Nach ihrem vierfachen Bänderriss beim ISTAF 2018 kämpft sich Weitspringerin Alexandra Wester (ASV Köln) langsam wieder heran. Mit ungewöhnlichen Methoden arbeitet die 25-Jährige an ihrer Rückkehr. Der erste Wettkampf ist für Juni geplant.
Wer auf YouTube nach Videos von Weitspringerin Alexander Wester sucht, der bekommt es gleich als ersten Treffer serviert: Die Szene vom 2. September 2018, als sie beim ISTAF im sechsten Versuch übel umknickte und sich dabei einen vierfachen Bänderriss im rechten Sprungfuß zuzog. Ausgerechnet in Berlin passierte das Malheur, das die Athletin vom ASV Köln zu einer OP zwang und sie monatelang außer Gefecht setzte. In jener Stadt also, in der sie 2016 beim ISTAF Indoor mit einem Satz auf 6,95 Metern überhaupt erst in die Weltspitze vorgestoßen war.
"Berlin ist bei mir ein Cocktail der Gefühle“, sagt Alexandra Wester. Sie hofft nun, dass die nächste Zutat wieder deutlich weniger bitter ausfällt. <link>Bei den Deutschen Meisterschaften im Olympiastadion am 3./4. August soll sich für die 25-Jährige der Kreis schließen. Bis dahin will sie wieder so weit sein, dass sie mit den besten Weitspringerinnen des Landes mithalten kann.
Bloß nicht ungeduldig werden
Dafür trainiert Alexandra Wester hart. Gerade erst war sie aus dem Trainingslager in Los Angeles (USA) zurückgekehrt, da ist sie am Sonntag schon wieder ins nächste aufgebrochen, dieses Mal ins türkische Belek. Zehn Tage wird sie dort bleiben. Die Spikes hat sie zwar eingepackt, doch hauptsächlich wird sie dort wohl auf Sand oder Rasen trainieren, um den rechten Fuß nicht gleich übermäßig zu belasten.
„Ich weiß, dass ich geduldig sein muss. Ich gehe bei der Belastung nach meinem Bauchgefühl: Lieber warte ich zwei Wochen länger, als es zu überstürzen und damit am Ende zu riskieren, dass ich mich erneut verletze“, sagt sie.
Dabei kommt es ihr entgegen, dass in dieser Saison sowohl die Deutschen Meisterschaften als auch die WM in Doha (Katar; 28. September bis 6. Oktober) deutlich später stattfinden als sonst. Ihren Saisoneinstieg hat Wester auch erst für Juni geplant, wobei sie zum Auftakt vermutlich erst einmal einen Sprint absolvieren wird. Der erste Sprungwettkampf ist dann für den darauffolgenden Monat geplant. „Es kann durchaus sein, dass ich vor den Deutschen Meisterschaften nur einen einzigen Weitsprung-Wettkampf mache“, sagt sie. Die Weite sei dabei nebensächlich: „Wichtig ist, dass ich gesund und mit einem guten Gefühl aus dem Wettkampf herausgehe“, so Wester.
Krabbeln wie ein Bär in Kalifornien
Auch für die Entscheidung, in Kalifornien zu trainieren, hat die Kölnerin zuletzt auf ihr Bauchgefühl gehört. Von Dreispringerin Jessie Maduka (ART Düsseldorf) hatte sie den Tipp bekommen, dass an der University of California in Los Angeles (UCLA) mit Danny Williams ein Sprungtrainer tätig ist, von dem zumindest Jessie Maduka absolut begeistert war.
Nachdem Wester mit ihm Kontakt aufnahm, hatte auch sie den Eindruck, dass es mit ihm gut passen könnte. Und ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht: „Danny hat sehr viel Ahnung, vor allem was die Grundlagen angeht. Das ist genau das, was ich in meiner Situation brauche, bevor ich wieder richtig ins Techniktraining einsteige,“ sagt sie. Mit ihrem Heimtrainer Ulrich Knapp hielt sie während des Aufenthalts in Kalifornien trotzdem stets Rücksprache.
„Meine Form ist durch die Zeit in den USA so viel besser geworden“, erzählt Alexandra Wester. Sie probierte dort Übungen aus, die sie nie zuvor gemacht hatte, etwa den „Bear Crawl“, also das Krabbeln wie ein Bär: auf allen Vieren mit dem Kopf voran die Treppen hinab, und das zum Teil auch noch mit Gewichtsweste. „Das war sehr anstrengend, aber es hat auch unheimlich viel gebracht“, berichtet sie. Außerdem machte sie viele turnerische Übungen, die ihr vor allem bei der Landung weiterhelfen sollen. Das Besondere: „Danny hat immer ganz genau auf die Feinheiten geachtet.“
Charity-Aktion sorgt für Tränen
Dass auch kleine Dinge sehr viel bewegen können, hat Alexandra Wester während ihrer Verletzung auch noch auf andere Weise erlebt. Im Rahmen der von ihr initiierten Charity-Aktion „Smiling Kids of Africa“ sammelte die Weitspringerin insgesamt über 600 Paar ausrangierter Sportschuhe, mit denen sie vor allem Kindern und Jugendlichen in ihrer Heimat Gambia eine Freude machte.
Auch viele Leichtathleten beteiligten sich an der Aktion und spendeten Schuhe, darunter Disziplinkollegin Sosthene Moguenara (TV Wattenscheid 01), Sprinterin Tatjana Pinto (LC Paderborn) sowie der frühere Diskuswerfer Robert Harting (SCC Berlin).
Im Februar flog Alexandra Wester dann nach Gambia, um die Schuhe persönlich zu überreichen. Dabei erlebte sie das Elend hautnah: Familien lebten in Wellblechhütten, viele Kinder hatten zerrissene Kleidung und keinerlei Schuhwerk.
Bei der Verteilung der Schuhe kam es zu erschütternden Szenen, als sich die Ärmsten der Armen regelrecht um die Schuhe prügelten. „Ich habe nur noch geheult“, sagt Alexandra Wester. Erst recht, als sie am nächsten Tag von einigen Müttern angesprochen wurde, deren Kinder keine Schuhe mehr abbekommen hatten. „Sie waren trotzdem so dankbar, dass jemand an sie gedacht hat. Da ist mir klar geworden, dass es um so viel mehr geht als um Schuhe. Nämlich um Hoffnung.“
Der Angst ins Auge geschaut
Für Ende 2019 sind weitere Projekte geplant. „Viele haben gesagt: ,Pass auf, dass du dich darin nicht verlierst‘. Aber das Gegenteil ist der Fall: Ich habe darin meine Berufung gefunden“, sagt Alexandra Wester. „Das ist für mich viel größer als irgendeine Weite zu springen.“ Im Vergleich zu den Problemen der Menschen dort wirke auf einmal selbst die schlimmste Blessur harmlos.
Ab und zu merkt sie noch etwas von ihrer Verletzung – wenn sie den Fuß allzu sehr belastet, dann wird er auch jetzt manchmal noch dick. Doch Alexandra Wester hat die Verletzung akzeptiert. Gut möglich, dass eine Vielzahl der Klicks auf YouTube auf ihr eigenes Konto gehen. Noch am selben Abend, als sich der Vorfall in Berlin ereignete, schaute sie sich das Video wieder und wieder an, bis es sie irgendwann nicht mehr reizte. „Man muss seiner Angst ins Auge schauen“, sagt sie. Alexandra Wester hat daraus ganz neue Motivation gezogen.