Im Vorfeld der WM hatte sich im Dreisprung ein spannender Kopf-an-Kopf-Zweikampf angedeutet, doch dann packte Christian Taylor in Peking (China) die ganz große Keule aus. Der US-Amerikaner flog auf 18,21 Meter und damit nur acht Zentimeter am Weltrekord vorbei. Seither ist klar: das 20 Jahre alte Maß wackelt.
Zwei Jahrzehnte schien der Dreisprung-Weltrekord wie in Stein gemeißelt. Die 18,29 Meter des Briten Jonathan Edwards, 1995 bei der WM in Göteborg (Schweden) in den Sand gesetzt, galten lange als unumstößliches Monument. Nunmehr rütteln gleich zwei Athleten an diesem Denkmal. Christian Taylor (USA) und Pedro Pablo Pichardo (Kuba) haben ihre Disziplin in diesem Sommer gehörig in den Fokus gerückt.
Bei der WM in Peking flog Christian Taylor mit dem zweitweitesten Sprung aller Zeiten nur minimal an der globalen Bestleistung vorbei. In einem dramatischen Finale behielt der 25-Jährige mit imposanten 18,21 Metern die Oberhand. Der Mitbewerber musste sich am Ende mit 17,73 Metern doch deutlich geschlagen geben. Pichardo, erst 22, hatte bis dato mit 18,08 Metern die Saison-Rangliste angeführt.
Weitgereist und vom Erfolg verwöhnt
Für Christian Taylor war es nach Doha (18,04 m) und Lausanne (18,06 m) bereits der dritte Wettkampf in diesem Jahr, in dem der US-Amerikaner die magische 18-Meter-Marke knackte. 2011 wurden für ihn in Daegu (Südkorea) 17,96 Meter gemessen. Da war er 21 und wurde jüngster Dreisprung-Weltmeister aller Zeiten. Ein Jahr später folgte in London (Großbritannien) olympisches Gold.
2013 dann eine Rückwärtsentwicklung: Bei der WM in Moskau (Russland) sprang nur Platz vier heraus. „Ich hatte einfach nicht mehr drauf. Ich war mental nicht voll da, das innere Feuer brannte nicht. Vielleicht hatte ich auch den Umzug noch nicht ganz verkraftet“, spielt Christian Taylor auf einen ungewöhnlichen Ortswechsel an: Ende 2012 hatte er seine Zelte an seinem Studienort Gainesville im US-Bundesstaat Florida abgebrochen und war in die britische Kleinstadt Loughborough gezogen.
Über England in die Niederlande
Die Entfernung: mindestens 15 Flugstunden. Hintergrund: Sein Trainer Rana Reider war eine Verpflichtung beim britischen Leichtathletikverband eingegangen. Ende letzten Jahres dann die nächste Veränderung: Der 45-Jährige übernahm Verantwortung beim niederländischen Leichtathletikverband. Zur Trainingsgruppe gehört seither auch Hürdensprinterin Beate Schrott (Österreich). Domizil: das Sportzentrum Papendal bei Arnheim in der Nähe der deutschen Grenze.
Auf dem Gelände befindet sich auch ein Golfplatz. Dort schwingt Christian Taylor mit Vorliebe den Schläger. „Es ist die gleiche Denkweise wie beim Dreisprung“, so die Erklärung. „Wenn du abschlägst bevor du nachdenkst, triffst du das Loch nicht. Die Flugkurve muss genau austariert sein“, weiß der Allrounder, der auch Skateboard fährt. „Damit bin ich in Florida rund um den Campus gekommen. Insofern bewahre ich mir damit ein Stück Heimat.“
Sprungbein gewechselt
Dass er mit seinen Kräften haushalten muss, weiß Christian Taylor. Jahrelange Belastungen haben ihren Tribut gefordert. Als das linke Knie aufgrund einer Arthrose mehr und mehr schmerzte, wechselte er das Spungbein und wurde Rechtsfuß. Dazu stellte er die Technik grundlegend um - rein koordinativ eigentlich ein unmögliches Unterfangen. „Ich dachte mir, ich muss etwas ändern, sonst versinke ich im Mittelmaß“, so der Olympiasieger und zweifache Weltmeister,
Dass der Versuch dennoch gelang und Christian Taylor in der abgelaufenen Saison besser war denn je, liegt möglicherweise an seiner Hartnäckigkeit, aber auch an seiner Vielseitigkeit. Ein Beweis dafür: Der Hausrekord im Weitsprung liegt bei 8,19 Metern. Seine Bestzeit über 400 Meter: 45,17 Sekunden. Im April gehörte er zum US-Quartett über 4x400 Meter, das auf den Bahamas den Weltmeister-Titel holte.
Rekord per Video analysiert
Schon vor seinem Sieg bei der U18-WM 2007 in Ostrava (Tschechische Republik) hatte Christian Taylor, der in Long Island an der Ostküste Nordamerikas geboren wurde und 40 Kilometer von Atlanta entfernt aufwuchs, im Football Talent unter Beweis gestellt. Sein damaliger Coach Dick Booth erkannte: „Er ist gut in jeder Beziehung. Vor allem aber ist er schnell. Und er hat keine Scheu vor vielen Wettkämpfen. Er weiß, dass sie ihn stark machen.“
Als Jonathan Edwards Weltrekord sprang, war Christian Taylor fünf Jahre alt. Das Video des Rekord-Satzes hat er inzwischen dutzendfach studiert. „Sein Bewegungsablauf wirkt wie ein Stein, der ganz dicht über die Wasseroberfläche flitscht. So federnd, so schnell. Einzigartig“, schwärmt der potenzielle Nachfolger.
„Ich habe so viel Respekt vor diesem Mann und der Leistung. Aber ich bin hungrig darauf, genauso zu springen und den Rekord zu holen“, erklärt Christian Taylor mitreißend energiegeladen. Da brennt einer.