Olympiasiegerin, Weltmeisterin, Europameisterin, Hallenweltmeisterin, Halleneuropameisterin, Hallenweltrekordlerin und 20-mal Deutsche Meisterin: Die Liste der Erfolge von Heike Henkel ist extrem lang. So wie ihre Karriere. Am 5. Mai feiert die Ausnahme-Hochspringerin ihren 60. Geburtstag.
Am lauen Sommerabend des 8. August 1992 ballt Dieter Baumann auf seiner Ehrenrunde im Olympiastadion von Barcelona (Spanien) die Faust. Er jubelt bei dieser kurzen Geste nicht über seinen triumphalen 5.000-Meter-Olympiasieg wenige Minuten zuvor, sondern über seine Leverkusener Vereinskameradin Heike Henkel. Denn die meistert in diesem Augenblick im ersten Versuch des Hochsprung-Finals 2,02 Meter. Damit ist der damals 28-Jährigen der ersehnte Olympiasieg nicht mehr zu nehmen.
Binnen weniger Minuten gewinnen zwei deutsche Ausnahme-Leichtathleten Olympia-Gold in Barcelona. Für Heike Henkel ist der Olympiasieg 1992 die Krönung einer großen Karriere. Auf die wird sie mit Sicherheit in ihrer Heimat Pulheim bei Köln an diesem Sonntag häufiger zurückblicken. Denn am 5. Mai vollendet Deutschlands Sportlerin des Jahres 1992 ihr 60. Lebensjahr.
Zittern bei 1,97 Metern
Dabei war der größtmögliche Sieg auf sportlicher Bühne für die gebürtige Kielerin kein Selbstläufer. Bei 1,97 Metern musste Heike Henkel in den dritten Versuch – eine Nervenprobe in Barcelona. „Ich war ganz glücklich, dass mein Anlauf mitten auf der Laufbahn gestartet ist. Denn so musste ich immer die 5.000-Meter-Läufer vorbeilassen und der Fokus des Stadions lag nicht komplett auf dem Hochsprung. Mein Trainer Gerd Osenberg hat mir vor dem dritten Sprung gesagt, dass ich einen Fuß zurückgehen sollte. Ich hatte auch gespürt, dass ich zu dicht an der Latte war. Es war genau die richtige Korrektur“, erinnert sich Heike Henkel an den schwierigen Weg zu Olympia-Gold.
Und zur Komplementierung eines besonderen Gold-Triples. Denn nach dem EM-Sieg 1990 in Split (Kroatien), dem WM-Triumph 1991 in Tokio (Japan) sowie Olympia-Gold in Barcelona war und ist Heike Henkel die einzige Hochspringerin, die in drei Jahren hintereinander diese drei Titel gewann.
In einer fast drei Jahrzehnte währenden Karriere stechen zwei Jahre besonders heraus: 1992 und 1991. Im Jahr ihres Olympiasiegs absolvierte Heike Henkel 23 Wettkämpfe, die Olympia-Qualifikation ausgenommen. Dabei blieb sie nur zweimal unter 2,00 Metern. Im Januar in Arnstadt und im Juli in Lausanne mit jeweils „nur“ 1,98 Metern. Eine absolute Weltklasse-Bilanz. Quasi im „Vorbeigehen“ verbesserte die Hochspringerin den Hallen-Weltrekord bei der Hallen-DM in Karlsruhe auf 2,07 Meter. Die Rekordmarke sollte erst 14 Jahre später von Kajsa Bergqvist (Schweden) in Arnstadt verbessert werden. Am Ende dieses außergewöhnlichen Jahres wurde die Leverkusenerin zur „Welt-Leichtathletik“ gekürt.
In Form für 2,10 Meter
Noch besser als beim Hallen-Weltrekord und dem Olympiasieg in Form war Heike Henkel allerdings 1991 in Tokio. Dort gewann sie mit gleich sieben Zentimetern Vorsprung und dem neuen deutschen Rekord von 2,05 Metern WM-Gold. „Vor Tokio bin ich im Training 2,00 Meter gesprungen. Sonst waren es höchstens 1,95 Meter. In dieser Zeit habe ich mir sogar 2,10 Meter zugetraut. Allerdings dauerte der Wettkampf in Tokio sehr lange, da fehlten mit zum Schluss die Kräfte“, blickt die ehemalige Weltklasse-Athletin zurück auf ihren WM-Triumph.
Den Freiluft-Weltrekord von Stefka Kostadinova (Bulgarien; 2,09 m) sollte sie wie so viele andere Hochspringerinnen vor und nach ihr nicht übertreffen. Ihre Extraklasse belegt allerdings der Top-10-Schnitt von 2,04 Metern. Ihre zehn besten Wettkämpfe bestritt Heike Henkel dabei allesamt in den Jahren 1991 und 1992.
Dass sie überhaupt die größtmöglichen Erfolge erreichen konnte, ist auch ein Verdienst von Ulrike Meyfarth. Denn Heike Henkel war beim zweiten Olympiasieg der Leverkusenerin 1984 in Los Angeles hautnah dabei. Im Olympia-Finale wurde die damals 20-Jährige nach 1,90 Metern in der Qualifikation im Finale mit 1,85 Metern Elfte. „In dieser besonderen Situation wurde mir klar, dass ich Hochleistungssportlerin werden will“, so Heike Henkel. Wenige Wochen zuvor war die geborene Heike Redetzky mit 1,91 Metern erstmals Deutsche Meisterin geworden und hatte dabei sogar Ulrike Meyfarth bezwungen. 19 DM-Titel im Freien und in der Halle sollten folgen. Der letzte davon 16 Jahre später bei der Hallen-DM in Sindelfingen. Mit 1,91 Metern sprang sie dabei übrigens genauso hoch wie bei ihrer Titel-Premiere 1984.
Starke Trainingsgruppe bei Gerd Osenberg
Nach der Olympiasaison 1984 wechselte Heike Henkel vom TSV Kronshagen zur LG Bayer Leverkusen und zu Gerd Osenberg, der neben Ulrike Meyfarth auch Heide Rosendahl zur Olympiasiegerin geformt hatte. Noch heute steht Heike Henkel in regelmäßigem Kontakt mit ihrem ehemaligen, mittlerweile 87 Jahre alten Trainer. „Gerd Osenberg ist ein besonderer Mensch. Er hat uns im Training immer viele Freiheiten gelassen und unseren Ehrgeiz auf subtile Art angestachelt“, erzählt Heike Henkel. Zu ihrer damaligen Trainingsgruppe zählten unter anderem Hochspringerin und Barcelona-Starterin Marion Hellmann, Dreispringerin Tanja Borrmann, 2,38-Meter-Hochspringer Hendrik Beyer sowie aus der Lauf-Fraktion Anke Feller und Linda Kisabaka.
Ihren 60. Geburtstag wird Heike Henkel, die 1992 mit dem Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis ausgezeichnet wurde, mit etwa 60 Gästen feiern. „Da sind Freundinnen aus meiner Jugendzeit in Kiel dabei, Freunde aus dem Sport und natürlich Verwandte. Quasi aus allen Lebensabschnitten“, sagt Heike Henkel, die schon 1980 mit 16 Jahren ihren ersten Jugend-DM-Titel mit 1,84 Metern gewann. Drei weitere sollten folgen.
„Nach meinem ersten Jugend-Titel kam ein Trainer auf mich zu uns sagte mir, dass ich irgendwann zwei Meter springen würde. Ich habe ihm gedanklich einen Vogel gezeigt, weil diese Marke so weit weg war“, so Heike Henkel. Zur Erinnerung: 1980 hatte Sara Simeoni (Italien) mit 2,01 Metern den Weltrekord inne. Zur Leichtathletik war Heike Henkel überhaupt nur durch ihren Lehrer Thomas Thal gekommen. Der überredete sie, es einmal mit Leichtathletik zu versuchen. Schließlich war die später 1,82 Meter große Athletin für die zu Schulzeiten favorisierten Sportarten Turnen und Akrobatik einfach zu groß.
Noch zweimal Deutsche Meisterin nach Comeback
Zweimal unterbrach Heike Henkel nach der Geburt ihrer Söhne 1994 und 1997 aus erster Ehe mit dem Ex-Schwimmer Rainer Henkel ihre Karriere. Eigentlich hatte sie nicht geplant, nachdem sie zum zweiten Mal Mutter geworden war, noch einmal die Hochsprung-Spikes zu schnüren. Doch es kam anders. „Ich bin wieder ins Training gegangen, um fit zu werden. Das hat auch ganz gut geklappt“, beschreibt Heike Henkel, die 1999 noch einmal Deutsche Meisterin wurde.
Da die nationale Konkurrenz zu diesem Zeitpunkt nicht so stark war, strebte sie die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney an. Sie wollte noch einmal auf der olympischen Bühne stehen. Denn für die Spiele 1996 hatte sie sich als „Titelverteidigerin“ nicht qualifizieren können und hatte mit „Olympia“ noch eine Rechnung offen. „Doch im Laufe der Saison 2000 musste ich einsehen, dass die Leistungsfähigkeit nicht mehr so ausgeprägt ist und habe meine Karriere dann endgültig beendet“, sagt die leidenschaftliche Anti-Doping-Kämpferin.
Nervös bei den Rennen von Tochter Marlene Meier
Heute ist die 60-Jährige noch immer häufig bei Leichtathletik-Wettkämpfen anzutreffen. Denn ihre Tochter Marlene Meier (TSV Bayer 04 Leverkusen) zählt zu den besten Hürdensprinterinnen Deutschlands. Das Talent wurde der Deutschen Meisterin von 2022 quasi in die Wiege gelegt. Schließlich war auch Vater Paul Meier – mit dem WM-Dritten im Zehnkampf von 1993 ist Heike Henkel seit 2004 verheiratet – ein extrem erfolgreicher Leichtathlet. „Wenn Marlene läuft, sind wir viel nervöser als bei unseren eigenen Wettkämpfen. Denn man hat keinen Einfluss und kann nur zusehen“, so Heike Henkel.
Beruflich ist die Olympiasiegerin seit Jahren als Keynote-Speakerin und Mental-Coach gefragt. Außerdem engagiert sie sich als Vorstandsmitglied in der Deutschen Osteopathie-Stiftung für Wissenschaft und Forschung. „Wir wollen mit der Stiftung mehr Anerkennung für die Osteopathie schaffen“, erklärt Heike Henkel.
Und pünktlich zum 60. Geburtstag erscheint im Sibost-Verlag ihre Autobiografie „Absprung im richtigen Moment“. In unterhaltsamen Anekdoten beschreibt Heike Henkel auf 300 Seiten ihre außergewöhnliche Karriere und ihren persönlichen Weg, der von Neugier und Veränderung geprägt war. Mit dem Karrierehöhepunkt am 8. August 1992 in einer lauen Sommernacht von Barcelona und einer Siegerfaust von Dieter Baumann.