.“ Die Olympischen Spiele 2020 in Tokio kann er sich nun ganz realistisch erarbeiten. Was ihn in all den frustrierenden Jahren weiter motiviert hat? „Mir macht Hochsprung einfach viel Spaß!"

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