| Interview

Christina Hering: "So habe ich mir den Abschied immer gewünscht"

© Theo Kiefner
Christina Hering bestimmte die 800 Meter auf nationaler Ebene in den zurückliegenden Jahren wie keine andere: Neunmal wurde sie Deutsche Meisterin im Freien, sechsmal in der Halle. Am Freitag verkündete die 29-Jährige ihr Karriereende. Verabschiedet wird die Münchnerin, die seit zwei Jahren in Berlin lebt, beim ISTAF in Berlin. Im Interview spricht sie über ihre Entscheidung, die letzten Rennen und ihre Pläne nach dem Leistungssport.
Sandra Arm

Christina Hering, mittlerweile haben Sie es öffentlich gemacht: Das 800-Meter-Rennen von Sondershausen am 17. August war ihr letztes. Wie haben Sie es erlebt?

Christina Hering:
Tatsächlich ist schon viel Spannung abgefallen, nachdem sich dieses Jahr meine Ziele nicht erfüllt haben. Seit den Deutschen Meisterschaften sind knapp sechs Wochen vergangen, aber es war mir wichtig, meine Form und den ganzen Trainingsaufwand nochmal zu nutzen. Es hat wirklich Spaß gemacht. Ich wollte natürlich unbedingt gewinnen – es ist nie einfach, aber ich bin stolz, wie ich es gemacht habe.

Ihr Karriere-Ende kommt für viele überraschend...

Christina Hering:
Ich habe mir immer gewünscht, dass ich es aus freien Stücken entscheiden kann, dass ich zufrieden und auf einem hohen Niveau die Leichtathletikbühne verlasse. Jetzt habe ich dieses Jahr klar meine Ziele mit den Europameisterschaften und den Olympischen Spielen verpasst. Ich gehe trotzdem erhobenen Hauptes aus der Saison. Ich bin Deutsche Meisterin geworden, und bin nochmal 2:00 Minuten gelaufen. Ich bin nun zehn Jahre in Folge 2:00 und schneller gerannt. Diese Konstanz hat mir neun DM-Titel und einen festen Platz in der Nationalmannschaft, unter anderem bei zwei Olympischen Spielen und fünf Weltmeisterschaften, beschert.

Ich habe ganz viel erleben dürfen, aber jetzt merke ich einfach, dass ich noch andere Wünsche und Ziele in meinem Leben habe. Ebenso wichtig ist mir meine Gesundheit, sowohl körperlich wie auch mental. Leistungssport ist eine extreme Belastung, egal ob es nach Plan läuft oder nicht, man muss einfach funktionieren. Manchmal hat man das Gefühl, dass man eine Maschine ist – man steht natürlich unter großem Druck. Jetzt ist einfach die Zeit gekommen, ein bisschen mehr Normalität zu haben und mehr Zeit zu Hause zu verbringen.

Wann haben Sie sich erstmals darüber Gedanken gemacht?

Christina Hering:
Ich habe nie in Olympiazyklen gedacht, sondern meist von Jahr zu Jahr. Das Wichtigste ist mir, dass die Leidenschaft bestehen bleibt, ich es wirklich will und nicht den Spaß dabei verliere. Natürlich ergaben sich immer wieder neue Ziele. Insbesondere durch die Olympia- Verschiebung von 2020 auf 2021 ist die Heim-EM in München (2022) in meinen Fokus gerückt. Tatsächlich stand ich nach dieser Heim-EM schon vor der Entscheidung, die Spikes an den Nagel zu hängen. Es war und bleibt mein emotionales Highlight. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich in meinem „Wohnzimmer“ meine beste Leistung abrufen konnte. Der Druck war natürlich schon immens. Ich wurde 1,5 Jahre medial begleitet und es stand immer dieses Finale im Fokus und damit auch in meinem Kopf. Da war ich schon sehr stolz, dass ich das geschafft habe. Es hat mir auch gezeigt, wie eine Meisterschaft im eigenen Land beflügeln kann.

Was hat Sie zum Umdenken bewogen?

Christina Hering:
Ich habe schnell gemerkt, da ist noch eine große Leidenschaft, aber auch der Drang nach Veränderung. Jetzt bin ich rückblickend sehr froh, dass ich vor zwei Jahren den Weg nach Berlin gegangen bin. Ich habe mich nochmal in ein neues Umfeld begeben, es war sehr hart und auch die letzten zwei Saisons haben mich mental sehr viel Kraft gekostet. Mit neuem Trainingsansatz habe ich mich zurückgekämpft. Ich bin dankbar, dass sich Sven (Buggel) der Herausforderung angenommen hat und uns Andreas (Knauer), mein langjähriger Heimtrainer, weiter als Bundestrainer zur Seite stand.

Es war seit dem Wechsel klar, dass nach Paris Schluss ist. Zu Anfang dieser Saison habe ich für mich die Entscheidung final getroffen. In diesem Moment habe ich mir schon gewünscht, beim ISTAF in Berlin (1. September) mein letztes Rennen machen zu dürfen. Dass das jetzt so klappt, ist für mich sehr schön. Es ist nämlich auch mein zehnjähriges Jubiläum, 2014 war ich das erste Mal dabei.

Wie Sie schon ansprachen, Sie haben vor zwei Jahren Ihre Komfortzone in München verlassen und sind nach Berlin gegangen. Mit dem Karriereende schließt sich auch dieses Kapitel. Das ist doch sicherlich ebenfalls ein schwerer Schritt?

Christina Hering:
Ich schaue mit viel Optimismus und Freude auf diese neue Freiheit, weil die letzten Jahren waren durch den Sport vorgegeben und durchstrukturiert. Jetzt steht mir zum ersten Mal alles offen.

In Berlin werden Sie über 600 Meter starten, ihre Paradestrecke sind die 800 Meter, wo Sie sich auf nationaler Ebene mehrfache deutsche Meisterin nennen dürfen. Gibt es einen Titel, der besonders heraussticht?

Christina Hering:
Das ist wirklich schwer, weil es jedes Jahr eine immer neue Herausforderung war. Ich habe mir das Selbstbewusstsein erarbeitet, dass die Deutschen Meisterschaften mein Wettkampf sind. Dieses Jahr war es sehr emotional, weil es meine letzte Chance war, um mich noch für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Da konnte ich den Titelgewinn nur ganz kurz genießen – und dann war ich schon sehr traurig und es hat mir das Herz gebrochen. Aber im Rückblick waren die Deutschen Meisterschaften oft ein Highlight der Saison.

Obwohl Sie sich ihren Olympischen Traum kein drittes Mal erfüllen konnten, sind Sie als Zuschauerin nach Paris gereist. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Christina Hering:
Ich habe mir das gut überlegt. Es war ein großer Fanclub von mir vor Ort – meine engsten Freunde und Familie. Dann wäre es irgendwie komisch gewesen, wenn ich nicht vor Ort gewesen wäre. Zu Hause wäre ich nicht glücklich geworden. Rückblickend bin ich sehr froh, dass ich nach Paris gefahren bin, ich hatte eine super schöne Zeit. Natürlich hätte ich mich aber auch gerne noch einmal mit den besten der Welt auf der Bahn von Paris gemessen.

Obwohl Sie diese Saison nicht nur die Spiele in Paris verpassten, sondern auch die EM in Rom. Wie sind Sie damit umgegangen?

Christina Hering:
Das war wirklich sehr hart. Damit hätte ich auch gar nicht gerechnet, insbesondere da ich gesund und fit auf der Bahn stand. Ein 7. Platz bei der EM 2022 und dann zwei Jahre später gar nicht dabei zu sein, das musste ich erstmal verdauen. Aber so ist eben der Sport. Diese Saison hat mir auch nochmal vor Augen geführt, dass ich mich nicht mehr an Hundertstel messen lassen möchte. Unsere Sportart ist wirklich knallhart, wo jeder auf die Hundertstel genau verfolgen kann, was gerade mein Leistungsstand ist. Da muss man als Athlet sehr aufpassen, sich nicht selbst auf seine erbrachte Leistung auf der Bahn zu reduzieren.

Haben Sie schon konkrete Pläne für die Zeit danach?

Christina Hering:
Dieses Jahr werde ich tatsächlich erstmal ein bisschen Ankommen, und eine größere Reise machen. Ich war weder nach dem Abitur im Ausland oder auf einem College in USA, noch habe ein Auslandssemester gemacht. Ich habe stets an meinem Standort die besten Bedingungen gesehen, sei es zunächst in München und danach in Berlin. Seit zehn Jahren bin ich Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr, das hat mir die volle Konzentration auf den Leistungssport ermöglicht.

Schon lange habe ich mir vorgenommen, wenn ich einmal aufhöre, eine größere Reise zu unternehmen – für mich ein Stück weit als Belohnung und auch um diese unglaubliche Zeit als Leistungssportlerin Revue passieren zu lassen. Es waren doch viele Eindrücke, die ich sammeln durfte. Im neuen Jahr steht der Wunsch nach dem Berufseinstieg an. Ich fühle mich mit meinem Masterabschluss gut vorbereitet und es gibt schon erste Gespräche. Bis jetzt lag der Fokus aber noch auf meinen Wettkämpfen. Größere Reise.

Gibt es ein bestimmtes Land, an das Sie denken?

Christina Hering:
Es ist sicher, dass es für mich nach Australien geht. Dafür habe ich mir zwei Monate vorgenommen. Aber es soll auch nicht zu lange sein, weil ich innerlich den Wunsch verspüre, einfach mal länger zu Hause zu sein, viel Zeit mit meinen Freunden und Familie zu verbringen.

Zieht es Sie dann wieder in Ihre Heimat München?

Christina Hering:
Fest steht, dass ich in den nächsten Wochen viel Zeit in München verbringen werde. Dann muss ich mal schauen, wo es mich beruflich hinzieht. Festlegen möchte ich mich da momentan noch nicht.

Was erwarten Sie bei Ihrem Abschied beim ISTAF in Berlin?

Christina Hering:
Das wird bestimmt sehr emotional. In Sondershausen war ich erst sehr entspannt und plötzlich doch sehr aufgeregt. Das muss auch sein bei einem Wettkampf. Ich bin sehr gespannt, wie es dann beim ISTAF wird. Es werden doch einige Freunde und Familie zu meinem letzten Wettkampf kommen. Sie können es ebenfalls nicht fassen, dass dies mein wirklich letzter Wettkampf ist. So habe ich es mir immer gewünscht, dass nicht jeder darauf wartet, dass ich jetzt endlich mal aufhöre, sondern vielleicht auch einige hoffen, dass ich noch weitermache.

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