Bei der Hallen-DM in Leipzig haben sechs Athletinnen und Athleten erstmals einen Titel auf nationaler Ebene gewonnen. Wir stellen sie vor. Heute: Kugelstoßer Silas Ristl (LAC Essingen).
Silas Ristl
LAC Essingen
Bestleistung:
Kugelstoßen: 19,83 m (2022); 19,95 m (Halle; 2024)
Erfolge:
Deutscher Hallenmeister 2024
„Oben wird die Luft ganz dünn. Bleib immer dran, es lohnt sich irgendwann." Das hat sein langjähriger Trainer Michael Lischka, WM-Teilnehmer im Diskuswerfen 2001, seinem früheren Schützling Silas Ristl wiederholt mit auf den Weg gegeben. Das „Irgendwann“ tritt mehr und mehr ein: Im Alter von 28 Jahren hat der Kugelstoßer im Februar bei der Hallen-DM in Leipzig seinen ersten deutschen Meistertitel gewonnen. Mit 19,95 Metern stellte er dabei auch eine persönliche Bestleistung auf.
Der Drehstoßer trainiert mittlerweile in der Gruppe von Artur Hoppe am Olympiastützpunkt Stuttgart und arbeitet in Teilzeit als Orthopädietechniker. Obwohl sein Alltag auch lange Fahrtwege mit sich bringt, fühlt sich der Athlet des LAC Essingen rundum wohl und konnte sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich steigern. Nächste Ziele sind die 20-Meter-Marke und ein Start im Nationaltrikot bei der EM in Rom (Italien; 7. bis 12. Juni).
Sportbegeisterung auch durch Unfall nicht zu bremsen
Dass Sport zu seinem Leben gehört, stand für Silas Ristl nie in Zweifel. „Das hat mir mein Elternhaus mitgegeben. Alle haben Sport gemacht und es war auch oft ein Gesprächsthema.“ Zum Beispiel spielte sein Vater Handball. Sohn Silas versuchte es zuerst mit Fußball, fand aber keinen Gefallen daran. Und so ging es in seiner Heimat in Baden-Württemberg im Alter von fünf Jahren erstmals beim TSV Langenau zum Leichtathletik-Training.
„Ich durfte schnell mit den Älteren mittrainieren und die Wurfdisziplinen stellten sich als meine Stärke heraus.“ Unter der Anleitung von Trainerin Brigitte Hanses gehörte der damalige Schüler zu den Besten seiner Altersklasse auf Landesebene. Und auch auf DLV-Ebene belegte er zum Beispiel im Jahr 2009 mit 14,74 Metern, erzielt mit der Vier-Kilo-Kugel, Rang neun der Jahresbestenliste der Altersklasse M14, außerdem mit dem Ein-Kilo-Diskus Rang zwölf (43,61 m) und dem 600-Gramm-Speer Rang 19 (44,98 m).
Aber auch Mehrkampf gehörte zu diesem Zeitpunkt noch zum Wettkampfalltag. Das änderte ein Unfall zum Saisonstart im April 2010. Bei den Regionalmeisterschaften im Achtkampf in Göppingen war der Speer gerade mit 55,70 Metern erstmals so richtig geflogen. „Danach bin ich im Stabhochsprung neben der Matte gelandet und habe mich an der Schulter verletzt. Die musste operiert und mit Schrauben fixiert werden“, erzählt der heutige Kugelstoß-Spezialist. Nicht nur der Rest des Wettkampfsommers war damit beendet, das Speerwerfen war endgültig nicht mehr möglich. Davon ließ sich der Nachwuchsathlet die Begeisterung für seinen Sport aber nicht nehmen. Er konzentrierte sich allerdings fortan auf das Kugelstoßen und Diskuswerfen.
Mit Peter Salzer zur Drehstoß-Technik
Das Kugelstoßen hatte Silas Ristl zuerst in der in Deutschland gängigeren Angleittechnik gelernt. Im Landeskader-Training zeigte ihm Peter Salzer, dass es auch anders geht. „Ich habe etwas Zeit gebraucht, bis ich mich getraut habe, auch im Wettkampf auf Drehstoß umzusteigen“, erzählt der heutige Leistungssportler, der mit dem Aufstieg in die U18 zum SSV Ulm 1846 wechselte und dort mit Michael Lischka erstmals einen Wurfspezialisten als Heimtrainer bekam.
Es gelang der Vorstoß in die erweiterte DLV-Nachwuchsspitze. Größter Erfolg war Bronze bei der Jugend-DM in Ulm im Jahr 2012, wo die Fünf-Kilo-Kugel auf die Bestleistung von 18,12 Metern flog. Für einen nationalen Titel oder einen Startplatz bei internationalen Meisterschaften reichte es trotz kontinuierlicher Trainingsarbeit und großer Motivation nicht. Als U23-Athlet war der Kugelstoßer ganz nah dran am Nationaltrikot: Im Jahr 2017 stieß er die 7,26-Kilo-Kugel auf 18,85 Meter und erfüllte damit die Norm für die U23-EM in Bydgoszcz (Polen), war damit allerdings knapp nur die Nummer vier im DLV und musste deshalb zu Hause bleiben.
„Klar war ich deshalb traurig. Aber wenn drei andere besser sind, ist das im Sport so“, erinnert sich Silas Ristl. In dieser Zeit fiel häufig der zu Beginn erwähnte Satz von Trainer Michael Lischka, nachdem sich Trainingsfleiß und Geduld mit der eigenen Entwicklung eines Tages auszahlen würden. Das dauerte allerdings noch etwas.
Umweg über die USA führt zu Artur Hoppe
Neben dem Sport hatte Silas Ristl nach seinem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Orthopädietechniker gemacht und im Anschluss sein Abitur nachgeholt. Seine sportlichen Leistungen eröffneten ihm 2019 die Möglichkeit, mit einem Stipendium an die Vincennes University im US-Bundesstaat Indiana zu gehen. „Das wollte ich einfach mal ausprobieren und habe dort ein Jahr lang Robotics studiert und Sport gemacht.“ Sportlich brachte das aber keine Fortschritte und es wurde schnell klar, dass es bei einem Auslandsjahr als Erfahrung bleiben sollte.
„Von den USA aus habe ich Artur Hoppe angeschrieben und dann mit ihm telefoniert. Wir haben uns gut verstanden und ich habe den Plan gefasst, nach meiner Rückkehr nach Deutschland bei ihm zu trainieren.“ Ein neuer Trainer war auch deshalb nötig, weil Michael Lischka in Ulm inzwischen aufgehört hatte, Leistungssportler zu betreuen.
Mit dem Sanitätsfachhändler Hartlieb in Göppingen fand Silas Ristl außerdem einen Arbeitgeber, bei dem er seine aktuelle 60-Prozent-Stelle mit dem Training verbinden kann und der bei der Dienstplanung seine sportlichen Termine gern berücksichtigt. „Das ist wirklich spitze, dass ich von meinem Arbeitgeber so unterstützt werde.“
Kontinuierliche Steigerung
So begann zuerst unter Corona-Bedingungen der sportliche Neustart. Die Bestleistung stand zu diesem Zeitpunkt noch bei 18,85 Metern aus dem Jahr 2018. Obwohl tägliche Fahrtwege von 180 Kilometern zwischen seinem Wohnort bei Ulm, seinem Arbeitsplatz in Göppingen und dem Olympiastützpunkt in Stuttgart als Trainingsstandort zusammenkommen und an einem normalen Tag schon morgens um 5 der Wecker klingelt, begann sportlich eine stetige Verbesserung. 2021 flog die Kugel erstmals über 19 Meter, in den Jahren 2022 und 2023 belegte der Kugelstoßer, der inzwischen für den LAC Essingen startet, dreimal den dritten Platz bei Deutschen Meisterschaften drinnen und draußen. Seine Freiluftbestleistung steigerte er bis auf 19,83 Meter.
„Ich habe mich in allen Bereichen verbessert. Von der Kraft über die Schnelligkeit bis zur Technik“, erzählt Silas Ristl. „Ich bin jetzt im besten Alter für Werfer und mit Artur Hoppe habe ich einen Trainer, der individuell auf mich eingeht und das Training optimal auf mich und meine Bedürfnisse mit meiner Arbeit abstimmt.“ Insgesamt ist das passende Umfeld gefunden.
Dazu kommen starke Trainingspartner wie U23-Europameister Tizian Lauria und der Zweite der U23-EM Eric Maihöfer (beide VfL Sindelfingen). „An meinem arbeitsfreien Tag in der Woche, mittwochs, kommt außerdem Yemisi Ogunleye zu uns zum Training nach Stuttgart“, berichtet Silas Ristl. „Wir trainieren dann zwei Einheiten zusammen. Das hat uns beide deutlich vorangebracht.“
Start im Nationaltrikot das wichtigste Ziel
Während bei Yemisi Ogunleye (MTG Mannheim) bei ihrer überraschenden Silbermedaille bei der Hallen-WM schon die 20 Meter gefallen sind, fehlten Silas Ristl bei seinem DM-Titel in Leipzig noch fünf Zentimeter bis zu dieser Marke. „Das sehe ich nicht als Makel, sondern als Ansporn für den Sommer.“ Der 28-Jährige ist sicher, dass noch größere Weiten in ihm stecken. „Vor allem in der Technik möchten wir noch am Feinschliff arbeiten.“
Großes Ziel ist die EM-Teilnahme Anfang Juni in Rom. Die Direkt-Norm steht bei 20,85 Metern, aber auch eine Qualifikation über das europäische Ranking und die Bestätigungsnorm von 20,20 Metern ist möglich. Im Ranking steht der Deutsche Hallenmeister im Moment auf Rang 29, als zweitbester DLV-Athlet hinter Vereinskamerad Simon Bayer. Nicht ausgeschlossen also, dass Silas Ristl trotz dünner Luft noch ein Stück weiter nach oben kommt.
Video-Interview: Silas Ristl: "Ich habe mich nicht als Favorit gesehen"
Video: Silas Ristl haut im letzten Versuch die Bestleistung raus
Das sagt Bundestrainer Wilko Schaa: |
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Silas ist schon lange dabei und stand auf der Schwelle zur nationalen Spitze. Er ist über viele Jahre dran geblieben und hat sich durchgekämpft. Dafür wird er jetzt belohnt.
Seitdem Silas in Stuttgart bei Artur Hoppe trainiert, hat er sich gut entwickelt. Sein Umfeld mit seinem Arbeitgeber lässt professionelles Training zu. Durch das kontinuierliche und strukturierte Training hat er sich physisch wie auch technisch weiterentwickelt. In der Technik steckt nach wie vor Potenzial. Im Training zeigt er schon deutlich mehr Stabilität. Das im Wettkampf noch besser umzusetzen, ist eine Aufgabe, an der Silas arbeitet.
Er ist ein angenehmer, lockerer Athlet und eine Bereicherung für alle, mit denen er trainiert. Silas bringt Ehrgeiz und Leidenschaft mit. Für den Sommer traue ich ihm die Bestätigungsnorm für die EM von 20,20 Metern zu. Wenn er diese erreicht, hat er gute Chancen, sich über das Ranking für Rom zu qualifizieren.