| Porträt

Jackie Baumann - Behutsame Schritte zur eigenen Karriere

Nicht viele haben Jackie Baumann zu Beginn der Saison als Kandidatin für die U20-Weltmeisterschaften in Eugene (USA; 22. bis 27. Juli) gesehen. Noch nie zuvor war die 400 Meter-Hürden-Läuferin für die Nationalmannschaft nominiert worden. In Eugene könnte sie es jetzt sogar bis ins Finale schaffen.
Alexander Mühlbach

Die letzten 100 Meter des Rennens lief Jackie Baumann ganz alleine. Niemand war mehr vor ihr und die anderen Teilnehmerinnen hatte sie schon nach der halben Stadionrunde hinter sich gelassen. Der Sieg bei den Deutschen Team-Meisterschaften in Braunschweig war ihr so gut wie sicher. Aber Baumann war der Sieg egal. Alles was zählte, war der Kampf gegen die Uhr.

Denn die Norm für die U20-Weltmeisterschaften in Eugene lag bei 59,65 Sekunden. Das war Baumanns Saisonziel. Allerdings war sie in ihrer Karriere noch nie unter 60 Sekunden geblieben. Heute sagt sie, dass sie damals vor dem Lauf extrem nervös gewesen sei. Dass sie ich selbst sehr viel Druck gemacht habe. Und nun musste sie die letzten Meter auch noch alleine zurücklegen.

Aufhalten ließ sie sich davon nicht. Am Ende pulverisierte die Athletin der LAV Stadtwerke Tübingen die U20-WM-Norm in 58,42 Sekunden und katapultierte sich auf Platz fünf der deutschen Jahresbestenliste der Frauen. Man wollte kaum seinen Augen trauen, wie scheinbar mühelos sie die letzten Hürden überquerte. Dabei war sie in der Leichtathletikszene noch nie besonders aufgefallen. Letztes Jahr holte sie bei den Deutschen Jugendmeisterschaften Bronze. Das Jahr zuvor war sie nur Siebte. Noch nie trug sie das Trikot der Nationalmannschaft. Jetzt fährt sie zu den Weltmeisterschaften nach Eugene. Wie ist das möglich?

Trainingseinheiten verändert

Ein paar Wochen später sitzt Baumann auf einer Bank an ihrer Tübinger Trainingsstätte. Gerade hat sie das letzte Hürdentraining vor ihrem Abflug in die USA absolviert. „Dadurch, dass ich keine Trainingspartnerin habe, muss ich sowieso immer gegen mich selbst und die Zeit laufen“, sagt sie und versucht ihren „Sturmlauf von Braunschweig“, wie lokale Medien ihre Zeit vermeldeten, zu erklären. „Immer alleine laufen härtet ab.“ Man merkt schnell, dass es vor allem der Ehrgeiz ist, der Baumann antreibt.

Viel hatte sie an ihrem Trainingsablauf im letzten Jahr geändert. Hat die Anzahl der Einheiten erhöht und auch intensiver trainiert. „Ich habe gelernt weiterzumachen, wenn es mal weh tut“, sagt Baumann. Sie ist fokussierter geworden, hat viel an Kraft und Technik gearbeitet und ist dafür sogar ein paar Mal in der Woche von Tübingen nach Stuttgart gefahren. Während sie früher im Training öfter mal von Selbstzweifeln geplagt wurde, spult sie heute ihre Programme ohne große Worte ab.

„Ich bin wirklich zufrieden mit meiner Trainerin“, sagt sie und lacht. Sie könnte das jetzt nur aus Nettigkeit sagen. Aber Jackie Baumann meint das ernst. Sie wird von ihrer Mutter Isabelle Baumann gecoacht.

Familiengeschichte als Hindernis und Ansporn

Isabelle Baumann war früher einmal Langstrecken-Bundestrainerin und hat unter anderem 5.000-Meter Olympiasieger Dieter Baumann trainiert. Auch das ist Teil von Jackie Baumanns Leichtathletik-Karriere. Von vielen wird sie immer nur als Tochter des Olympiasiegers gesehen. Dabei will Jackie Baumann ihre eigene Karriere aufbauen. „Klar hatte mein Vater eine unglaubliche Zeit in der Leichtathletik“, sagt sie. „Aber ich bin nicht mein Vater.“

Dass Jackie Baumanns Stern nun ebenfalls in der Leichtathletik aufgehen soll, ist wohl die Ironie des Schicksals. Viele Sportarten hatte sie zuvor ausprobiert, war im Basketball-, Fußball-, Reit- und Turntraining. Mit elf Jahren ist sie dann aber doch auf der Leichtathletikbahn gelandet. „Ich bin einfach viel lieber eine Individualsportlerin“, sagt sie. „Und ganz ehrlich? Irgendwie war das doch die logische Konsequenz bei dieser Familiengeschichte.“

Doch nicht zu langsam

Über Jahre hinweg hat Isabelle Baumann ihre Tochter behutsam aufgebaut und langsam vom Mehrkampf an die 400 Meter Hürden herangeführt. Dabei war am Anfang überhaupt nicht klar, welche Disziplin der 18-Jährigen liegen würde. Jackie Baumann liebte es zwar schon immer schnell über die Hürden zu laufen, weil „man dort immer was zu tun hat und nicht über seine eigene Müdigkeit nachdenken kann“, dennoch war sie für die 100 Meter Hürden zu langsam.

Also stieg sie komplett auf die 400 Meter Hürden um. Das war vor zwei Jahren. Jackie Baumann sagt, dass auch dieser lange Findungsprozess und der behutsame Aufbau einer der Gründe sei, warum sie zuvor nie das Nationalmannschaftstrikot übergestreift hatte: „Mein Ziel ist es nicht unbedingt Jugend-Weltmeisterin zu werden, sondern über Jahre hinweg erfolgreich zu sein.“

Eugene als Etappenziel

Keine Sekunde zweifelt Jackie Baumann daran, dass es klappen kann. Auch in den kommende Jahren will sie auf Kontinuität bauen und nichts an ihrem Umfeld ändern. Die Trainingsstätte in Tübingen ist nur wenige Meter von zu Hause entfernt. Für ihr Lehramtsstudium in Mathematik und Sport hat sie sich an der Uni Tübingen eingeschrieben.

Und die Trainerin? An ihr gibt es sowieso nichts zu rütteln. „Meine Mutter ist meine beste Freundin“, sagt Jackie Baumann. Natürlich reden sie auch ab und zu beim Abendessen über das Training und den Sport. Dennoch ist es nicht so, dass der Haussegen nach schlechten Resultaten schief hängt. „Wir diskutieren die Fehler dann aus. Streiten bringt nichts“, sagt Baumann.

Irgendwann einmal soll sie genau dieses Umfeld zu Olympia führen. Die U20-Weltmeisterschaften _ ein Etappenziel in Baumanns großem Plan. „Ich versuche dort einfach internationale Erfahrung zu sammeln“, sagt sie. Ein bestimmtes Ziel hat sich Baumann für Eugene nicht vorgenommen. Momentan liegt sie in der U20-Altersklasse auf Rang elf der Welt. „Wenn ich das abrufen kann, was ich in dieser Saison schon gezeigt habe, dann sollte ich ins Finale kommen“, sagt sie. „Das wäre schön."

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