Dreimal Gold, einmal Silber: Sprinter Johannes Floors war der erfolgreichste deutsche Starter bei der Para-WM in London. Der 22-Jährige wandelt auf den Spuren von "Blade Runner" Oscar Pistorius und besitzt Star-Potenzial.
Nach seinem Gold-Sprint über 200 Meter im kühlen Nass von London hatte Johannes Floors einen ganz bescheidenen Wunsch: einen heißen Tee. "Am liebsten mit Zitrone", sagte der Leverkusener in der Mixed Zone des Olympiastadions. Floors fröstelte es bei 13 Grad Celsius, doch der Medaillenregen im Queen Elizabeth Park ließ den erfolgreichsten deutschen Starter der Para-Leichtathletik-WM 2017 strahlen.
Zu ganz viel Können kam zum Abschluss am Sonntag auch noch ein bisschen Glück, weil die Staffel der USA eine halbe Stunde nach dem 4x100-Meter-Rennen wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert wurde. Somit hatte sich der unnachahmliche Spurt von Schlussläufer Floors zuvor ganz besonders gelohnt: Der 22-Jährige wurde so zum "verzögerten" Dreifach-Weltmeister, nachdem er sich zuvor bereits die Titel über 200 und 400 Meter gesichert hatte – und dazu Silber über 100 Meter gewann.
Nächstes Ziel: Olympiasieger in Tokio
"Das ist schon sehr geil. Wir hatten viel trainiert, viel umgestellt, aber keine Erwartungen. Deshalb ist dieser Erfolg unglaublich", sagte der unterschenkelamputierte Floors, der nach seinem Sturm in die Weltspitze schon an die Paralympics 2020 in Tokio (Japan) dachte: "Olympiasieger will jeder werden, ich natürlich auch."
Der 22-Jährige ist so etwas wie das frische Gesicht des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Und der smarte Blondschopf, der auf den Spuren seines sportlichen Vorbilds Oscar Pistorius wandelt, besitzt absolutes Starpotenzial.
"Es ist unwahrscheinlich schön zu erleben, wie junge Leute wie Johannes, aber auch Leon Schäfer, Niko Kappel und Lindy Ave nachkommen", sagte Friedhelm Julius Beucher dem SID. Der DBS-Präsident sieht in seinem Team "Leuchttürme und wunderbare Charaktere, die den Para-Sport weiter voranbringen." Auch mit Blick auf die Heim-EM im nächsten Sommer in Berlin.
Insgesamt 22 Medaillen
Mit insgesamt 22 Medaillen (8 Gold, 7 Silber, 7 Bronze) war Beucher hoch zufrieden. "Ein tolles Ergebnis", meinte der 71-Jährige. Bei der vergangenen WM in Doha (Katar) 2015 hatte die deutsche Auswahl zwar insgesamt 24 Mal Edelmetall (8 Gold, 7 Silber, 9 Bronze) geholt.
Allerdings fehlten in London sieben Paralympicssieger beziehungsweise -siegerinnen von Rio 2016 aus unterschiedlichen Gründen. Unter ihnen der verletzte Heinrich Popow, Marianne Buggenhagen (Karriereende) oder Vanessa Low, die künftig für die australische Heimat ihres Freundes an den Start gehen wird.
Maschinenbau-Student Floors ist einer der großen Hoffnungsträger in der DBS-Mannschaft. Erst 2011 hatte er sich entschieden, seine Unterschenkel amputieren zu lassen, nachdem er mit einem Fibula-Gendefekt auf die Welt gekommen war. Das Wadenbein hatte sich nicht gebildet, der Fuß wuchs verkümmert, hatte nur drei Zehen. Floors Oberkörper war im Vergleich zu den Beinen überdimensional groß.
Wegweisende Operation
"Ich hatte die Wahl: Entweder du sitzt irgendwann im Rollstuhl oder du lässt dir die Unterschenkel amputieren, hast dann Prothesen und machst das Beste daraus", erzählte der gebürtige Bissendorfer.
2014 bekam er seine ersten Sportprothesen. "Damit bin ich am Anfang eher rumgehüpft wie ein Känguru", meinte der frühere Spitzenschwimmer schmunzelnd. Mit den Gehhilfen wuchs auch das Selbstwertgefühl – statt 1,60 ist er jetzt 1,80 Meter groß.
"The Telegraph" bezeichnete Floors bereits als "Kronprinz" des inzwischen tief gefallenen Para-Stars Pistorius. Der "Blade Runner" aus Südafrika sitzt wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin Reeva Steenkamp im Gefängnis. Doch aus sportlicher Sicht ist der sechsmalige Paralympicssieger Pistorius für Floors eine Inspiration. "Er ist mein Held. Wenn man sich den paralympischen Sport betrachtet: Das ist Oscar. Er war unglaublich", schwärmte er von seinem Idol.
Vielleicht ein gutes Omen für Floors: Bevor Pistorius bei Olympia 2008 in Peking (China) mit dreimal Gold durchstartete, hatte er bei der WM zwei Jahre zuvor in Assen unter anderem auch die Titel über 200 und 400 Meter gewonnen.
Quelle: Sport-Informations-Dienst (SID)