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Johanna Martin – Mit 17 Jahren der Favoritenrolle schon gewachsen

© Gladys Chai von der Laage
Bei der Hallen-DM in Leipzig haben sechs Athletinnen und Athleten erstmals einen Titel auf nationaler Ebene gewonnen. Wir stellen sie vor. Heute: Langsprinterin Johanna Martin (1. LAV Rostock).
Jan-Henner Reitze

Johanna Martin
1. LAV Rostock

Bestleistung: 

400 Meter: 53,10 sec (2023); 52,55 sec (Halle; 2024)

Erfolge:

7. U18-EM 2022
Deutsche Hallenmeisterin 2024

Mit ihren 52,76 Sekunden über 400 Meter in Neubrandenburg hatte Johanna Martin Ende Januar aufhorchen lassen. Eine Zeit, von der die erst 17-Jährige und ihr Trainer Birger Voigt weniger überrascht waren als viele andere. Die beiden hatten einen genauen Plan für die zurückliegende Hallensaison, der auf den schon gezeigten Leistungen der jungen Athletin aufbauen sollte.

Ihr Saisonauftakt katapultierte die Langsprinterin vom 1. LAV Rostock bei der Hallen-DM in Leipzig in die Rolle der Favoritin, was viel zusätzliche Aufmerksamkeit bedeutete, inklusive der aufgeworfenen Frage bei denen, die erstmals so richtig auf die Athletin aufmerksam geworden waren: Würde eine so junge Senkrechtstarterin ihre Fähigkeiten bestätigen können, wenn es um die nationalen Medaillen der Frauenklasse geht?

Johanna Martin beantwortete diese Frage eindeutig: Ja, sie kann. Und zwar auf eine Art und Weise, die nicht darauf schließen lässt, dass sie zum ersten Mal eine solche Situation meisterte. Im Vorlauf in Leipzig steigerte sie sich zuerst weiter auf 52,55 Sekunden und ließ sich im Finale auch nicht davon beeindrucken, dass Alica Schmidt (SCC Berlin) offensiv vorneweg stürmte. In der Schlussphase des Rennes ging die junge Favoritin (52,71 sec) an der international erfahrenen Athletin (52,95 sec) vorbei und sicherte sich ihren ersten Titel bei den Aktiven. Eine Vorstellung, mit der sich die Aufsteigerin auch für die DLV-Staffel der A-Nationalmannschaft empfahl.

Talent führt auf Sportschule

Die 17-Jährige kommt aus einer sportlichen Familie. „Meine Großeltern waren zum Beispiel Sportlehrer.“ Schon bevor sie in die Grundschule kam, ging Johanna Martin erstmals zum Leichtathletik-Training beim TSV Malchin in der Nähe ihres Heimatortes Rittermannshagen in Mecklenburg-Vorpommern. Nach einem Schulwechsel schloss sie sich mit dem LAV Waren wenig später einem neuen Verein an, weil sich dadurch Fahrwege verkürzten.

Unter der Anleitung von Dirk Santowski gehörte die Schülerin auf Landesebene bald darauf zur Spitze im Mehrkampf. Ihre stärkste Einzeldisziplin waren dabei die 800 Meter. Hier zählte sie in ihrer Altersklasse auch im nationalen Vergleich zu den Schnellsten, zum Beispiel im Jahr 2020 mit ihrer Bestzeit von 2:16,38 Minuten als Vierte der Jahresbestenliste der W14. Der Sport war schon zu diesem Zeitpunkt mehr als ein Hobby.

„Meine Eltern haben mich gefragt, ob ich auf eine Sportschule gehen möchte“, erzählt die Nachwuchsathletin. „Ich habe dann in Neubrandenburg und Rostock eine Probewoche gemacht und mich für Rostock entschieden.“ Seit der neunten Klasse besucht sie die CJD Christophorusschule und lebt im Internat. Damit verbunden war auch der Vereinswechsel zum 1. LAV Rostock.

Starke Trainingsgruppe

In ihrem neuen Umfeld trainierte Johanna Martin zuerst ein Jahr bei Dagmar Thomas und sammelte auch in der Altersklasse W15 weitere Erfolge. Bei den Deutschen Meisterschaften im Block Lauf in Markt Schwaben holte sie Silber (2.612 pt), bei den Deutschen U16-Meisterschaften im Einzel in Hannover Bronze über 300 Meter Hürden (44,21 sec). Diese Zeit legte die damals 15-Jährige im Alleingang in einem Ersatzlauf hin, nachdem sie im Finale wegen einer umgestürzten Hürde auf der Nachbarbahn zu Fall gekommen war. Schon damals ein Indiz für starken Willen und starke Nerven.

Mit dem bevorstehenden Aufstieg in die U18 wechselte die Schülerin im Herbst 2021 in die Gruppe ihres heutigen Trainers Birger Voigt, zu der eine Reihe weiterer aufstrebender Talente gehört. Dazu zählen die Dritte der U20-EM im Hürdensprint Lia Flotow, die Deutsche U18-Meisterin im Fünfkampf Maria Schnemilich oder der Deutsche U18-Meister im Speerwurf Anton Steffen (alle 1. LAV Rostock). „Unser Trainer ist ein wichtiger Faktor, der hinter dem Erfolg steckt. Aber wir als Gruppe verstehen uns auch alle sehr gut und motivieren uns gegenseitig.“

Ein Baustein ist auch ein vielseitiges Training, das im Fall von Johanna Martin zwar auf die 400 Meter ausgerichtet ist. „Aber ich mache im Training auch Weitsprung, Hochsprung oder Speerwurf. Das bringt mir koordinative Fähigkeiten und Kontrolle über meinen Körper, von der ich profitiere.“ Wenn es terminlich passt, ist zum Auftakt des Sommers ein Siebenkampf angedacht. Auch die 400 Meter Hürden, über die sie schon unter 60 Sekunden (59,70 sec) geblieben ist, bleiben auf der To-do-Liste.

Erfolgreiches Debüt im Nationaltrikot

Ihr erstes U18-Jahr, in dem die 400 Meter erstmals zum Wettkampfprogramm gehörten, deutete an, dass die Stadionrunde für Johanna Martin in den Mittelpunkt rücken könnte. Mit ihrer ersten Zeit unter 55 Sekunden (54,88 sec) bei der U18-Gala in Walldorf sicherte sich die damals 16-Jährige einen Startplatz für die U18-EM in Jerusalem (Israel), wo sie mit Bestzeit (54,80 sec) ins Finale einzog und den siebten Platz (54,90 sec) belegte. Bei der Jugend-DM in Ulm folgte in 55,07 Sekunden der erste Titel auf nationaler Ebene in der Altersklasse U18. Weil es auf der Flachstrecke so gut lief, blieb es über 400 Meter Hürden bei zwei Saisonrennen. 2023 kam über diese Strecke ein weiteres Rennen dazu.

Das vergangene Jahr startete mit dem U20-Titel bei der Jugend-Hallen-DM in Dortmund (55,00 sec), und auch die Freiluftsaison begann mit der Steigerung auf 53,10 Sekunden rasant. Krankheit und Verletzung verhinderten dann aber Starts bei den internationalen Höhepunkten der Nachwuchsklassen im Sommer. Die Freiluft-Bestzeiten unterstreichen allerdings, dass die Steigerung des Winters alles andere als aus dem Nichts kam.

Basis im krankheitsfreien Winter weiter ausgebaut

„Ich bin noch jung, da entwickelt sich die Leistung noch steiler“, erklärt Johanna Martin ihre Resultate des Winters. „Es hat sich schon im Training gezeigt, dass ich stärker geworden bin. Dazu kam, dass ich über den Winter nicht krank war. Im Jahr davor war ich im Verlauf der Vorbereitung nicht nur einmal erkältet.“ Langfristig ausgerichtet war die Trainingsplanung auf die Hallen-DM in Leipzig sowie die Jugend-Hallen-DM in Dortmund eine Woche später.

Beim ersten Start bei einer nationalen Meisterschaft in der Frauenklasse war durchaus Aufregung vorhanden, verstärkt durch den starken Saisonauftakt und die damit verbundene Favoritenrolle. Diese Aufregung konnte die 17-Jährige gut kanalisieren, dachte nicht über Druck von außen nach. „Ich habe auf mich geschaut, versucht mich zu fokussieren und cool zu bleiben. Ich bin stolz, dass mir das gelungen ist.“

Auch den Härtetest bei der Jugend-Hallen-DM mit ihrem Doppelstart über 200 und 400 Meter, jeweils mit Vorlauf und Finale, schloss Johanna Martin mit zweimal Gold (23,86 sec / 53,20 sec) makellos ab. Planung und akribische Vorbereitung gingen vollständig auf.

Schritt für Schritt neue sportliche Ziele setzen

Trotz des nationalen Titels in der Frauenklasse bleibt die U20-WM in Lima (Peru; 26. bis 31. August) das Hauptziel für den Sommer, als Norm sind dafür 54,40 Sekunden gefordert. Nächste Stationen sind ein Trainingslager über Ostern mit ihrer Rostocker-Gruppe in Belek (Türkei), nach zehn Tagen zu Hause soll die Vorbereitung auf den Sommer danach im DLV-Trainingslager auf La Palma (Spanien) weitergehen. Läuft alles ohne Krankheit oder Verletzung, geht es zur Staffel-WM auf die Bahamas (4./5. Mai), wo sich das DLV-Quartett einen Startplatz für die Olympischen Spielen in Paris (Frankreich) sichern möchte.

Diese Möglichkeiten eröffnen sich für Johanna Martin auch deshalb, weil der Unterricht auf ihrer Sportschule um ein Jahr gestreckt ist. Außerdem sind Online-Unterricht und Online-Klausuren möglich. Das Konzept der Schule ist darauf ausgerichtet, dass die Karriere im Sport früh beginnt. „Ich werde dabei super unterstützt“, sagt die Schülerin.

Einen großen sportlichen Traum hat sie nicht. „Ich lebe im Hier und Jetzt und schaue von Saison zu Saison. Alles andere würde mich nur unnötig unter Druck setzen.“ Beruflich hat die Aufsteigerin dagegen ein langfristiges Ziel: Sie möchte Medizin studieren. Aber nach ihrem im nächsten Jahr geplanten Abitur kann sie sich erst einmal auch eine Ausbildung vorstellen und will weiterhin professionell Sport betreiben.

Video-Interview: Johanna Martin: "Kannte meine Konkurrenz bisher nur aus dem Fernsehen"
Video: Johanna Martin ringt Alica Schmidt auf der Zielgeraden nieder

Das sagt Bundestrainer Jörg Möckel:

Mit ihren 53,10 Sekunden hat Johanna schon im vergangenen Sommer gezeigt, dass sie etwas draufhat. Mit Birger Voigt hat sie einen tollen Trainer, der mit einer solchen Entwicklung gerechnet hat. Für die Hallen-DM hat er mit Johanna einen genauen Rennplan abgesprochen, auch für verschiedene Möglichkeiten, je nach Verlauf des Finals. Das ist nicht ungewöhnlich. Die Herausforderung besteht darin, das dann auch in die Tat umzusetzen.

Diese Aufgabe hat Johanna bravourös gelöst und geliefert, obwohl es eine ganz neue Situation für sie war. Mit ihrem Auftritt ist sie im Frauenfeld nicht als junge 17-Jährige aufgefallen, die Erfahrung sammelt, sondern als fitte, gut vorbereitete Athletin, die genau weiß, was sie zu tun hat. Das hat mich beeindruckt und schafft Vertrauen in ihren weiteren Weg und Einsätze in der DLV-Staffel auf internationaler Ebene. Auch dort sind Athletinnen gefragt, die, wenn es drauf ankommt, ihren Job machen.

Im Sommer wünsche ich mir eine Stabilisierung des in der Halle gezeigten Niveaus. Weitere Steigerungen und Ausreißer nach oben kommen dann ganz von allein. Wir wollen Johanna auch Raum und Zeit bieten, in den Spitzensport hineinzuwachsen. Auch in fünf Jahren und darüber hinaus möchten wir sie noch leistungsfähig in der DLV-Mannschaft haben. In Leipzig hat sie gezeigt, dass sie das Potential für eine Karriere im Profisport hat.

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