Er hat einen extravaganten Weg gewählt: Der Leverkusener Zehnkämpfer Johannes Hock trainiert seit 2013 an der Universität in Austin (USA) mit der Trainingsgruppe um Doppel-Weltmeister Trey Hardee. Aus einem Austauschsemester wurde ein Langzeitprojekt, aus dem der 22-Jährige als Sieger der letztjährigen US-Collegemeisterschaften eine starke Bestleistung von 8.293 Punkten stehen hat. Nach einem verletzungsbedingten Übergangsjahr will der „Cowboy“ 2015 wieder in solche Regionen vorstoßen und die deutsche Zehnkampf-Konkurrenz aufmischen.
„Ich wollte sehen, was die Amerikaner anders machen. Warum sind die alle so schnell, warum springen die alle so weit?“, nennt Johannes Hock einen der Beweggründe für den Umzug in die USA. Eigentlich war nur ein Auslandssemester geplant, doch die University of Texas in Austin und einer der derzeit besten Zehnkämpfer der Welt, Trey Hardee, waren Verlockung genug, um eine neue Trainingsstätte aufzuschlagen. Die Chance, Einblicke in die zweite große Zehnkampfnation neben Deutschland zu bekommen, wollte er sich nicht entgehen lassen. Eine Bauchentscheidung.
Was machen die Amerikaner nun anders? „Es wird generell mehr Wert auf Athletik gelegt. In Deutschland trainieren wir mehr technikorientiert“, erklärt Hock. „Gerade im ersten Jahr hier hatte ich Zuwächse im Kraft- und Schnelligkeitsbereich, die ich im Mehrkampf direkt umsetzten konnte.“ Das Programm ist straff. Während viele noch schlafen und es draußen dämmert, stemmt er Gewichte und absolviert Kniebeugen. Um 6.30 Uhr beginnt die erste Trainingseinheit. An diese frühen Trainingszeiten musste sich der College-Athlet erstmal gewöhnen.
Quantensprung nach einem halben Jahr USA
Das Training bei Mario Sategna, das Nachmittagsblöcke bis zu vier Stunden vorsieht, scheint angeschlagen zu haben. Nach ein paar Monaten steigerte der Deutsche Juniorenmeister von 2012 seine Bestleistung vergangenes Jahr in Waco um über 400 Zähler auf 8.293 Punkte – das Durchbrechen der 8.000-Punkte-Grenze mehr als geschafft, vier Wochen später auf gleichem Niveau (8.267 Punkte) den Titel als US-Collegemeister eingefahren und bei der Siegerehrung von Weltrekordler Ashton Eaton beglückwünscht.
Mit dieser Leistung reiste der U20-EM-Dritte von 2011 als Medaillenfavorit zu den U23-Europameisterschaften nach Tampere (Finnland). Doch dort musste Hock den Wettkampf nach einem durchschnittlichen ersten Tag abbrechen. Probleme mit dem rechten Ellbogen, der geschont werden sollte, um einen Sehnenabriss zu verhindern. Noch im gleichen Sommer ließ er sich operieren, ein prägendes Ereignis für den Verlauf dieser Saison.
„Ich muss gestehen, dass ich die Folgen der OP und wie lange das dauert, bis man wieder komplett alles machen darf, unterschätzt habe “, beschreibt Hock im Nachhinein. Der Sportstudent dachte, er könne nach der Rehabilitation diesen Sommer sogar um die EM-Norm für Zürich (Schweiz) mitreden. Dass er es kaum erwarten konnte, zeigt sein erster Mehrkampf des Jahres: Für die gelungene Qualifikation zu den US-Studentenmeisterschaften bestritt der College-Athlet den Speerwurf im Mai noch mit dem linken Arm, 35,79 Meter die magere Ausbeute.
Kaum Technikeinheiten vor Mission Titelverteidigung
Die Titelverteidigung der Studentenkrone in Eugene war das große Ziel. Nach Tag eins lag Hock 33 Punkte über seiner Bestmarke aus dem Vorjahr. Aber schwierige Bedingungen an Tag zwei („wechselnde Winde, ein bisschen Regen hier und da“) machten sichtbar, dass nach einer geringen Anzahl an Technikeinheiten („eine Hand voll Sprünge und Würfe“) die Konstanz fehlte, die nur eine komplette Vorbereitung bringt. Nachdem vieles schief lief, wie Stabhochsprung (4,40 m), führten 8.092 Punkte diesmal nur zum Vizetitel - weit entfernt von einer EM-Teilnahme.
Neben der Enttäuschung stand immerhin der dritte 8.000-Punkte-Zehnkampf und die objektive Saisonbilanz hat noch mehr zu bieten: Platz vier in der DLV-Bestenliste vor Ex-Europameister Pascal Behrenbruch (LG Eintracht Frankfurt), Position eins bei den Junioren und Nummer drei in der Europäischen Bestenliste der U23. Trotz kritischer Selbsteinschätzung kann er das Jahr rückblickend als Übergangsjahr einordnen. Er konnte sieben Monate lang nicht trainieren wie ein normaler Zehnkämpfer. „Nüchtern betrachtet bin ich schon weit gekommen“, deshalb sein Fazit.
Diskus die große Stärke
Dazu gehören auch drei Steigerungen in Einzeldisziplinen diesen Sommer. Die Diskusscheibe schleuderte Hock bei den BIG 12 Conference auf 55,20 Meter. Diese Weite hätte in Zürich fünf Meter Abstand zur restlichen Konkurrenz bedeutet und demonstriert wie das Kugelstoßen (16,31 m) seine großen Stärken. „Die Würfe liegen mir und machen mir absolut Spaß.“
Auch über 110 Meter Hürden rannte der Mehrkämpfer mit 14,56 Sekunden Bestleistung. Auf der Stadionrunde gab es in Eugene eine Verbesserung auf 49,48 Sekunden, nur der Rückenwind (+2,3 m/sec) verblies die neue 100-Meter-Bestzeit (10,69 sec). „Lieblingsdisziplin ist, was gerade gut läuft“, scherzt der Sportler, also meistens die Würfe.
In die Zukunft blickt Hock optimistisch. Diesen Herbst konnte der Athlet mit bayerischen Wurzeln ohne Einschränkungen in die Saisonvorbereitung starten. Zuvor hatte er im Juli bereits die Saison beendet, um dem Ellenbogen eine dreimonatige Pause zu gönnen. Daher war der Einstieg im Oktober „von Null ins extreme Training schon hart“. Den Stundenplan hat er außerdem ziemlich vollgepackt, abends viele Hausaufgaben, damit im Mai der Bachelor-Abschluss folgt. „Aber ich krieg’s schon hin“, lacht er. Ob er den Master anschließt, hängt davon ab wie 2015 läuft.
Richtung 8.300 Punkte
Für das kommende Jahr hält es Hock für realistisch, dass es über 8.300 Punkte gehen kann. Das wäre die Standardregion des EM- und WM-Siebten Rico Freimuth (SV Halle), der dieses Jahr mit drei 8.300er-Mehrkämpfen die IAAF-World-Challenge-Wertung gewann. Dennoch will der Auslandsstudent seine Ambitionen auf einen internationalen Startplatz nicht zu sehr forcieren. „Ich lass das dieses Jahr einfach mehr auf mich zukommen, das Training läuft gut.“
Von der „rosigen“ deutschen Zehnkampf-Situation ist der Leverkusener angetan. Wer gesund durch den Winter kommt, an dessen Ende zwei Hallen-Siebenkämpfe geplant sind, hat die Grundlagen für den Kampf um die WM-Tickets für Peking (China). „Jeder macht sein Ding und dann sollen die besten drei fahren.“ Favorisiert sieht Hock die Zürich-Teilnehmer, Arthur Abele (SSV Ulm 1846; 8.477 Punkte), Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied; 8.471 Punkte) und Freimuth. Dazu kommt Vize-Weltmeister Michael Schrader (SC Hessen Dreieich; 8.670 Punkte) von seiner Knieverletzung zurück.
Während einige seiner DLV-Disziplinkollegen im Top Team-Trainingslager in Südafrika weilen, stellt Hock seinen Anlauf zur ersten Hürde bei sonnigen 20 Grad in Texas um. Er geht nun experimentell mit dem ungewohnt anderen Bein vorne in den Startblock („total komisch“) und kommt dafür mit sieben statt acht Schritten zur ersten Hürde – der allgemeine Trend („Trey Hardee macht das“), um nicht zu nah dran zu sein, besser in den Rhythmus zu kommen und damit Punkte rauszuholen. Im Vergleich zu Top-Hürdler Abele (13,55 sec) ist Hock um fast eine Sekunde langsamer.
Kein Platz für Götzis im College-Kalender
Weiteres Verbesserungspotential gibt es im Stabhochsprung („Da ist von meinen physischen Voraussetzungen noch viel drin.“) und im Speer (in Eugene landete ein mit der Fußspitze übertretener Versuch aus kurzem Anlauf bei 64 Meter). Den Bachelor in Sports Science in der Tasche kann Hock 2015 den ersten Zehnkampf im Jahr bei den BIG 12 Conference-Meisterschaften (15. bis 17. Mai) auch wieder mit rechts werfen, bevor er im Juni erneut Angriff auf den College-Titel nimmt.
Für das Mehrkampf-Meeting in Götzis (Österreich; 30./31. Mai), das dieses Jahr Vorbild Hardee vor Kazmirek gewann, ist in seinem amerikanischen Studenten-Wettkampfkalender „leider, leider“ kein Platz. „Das ist schade, aber nicht anders zu machen.“ Das Meeting fällt genau zwischen die zwei großen US-Zehnkämpfe, die Conferences Mitte Mai und die US-Studenten-Meisterschaften (10. bis 13. Juni) vier Wochen später. „Drei Zehnkämpfe in einem Monat, da könnte man jeden in die Tonne treten.“
Die College-Saison in den USA geht früher los als der internationale Wettkampf-Plan. Der Teil der Trainingsgruppe mit Hock ist daher den Götzis-Startern Hardee und Ingmar Vos (Niederlande) um zwei Wochen voraus. „Wir trainieren meistens die gleichen Disziplinen zur gleichen Zeit, aber teils mit anderen Inhalten.“ Im Gegensatz zu den beiden Profis muss das Training der Studenten mit den Uni-Kursen abgeglichen werden, was auch Einheiten bei schlechterem Wetter verlangt. Nachts und vormittags ist es zu dieser Jahreszeit sehr kalt, erst nachmittags wird es bei Sonnenschein warm.
WM oder DM im August?
Über die Ferne hält Hock den Draht zu Leverkusen. Von seinem Verein in der Heimat erhält er die Freiheit und volle Unterstützung bei seinem Auslands-Trip, wofür er sehr dankbar ist. Sein Trainer Axel Berndt ist immer auf dem Laufenden. „Nach den Wettkämpfen gibt es jedes Mal ein Update, auch darüber wie ich mich gefühlt habe, was gut, besser oder schlecht lief.“ Berndt muss im Bilde des Trainingszustandes seines Schützlings sein, denn: Johannes Hock wird im Sommer in Deutschland trainieren.
Er will nächstes Jahr einen späten Zehnkampf bestreiten, um sich für die Zukunft für das Timing internationaler Höhepunkte zu rüsten. Sollte es mit der WM in Peking (29. August bis 6. September) noch nicht klappen, plant der Auswanderer, das rot-weiße Trikot bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften (15./16. August) überzustreifen – mit Sicherheit ein Gewinn für die nationalen Titelkämpfe und womöglich der Beginn einer Rückkehr nach Leverkusen. Mit amerikanischem Wissen im Rucksack. „Das kann ich mir auf jeden Fall vorstellen, wenn dieses Kapitel fertig ist.“