Mit einem Achillessehnen-Riss beim Aufwärmen für den Hürdensprint platzten im Sommer in Paris schon vor der ersten Disziplin alle Olympia-Träume von Sophie Weißenberg. Etwa fünf Monate sind seitdem vergangen. Wie die Siebenkämpferin aus Leverkusen diese Monate erlebt hat, mit welchem Mindset sie ihren Weg zum Comeback bestreitet und wann wir sie wieder im Wettkampf sehen können, erfahren Sie in unserem großen Interview.
Sophie Weißenberg, lassen Sie uns angesichts Ihrer schweren Verletzung mit der naheliegendsten Frage starten: Wie geht es Ihnen heute?
Sophie Weißenberg:
Gut. Sehr gut! Wenn ich die Frage rein auf den Fuß beziehe, dann ging es bis jetzt eigentlich nur bergauf. Mal mehr, mal weniger, aber bisher wurde es immer stetig besser. Alle sind super happy. Im Trainingslager in Südafrika haben zuletzt auch noch mal ein paar neue Leute auf den Fuß geschaut: Ärzte, Physios, Chiropraktiker. Und dort habe ich immer sehr gutes Feedback bekommen. Es ist schön, das zu hören.
Viele nehmen den Jahreswechsel zum Anlass, für das zurückliegende Jahr Bilanz zu ziehen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf 2024?
Sophie Weißenberg:
Ich bin gar nicht so der Typ, der das Jahr rekapituliert. Aber wenn man auf Instagram die Recap-Videos sieht und alle sagen: „Was für ein tolles Jahr, mit den Olympischen Spielen das beste Jahr…“ – da habe ich dann auch mal drüber nachgedacht. Es steht außer Frage: Sportlich war es einfach nicht mein Jahr. Vom Hürden-Malheur in Götzis [Anm. d. Red.: Ausstieg nach Stolperer] über die EM in Rom [Abbruch mit Fersenproblemen] bis Paris.
Aber ich blicke trotzdem nicht auf 2024 zurück und denke, dass ich das Jahr komplett in die Tonne kloppen möchte. Privat gab es viele Highlights, und sogar im Sportlichen kann ich nicht sagen, dass ich mega unglücklich war. Sportlich war es nicht mein Jahr. Punkt, Aus, Ende. Ich habe ein gutes Gefühl, dass es 2025 wieder besser werden kann.
Olympische Spiele sind die größte Plattform, die die Leichtathletik zu bieten hat – das gilt für Erfolge wie Niederlagen. Wie ist es Ihnen nach Ihrer Verletzung ergangen: Welche Anteilnahme haben Sie erfahren?
Sophie Weißenberg:
Ich war völlig überrumpelt. Es haben mir so viele Leute geschrieben! Es war mir nicht einmal mehr möglich, jede Nachricht zu lesen, es kamen sekündlich neue rein. Das hatte ich noch nie! Und es war zu 99,9 Prozent positive Anteilnahme. Extrem viele Leute haben gesagt, dass es ihnen sehr leidtut, was mir passiert ist. Meine Eltern wurden so oft angesprochen, auch mein Bruder: Ob sie mit mir verwandt sind, wie es mir geht….
Und mir haben auch viele Sportler geschrieben, die sich bereits die Achillessehne gerissen haben. So war ich zum Beispiel mit Katarina Johnson-Thompson oder mit der deutschen 400-Meter-Läuferin Laura Müller im Austausch, die mir geschrieben haben, sie wissen genau, wie ich mich jetzt fühle.
Sie wurden direkt am Tag nach Ihrer Verletzung in München operiert. Wie ging es dann weiter? Haben Sie sofort den Ehrgeiz für die Arbeit am Comeback verspürt?
Sophie Weißenberg:
Ich muss ganz ehrlich sagen: Am Anfang wollte ich gar nichts vom Sport wissen. In den ersten acht Wochen war es super schwer – mit dem Spezialschuh, den Krücken, und ich durfte den Fuß nicht belasten. Ich musste wegen der Physiotherapie zwar ohnehin zur Anlage in Leverkusen und bin dann auch mit in die Halle oder in den Kraftraum gegangen. Aber ich habe schon nach zwei, drei Tagen gemerkt: Nein, das ist gerade nicht mein Weg. Und dann habe ich relativ unkonventionell in der Zeit, in der ich den Boot hatte, einfach mal nichts gemacht. Ich brauchte für den Kopf und für den Körper Abstand, und der hat mir richtig gutgetan.
Wie haben Sie nach der Auszeit wieder den Einstieg ins Training geschafft?
Sophie Weißenberg:
Es fiel mir schon schwer, weil man so viel Arbeit vor sich hat und sich fragt: Wo fange ich denn jetzt an? Zumal das nächste große Ziel in so weiter Ferne liegt. 2025 – vielleicht. Aber die ganz lästige Reha-Phase, in der ich nur Wadenheber mache oder lerne, den Fuß wieder richtig aufzusetzen, ist ja jetzt vorbei. Und dadurch ist es mittlerweile deutlich einfacher geworden.
Gab es in dieser Zeit Menschen, die Sie motivieren mussten weiterzumachen?
Sophie Weißenberg:
Das stand für mich gar nicht zur Debatte. Bis Leute mich gefragt haben, ob ich ans Aufhören denke, hatte das keinen Platz in meinem Kopf. Mein erster Gedanke war nur: Jetzt dauert es erstmal, bis ich wieder da bin, wo ich jetzt war. Für mich war es logisch, dass ich es noch mal probiere. Die Menschen um mich herum haben eher gesagt: Wir unterstützen dich, egal wofür du dich entscheidest.
Sie sprachen zu Beginn den DLV-Lehrgang im November und Dezember in Südafrika an. Wie war es für Sie zurück im Kreis der Nationalmannschaft?
Sophie Weißenberg:
Härter als man denkt. Die eigene Trainingsgruppe macht Läufe, sprintet über Hürden, gibt Vollgas. Das habe ich ja auch gemacht – aber in einem ganz anderen Setting. Ich habe in der Reha Gas gegeben. Obwohl man sich auch verausgabt, ist das etwas anderes. Ein Highlight war für mich, dass ich zumindest die Einheiten im Kugelstoßen und Speerwerfen mitmachen konnte, auch wenn das ganz weit weg war von dem, was die anderen gemacht haben. Auf der einen Seite fällt es schwer zu sehen, wie die anderen durchstarten. Auf der anderen Seite ist das, was ich schon jetzt machen kann, auch ein großer Erfolg.
Sind das Momente, in denen Sie mit der Verletzung hadern und mental zu kämpfen haben?
Sophie Weißenberg:
Natürlich ist eine Achillessehnen-Ruptur eine der größten Verletzungen, die man sich im Sport zuziehen kann. Aber es ist komisch: Es fühlt sich für mich gar nicht so an, als wäre mir das wirklich passiert. Ich bin nicht so stark eingeschränkt, ich habe keine so starken Schmerzen. Bisher ist alles so reibungslos verlaufen, dass es mir gar nicht so erscheint, als wäre es ein großes Ding, dass ich jetzt wieder laufen kann. Da ist es sicher manchmal ganz gut, wenn einem das andere wieder vor Augen führen – andererseits muss man auch selbst eine gute Balance finden und sich nicht zu sehr reinsteigern.
Was geht denn heute schon im Training, und wo müssen Sie noch besonders vorsichtig sein?
Sophie Weißenberg:
Bei den meisten Dingen muss ich noch vorsichtig sein. Standstöße gehen super gut, Speerwerfen aus dem Angehen auch. Gehen, Fußstabi, Wadenheber. Im Kraftraum kann ich auch schon mit weniger Gewicht umsetzen oder reißen. Ich kann aber noch keine schnellen Schritte machen, nichts Schnell- oder Explosivkräftiges. Gerade liegt unser Fokus darauf, die Sehne wieder etwas elastischer zu kriegen. Dann nähern wir uns über das schnelle Gehen ans langsame und dann schnellere Laufen, vielleicht ein paar ABC-Übungen, Hürden-Koordination… Das wird alles in den nächsten Wochen passieren.
Spielen bei der Gestaltung dieses Prozesses auch Ihre Verletzungserfahrungen aus den Vorjahren eine Rolle?
Sophie Weißenberg:
Ich will lieber ein bisschen zu langsam als zu schnell aufbauen. Es geht mir auch darum, das Körpergefühl wieder aufzubauen. In mich reinzuhorchen und mich zu fragen: Fühlt sich das gut an? Wie geht es mir am nächsten Tag? Ich muss wieder rausfinden, wo meine körperlichen Grenzen sind. Dass ich mental darüber gehen kann, das weiß ich. Aber das ist nicht immer gut.
An Wettkämpfe in der Hallensaison ist wohl noch nicht zu denken. Wie sieht Ihre Planung für den Sommer aus?
Sophie Weißenberg:
Ich bin ohnehin nicht der größte Fan der Hallensaison. Klar ist aber auch, dass ich das erste Mal seit 2019 nicht in Götzis starten werde. Das war immer ein Highlight für mich. Dieses Jahr bin ich nur als Zuschauerin dort. Insgesamt ist es komisch zu wissen, dass die Jahres-Höhepunkte 2025 für mich als Athletin nicht oben auf der Agenda stehen. Im besten Fall kann ich in diesem Jahr noch einen Mehrkampf machen. Ansonsten dann 2026 wieder in der Hallen- oder Freiluft-Saison. Ich stresse mich da nicht. Denn ich möchte nicht in die Situation kommen, dass ich mir Zeitfenster setze, um an Tag X bereit zu sein, und dann merke, dass ich doch länger brauche. Ganz raus bin ich ja trotzdem nicht, ich werde auf jeden Fall Einzelstarts machen.
Mein langfristiges Ziel sind die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Ich möchte einfach einen gesunden und schmerzfreien Körper habe, der dann so eine Saison auch gut übersteht.
Die Britin Katarina Johnson-Thompson hat 2024 vier Jahre nach einem Achillessehnen-Riss Olympia-Silber im Siebenkampf gewonnen, im Alter von 31 Jahren. Wenn die Olympischen Spielen in LA stattfinden, sind Sie 30…
Sophie Weißenberg:
Für mich zeigt das: Es ist möglich. Ein Achillessehnen-Riss ist eine große Verletzung. Aber man hat heutzutage medizinisch so viele Möglichkeiten. Und es haben so viele Athleten vorgelebt, dass man wieder erfolgreich zurückkommen kann.