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Von der Top-Athletin zur Bundestrainerin: Claudia Marx zwischen Anspruch und Teamleistung

Einst zählte Claudia Marx zu den erfolgreichsten Langsprinterinnen Deutschlands, heute ebnet sie als Trainerin talentierten Nachwuchsathleten den Weg. Im Porträt stellen wir die engagierte Dresdnerin genauer vor und gehen den Fragen nach, warum sie sich so intensiv für die Leichtathletik engagiert und warum der Trainerjob für sie der beste Beruf ist, den es gibt.
Jane Sichting

Noch bevor das Interview beginnt, in dem es vor allem um sie selbst gehen soll, bringt Claudia Marx ihren großen Respekt gegenüber all den anderen Engagierten zum Ausdruck, die in der Leichtathletik immer wieder Großes leisten und dafür sogar Privates hintenanstellen oder gar finanzielle Verluste hinnehmen: „Das ist nur mit gutem Willen möglich und einfach nur verrückt“, sagt sie.

Dabei investiert sie nicht weniger Zeit und Energie in jenen Sport, der sie seit der Grundschule nahezu täglich begleitet. Mit den ersten Erfolgen in der Jugend entwickelte sie sich zu einer der erfolgreichsten deutschen 400- und 400-Meter-Hürden-Läuferinnen und feierte vor allem zu Beginn der 2000er Jahre ihre größten Erfolge – etwa WM-Silber 2001 und EM-Gold 2002 mit der 4x400-Meter-Staffel.

Neben ihrer Leistungssportkarriere studierte Claudia Marx zudem Sportwissenschaften in Berlin und ließ sich im Diplom neben der Fachrichtung Leistungssport auch im Bereich Rehabilitation prüfen. Den Gedanken, einmal in das Trainergeschäft einzusteigen, hatte sie dabei nie: „Der Anspruch, den ich an mich selbst hatte, war viel zu groß, als dass ich diesen auf andere Menschen hätte übertragen können. Schon als Athletin war ich eher überehrgeizig und wollte zu viel. Darum hatte ich Angst, dass ich die jungen Menschen, mit denen ich arbeiten würde, überfordere“, erinnert sie sich.

Je höher der Einsatz, desto mehr kommt zurück

Doch nach dem Wechsel nach Dresden, wo sie unter Dietmar Jarosch trainierte, entwickelte sich immer mehr der Wunsch, nach der aktiven Karriere beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Und so hatte sie nach verletzungsgeplagten Jahren noch vor ihrem letzten Rennen bei den Deutschen Meisterschaften 2010 einen Vertrag als Trainerin beim Leichtathletik-Verband Sachsen unterschrieben – ein fließender Übergang, für den sie sich nur zwei Wochen Urlaub gönnte.

Ihre erste Trainingsgruppe, zu der auch die Dreispringerin Maria Purtsa gehörte, war eine breitgefächerte Mischung aus U18-Athleten, in der nahezu jede Disziplin vertreten war. „Der Job hat alles von mir abverlangt. Doch ich habe schnell gemerkt, dass dies nur geht, wenn du diesen jungen Menschen einen hohen Anspruch gibst und zugleich diesen Anspruch vorlebst. Bis heute erlebe ich, dass umso mehr von den Athleten zurückkommt, je höher mein eigener Anspruch ist und je mehr ich als Trainerin selbst investiere.“

Genau dieses Wechselspiel ist es auch, was Claudia Marx an ihrem Trainerdasein zu schätzen weiß. Zwar ist die Leichtathletik eine Individualsportart und letztlich steht jeder Athlet allein auf der Bahn und muss performen, doch der Weg dahin ist reine Teamarbeit. Wenngleich sie im Moment des Wettkampfes die jeweilige Leistung nicht mehr beeinflussen kann, arbeiten Trainerin und Athlet im gesamten Prozess stets eng zusammen und sind aufeinander angewiesen. Erfolg und Misserfolg sind immer das Ergebnis von Teamarbeit – oder wie Claudia Marx es sagt: „Wir sitzen alle in einem Boot.“

Trainerdasein als Teamarbeit

Damit dieses Boot nicht untergeht, arbeiten Trainer und Athlet jeden Tag gemeinsam daran, besser zu werden. Und das, wie die 45-Jährige betont, freiwillig: „Das ist auch der Unterschied zum Lehrerjob“, ergänzt sie mit einem Schmunzeln. Zudem bekomme sie als Coach viel Energie zurück: „Es ist zwar anstrengend und auslaugend, aber die Erfahrung mit einer Gruppe, die gut funktioniert, macht es zu einem sehr dankbaren Job.“

Schön ist für sie darüber hinaus, junge Menschen dabei zu begleiten, sich auch persönlich weiterzuentwickeln. Was auch für sie selbst als Trainerin gilt: „Das permanente Hinterfragen und das immer wieder Weiterdenken und Neudenken ist etwas, was ich in meinem Job nicht missen möchte.“ Hilfreich sind dabei vor allem Weiterbildungen sowie der fachliche Austausch mit Trainerkollegen, von denen jeder seine Erfahrungen macht und diese weitergeben kann. Denn letztlich, sagt sie, „führen viele Wege zum Erfolg. Und wer Erfolg hat, hat recht. Und wenn man keinen Erfolg hat, muss man etwas ändern.“

Spannend sei in diesem Kontext auch der Austausch mit Trainern, von denen sie als Athletin selbst betreut wurde. Noch heute lacht sie etwa gern zusammen mit Thomas Kremer, einst ihr erster Bundestrainer, über alte Geschichten und die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Trainer- und Athletensicht. „Es ist schön zu sehen, wie sich hier ein Kreis wieder schließt“, sagt sie. Auch begrüßt sie die Offenheit, mit der in der Leichtathletik gearbeitet wird und genießt es, Teil dieser „großen Familie“ zu sein: „Es macht mir viel Freude, an jeder Ecke jemanden zu treffen, den ich kenne und immer zu wissen, wen ich anrufen kann, weil du in ganz Deutschland verteilt deine Kontakte hast.“

Doppelfunktion auf Landes- und Bundesebene

Dieses große Netzwerk kommt ihr auch in ihrer Rolle als Nachwuchs-Bundestrainerin Sprint zugute, in der sie für die 4x100-Meter-Staffel verantwortlich ist. „Für mich ist das in diesem Bereich der beste Job, den es gibt. Aus anfangs zehn bis zwölf Individualisten am Ende der Saison eine Sprint-Staffel auf die Bahn zu stellen und diese über das Jahr hinweg zu betreuen und aufzubauen, ist sehr fordernd, aber es macht unheimlich viel Spaß“, schwärmt sie.

Entgegen der täglichen Arbeit mit ihrer Sprint-Trainingsgruppe am Stützpunkt Dresden, wo sie die Altersklassen U18 bis U23 betreut, ist der Umgang mit den Kaderathleten ein anderer. „In meinem Job zu Hause sind wir sehr aufeinander eingespielt und wissen genau, was wir voneinander erwarten. Meine Gruppe weiß, dass ich in vielen Dingen sehr genau bin und das erfüllen sie dann auch entsprechend. Als Bundestrainerin bin ich weniger streng im Umgang, weil die Athleten nicht wissen, wie ich ticke – das wissen sie erst nach ein oder zwei Jahren“, erzählt Claudia Marx.

Auch hat sie als Bundestrainerin für die Kaderathleten und deren Trainer eher eine beratende Funktion und weniger mit der sportlichen Leistung selbst zu tun. Ausgenommen sind die Staffel-Einsätze bei internationalen Meisterschaften oder die Betreuung bei Lehrgängen. Was sich in beiden Jobs ähnelt, ist der Sozialisationsprozess, wenn jemand Neues in die Gruppe stößt: „Es ist klar, dass es immer Ältere gibt, die den Jüngeren etwas beibringen. Das ist meine Erwartung und da nehme ich sie auch in die Verantwortung.“

Freiräume schaffen, um Energie zu laden

Viel unterwegs zu sein, ist für Claudia Marx ein weiterer Vorteil ihres Jobs. Zwar nimmt es auch viel Zeit in Anspruch und muss gut mit der Familie abgestimmt sein, aber es eröffnet auch neue Möglichkeiten, viel von der Welt zu sehen oder im Winter in Ruhe unter der Sonne trainieren zu können. „Den Trainerjob musst du wollen. Umso glücklicher ich in meinem Berufsumfeld bin, umso mehr hat auch mein Kind davon“, rechtfertigt sie sich.

Sie selbst kann seit Anbeginn auf die Unterstützung der Großeltern zählen, zudem hat sie ihre Tochter sehr selbstständig erzogen. Gleichermaßen hat sie aber auch gelernt, sich Freiräume zu schaffen und sagt: „Wenn du nicht auf dich selbst achtest, ist der Akku irgendwann leer, und ohne Energie funktioniert es nicht. Ich habe gelernt, dass Stress nur das ist, was du als Stress zulässt und auch so empfindest. Darum müssen wir alle lernen, auch mal Nein zu sagen und auf uns selbst aufzupassen.“

Das gilt auch für den Nachwuchs selbst. Immer wieder gab und gibt es auch Talente, die es nicht aus der U20 in den Aktivenbereich schaffen – sei es aufgrund von Verletzungen oder aufgrund fehlender Absicherung und Perspektive. „Wenn wir Athleten wie zum Beispiel Luis Brandner verlieren, der im Winter seine Karriere beendet hat, dann blutet mir das Herz. Ich habe für ihn noch große Erfolge vorhergesehen. Kann aber auch seine Entscheidung nachvollziehen und muss sie akzeptieren“, sagt Claudia Marx.

Ehrenamt für das große Ganze

Vor allem als Nachwuchstrainerin ist für sie immer auch die Frage präsent, wie junge Athleten auch „oben“ ankommen und im Erwachsenenbereich leistungsfähig bleiben. „Das ist etwas, das nach wie vor hinkt – sowohl was die Förderung angeht als auch in der Frage, wie wir nach der U20 weitermachen“, sagt sie. Dies sei jedoch kein alleiniges Problem der Leichtathletik: „Ich glaube, dass es in ganz Deutschland daran hapert, dass wir nicht das absolute Bekenntnis der Bundesregierung zum deutschen Leistungssport haben.“

Umso wichtiger ist es, dass es so viele engagierte Freiwillige gibt, die das große Ganze zusammenhalten und sich für die deutsche Leichtathletik einsetzen. Auch Claudia Marx selbst investiert neben dem Job als Trainerin unzählige Stunden in die Vereinsarbeit, aktuell vor allem im Kontext der Stadioneröffnung am 30. August.

Dann soll in Dresden mit einem großen Leichtathletik-Wettkampf das komplett neu gebaute Heinz-Steyer-Stadion feierlich eröffnet werden: „Das ist im Ehrenamt noch einmal viel, was da auf einen zukommt. Aber es geht um eine große Sache und wir wollen als Verein gemeinsam Erfolg haben. Ich kann es kaum erwarten, das Stadion endlich wieder zu meinem Wohnzimmer zu machen.

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