Vor einem Jahr hätte Diskuswerferin Marike Steinacker (TSV Bayer 04 Leverkusen) fast ihre Karriere beendet. Nun kann sie auf die erfolgreichste Saison ihrer Karriere zurückblicken. Sieben der zehn besten Weiten ihrer Karriere erzielte sie 2019 und die WM-Nominierung verpasste sie nur knapp. Stattdessen berief sie der europäische Leichtathletikverband ins Aufgebot für „The Match“, wo sie kommende Woche das europäische Team vertreten wird. leichtathletik.de hat Marike Steinacker zum bevorstehenden Wettkampf, ihrer Saison 2019 und ihren Zielen für das Olympiajahr befragt.
Marike Steinacker, auch wenn die Saison noch nicht zu Ende ist, lässt sich bereits festhalten: Das ist Ihr Jahr. Haben Sie nach drei Jahren ohne Steigerung damit gerechnet, dass der berühmte Knoten noch platzt?
Marike Steinacker:
Lange Zeit nicht. Letztes Jahr hatte ich mich auf mein Karriereende eingestellt und auch schon abtrainiert, obwohl mich das traurig gemacht hat. Ich bin eigentlich Vollblut-Leistungssportlerin. Damals lag mein Fokus eher auf dem Studium, nicht so sehr auf dem Sport. Ich habe auch nur ein Trainingslager mitgemacht. Dann habe ich aber beim Wettkampf in Schönebeck 58 Meter geworfen, was nur einen Meter unter meiner damaligen Bestleistung lag. Und das hat sich tatsächlich gar nicht schlecht angefühlt, eher so, als ob da noch mehr gehen würde.
Dieser Eindruck hat sich auch bestätigt: Diese Saison haben Sie Ihre Bestleistung um vier Meter auf 63,24 Meter gesteigert. Was hat sich für Sie seit dem vergangenen Jahr geändert?
Marike Steinacker:
Bei dem Wettkampf in Schönebeck hat mich mein jetziger Trainer Dieter Kollark angesprochen und gefragt, wie oft ich in der Woche trainiere. Ich habe gesagt: „Fünf Mal.“ Er meinte nur, wenn ich mal richtig trainiere, dann kann ich viel weiter werfen. Seit November trainiere ich jetzt bei Herrn Kollark in Neubrandenburg, ab und zu trainiert mich auch Astrid Kumbernuss. Wir haben vieles umgestellt, ich mache anderes Krafttraining und auch viel mehr Würfe im Training.
Haben Sie damit gerechnet, die WM-Norm zu überbieten?
Marike Steinacker:
Ich wusste natürlich nicht, ob die Umstellungen im Training sofort Früchte tragen. Aber ich war mir schon sehr sicher, dass die WM-Norm auf jeden Fall drin ist. Mein Fokus liegt jetzt zu 100 Prozent auf dem Sport. Und wenn man viel mehr trainiert, auch wenn noch nicht alles perfekt ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch zwei Meter mehr rauskommen, viel größer.
Zu Ihren Trainingskollegen zählt auch die EM-Vierte Claudine Vita. Wie können Sie beide im Training voneinander profitieren?
Marike Steinacker:
Es pusht uns natürlich beide, eine starke Trainingskollegin zu haben. Ich kann mir auch einiges von Claudine abschauen, weil sie in vielen Bereichen besser ist als ich.
Sie trainieren in Neubrandenburg, starten aber nach wie vor für den TSV Bayer 04 Leverkusen. Warum haben Sie sich gegen einen Vereinswechsel entschieden?
Marike Steinacker:
Bei diesem Verein habe ich mit dem Leistungssport begonnen, ich habe meine ganze Karriere dort verbracht und wurde immer super unterstützt. Deshalb wollte ich dem Verein gerne etwas zurückgeben und mögliche Erfolge im Trikot des TSV Bayer 04 Leverkusen feiern.
Sie haben die WM-Norm von 61,20 Metern in zwei Wettkämpfen überboten. In der nationalen Rangliste und bei den Deutschen Meisterschaften haben Sie sich damit auf Rang vier einsortiert. Wie groß ist die Enttäuschung, dass es zur WM-Nominierung nicht gereicht hat?
Marike Steinacker:
Natürlich habe ich mich geärgert, denn die Chance war definitiv da. Ich bin aber auch schon daran gewöhnt, denn schon im Nachwuchsbereich habe ich alle internationalen Meisterschaften verpasst, weil Anna Rüh, Kristin Pudenz und Shanice Craft immer besser waren als ich. Vielleicht hätte ich bei den Deutschen Meisterschaften noch ein bisschen weiter werfen können. Generell bin ich aber sehr zufrieden mit meiner Saison und meinem Auftritt in Berlin, auch wenn ich nicht zur WM fahre. Dafür haben sich andere coole Möglichkeiten ergeben.
Wie der bevorstehende Start in Minsk beim „Match“ zwischen Europa und den USA. Wie haben Sie von der Nominierung erfahren?
Marike Steinacker:
Es wurde klar, dass die anderen nicht fahren werden und dementsprechend war ich die Nächste, die gefragt wurde. Ich habe mich natürlich sehr gefreut und gesagt, das mache ich auf jeden Fall. Der Start in Minsk ist für mich etwas ganz Besonderes und deshalb werde ich auch versuchen, ihn zu genießen.
Bei Ihrem letzten internationalen Einsatz vor vier Jahren haben Sie Deutschland bei der Universiade in Gwangju vertreten. Nun vertreten Sie nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Wie fühlt sich das an?
Marike Steinacker:
Ich bin ein totaler Fan von Europa, deswegen bin ich auf jeden Fall eine gute Besetzung (lacht). Natürlich fühle ich mich sehr geehrt, gemeinsam mit Athletinnen wie Sandra Perkovic für Europa antreten zu dürfen. Über einen Start im DLV-Trikot würde ich mich aber auch sehr freuen.
Steht für Sie in Minsk der Teamgeist im Vordergrund oder konzentrieren Sie sich ganz auf sich selbst?
Marike Steinacker:
Im Wettkampf werde ich mich definitiv auf mich konzentrieren, damit ich auch mit einer guten Leistung zum Erfolg des Teams beitragen kann. Aber nach meinem Wettkampf werde ich selbstverständlich auch meine Teamkollegen anfeuern.
Nach Minsk ist vor Tokio. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, bei den Olympischen Spielen für Deutschland starten zu dürfen?
Marike Steinacker:
Ich denke, ich habe ganz gute Chancen. Es wird natürlich wieder sehr eng, weil die anderen wieder weit werfen werden. Das hat aber auch Vorteile, so bleibt das Niveau im deutschen Diskuswurf konstant hoch. Ich habe noch viele Reserven. Wenn es mir gelingt, mein Potenzial auszuschöpfen, kann es definitiv klappen mit dem Olympiastart. Ich werde auf jeden Fall alles geben und möchte mir diese einmalige Chance nicht nehmen lassen.
Was muss passieren, damit Sie am Ende des Jahres 2019 sagen: „Es war die perfekte Saison“?
Marike Steinacker:
(überlegt) Ideal wäre es natürlich, wenn ich in Minsk noch die Olympianorm werfen könnte (Anmerkung: 63,50 m) und dort auch eine gute Platzierung herausspringt. Ob das klappt, kann ich im Vorfeld natürlich noch nicht sagen. Aber auch so bin ich mit meiner Saison sehr zufrieden. Ich hatte bis zum Schluss Spaß, was ich in den letzten Jahren nicht immer behaupten konnte.